"Milch oder Tee zum Frühstück?" "Ein Glas Wein bitte.". Jan Putzas

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Название "Milch oder Tee zum Frühstück?" "Ein Glas Wein bitte."
Автор произведения Jan Putzas
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783982187518



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der Veranstaltung, als wir unsere Ausrüstung ins Auto luden, geflucht hatte, wie es sich für einen richtigen Ork gehörte. Es war erschreckend, in welcher Geschwindigkeit man einen menschlichen Nachnamen kreativ verhohnepiepeln konnte. Da wurde ruckzuck aus Schattenfrost Lattenhorst und später Lattenrost. Zwischendurch gab es noch eine Rattenwurst. Sie ahnen es vielleicht, Azog mochte Eike nicht besonders. Und schon gar nicht, nach dieser »Goldmember-Kacke«, wie er es ausdrückte.

      Ich dagegen fand den Schattenfrost ganz amüsant. Für jemanden, der nicht wie ich selbst eine ordentliche Regimeerziehung erhalten hatte und höchstwahrscheinlich in einem Waldorfkindergarten groß geworden war, verfügte er durchaus über komödiantisches Talent. Wenn auch unfreiwillig. Fragte der mich, wieso ich meinen Assistenten – hier war natürlich Azog gemeint, den ich auf Veranstaltungen hin und wieder und in Anlehnung an Sir Conan Doyle »Doktor Watson« rief, »Wurzel« nennen würde?

      »Nicht Wurzel, sondern Watson«, sagte ich.

      »Watson?«, fragte Schattenfrost und hatte offenkundig keine Ahnung, wer das sein sollte.

      »Doktor Watson«, sagte ich langsam und überdeutlich und nicht ganz sicher, ob Schattenfrost mich vielleicht verarschen wollte. »Den Assistenten von Sherlock Holmes.«

      »Ah, der. Alles klar, jetzt weiß ich Bescheid.« Der Oberbibliothekar klopfte sich gegen die Stirn und hatte selbstverständlich immer noch keinen blassen Schimmer, wen ich da meinte.

      »Na klar«, knurrte Azog leise und ich war mir nicht sicher, ob Schattenfrost es nicht trotzdem hören konnte. »Du weißt Bescheid. Gerade du!«

      Die Buchlesung selbst war ziemlich anstrengend, das Publikum steif und meiner Art von Humor nicht aufgeschlossen. Erschwerend kam hinzu, dass ich erkältet war und Schattenfrost mich im Vorfeld gebeten hatte, eine komplette Stunde durchzulesen und auf meine Pause nach der Hälfte der Veranstaltung zu verzichten. Er hätte nämlich vor, im Anschluss eine Diskussionsrunde mit dem Publikum zu veranstalten. Oder er wollte nur so schnell wie möglich nach Hause. Das konnte auch sein.

      Aber durchaus erheiternd war Folgendes: Als ein etwas ungepflegter, unaufgeräumter älterer Herr die Bibliothek betrat, wurde Schattenfrost auf einmal ganz aufgeregt und sagte entschuldigend: »Ja, das tut mir leid. Da muss ich um Verzeihung bitten, aber Obdachlose finden auch immer wieder den Weg hierher. Es ist schön warm im Gebäude und wir können die auch nicht so einfach gewaltsam entfernen. Also bitte haben Sie Verständnis, wenn der sich mit hinsetzt und Ihnen zuhört.«

      Ich hatte da im Prinzip nichts dagegen, aber Azog, nach wie vor stinksauer, rief: »Hä?«

      Ich hatte die Befürchtung, dass sich Schattenfrost jeden Moment ein paar nur bedingt nette Worte von ihm einfangen würde.

      »Also an mir kommt der nicht vorbei, wenn er nicht fünf Euro Eintritt auf den Tisch legt!«, machte Azog klar. Danach zeigte er auf eine entfernte Ecke der riesigen Bibliothek. »Wenn der sowieso nur schlafen will, kann er sich solange auf die Bank da hinten in der Kinderbuchabteilung legen. Da ist um diese Zeit eh keiner mehr.«

      Wie sich kurze Zeit später herausstellte, war der alte Mann überhaupt kein Penner, sondern ein seit vielen Jahren in Deutschland lebender Tadschike. Etwas unaufgeräumt und abgerissen wirkte er nur deswegen, weil er auf den letzten Drücker hergekommen war. Und zwar mit einem Fahrrad. Also nicht aus Tadschikistan, sondern vom anderen Ende der Stadt. Dies erzählte er uns alles, während er einen Zehn-Euro-Geldschein auf den Tisch legte und unter anderem sagte: »Stimmt so.«

      Ich sah grinsend zu Schattenfrost hinüber und konnte deutlich sehen, wie diesem die Schamesröte ins Gesicht stieg. Er blickte verstohlen in meine Richtung, hob entschuldigend beide Hände und zuckte mit den Schultern.

      Nach der Veranstaltung hatte ich noch eine Diskussion mit dem Tadschiken über eine vermeintliche Falschmeldung meines Vortrages. Es ging um irgendeinen See, der wohl angeblich nicht dort wäre, wo ich behauptet hätte. Der sei ganz woanders.

      »Wann waren Sie denn das letzte Mal in Tadschikistan?«, fragte ich.

      »1978«, sagte der Mann.

      »Das ist 40 Jahre her«, wandte ich ein.

      »Ja«, sagte er.

      »Äh, ich war vor zirka einem Jahr dort«, antwortete ich.

      »Ah gut«, meinte er und ich hoffte, er würde raffen, worauf ich hinauswollte.

      »Na, wer hat denn da jetzt nun recht?«, fragte ich und lachte dabei.

      »Ganz klar er!«, mischte sich Azog der Schänder ein. »Du hast bestimmt nur irgendein Foto von irgendeinem See aus dem Internet heruntergeladen.«

      »Und du bald keinen Job mehr, wenn du so weiter machst«, entgegnete ich, was Azog mit Schnarchgeräuschen quittierte.

      »Ist egal«, sagte der Tadschike, »Lange her. Vielleicht täusche ich mich.«

      »Oder ich«, räumte ich ein. Anschließend reichten wir uns die Hand und verabschiedeten uns. Schattenfrost kam auch nochmal zu uns und bedankte sich für die außergewöhnliche Vorstellung, wie er es formulierte und ich mir sicher war, mein Auftritt hatte ihm nicht gefallen. Im Gegenzug fanden wir den größten Teil des Publikums lahm. Oder wie es Azog klischeehaft formulierte: »Die hatten einen Stock im Arsch!«

      Schattenfrost meinte als Verabschiedung zu uns: »Fahren Sie vorsichtig.«

      Ich: »Danke, werden wir.«

      Schattenfrost: »Ich sage dies ganz bewusst. Fahren Sie vorsichtig.«

      Ich zog eine Augenbraue hoch und sagte extra lang gezogen: »Okaaay…werden wir.«

      Schattenfrost: »Na ja, Sie rasen doch bestimmt gern.«

      Ich: »Alles klar. Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, worauf Sie hinauswollen.«

      Schattenfrost: »Sie fahren doch sicher einen tiefergelegten Dreier BMW.«

      Ich, der ich zu jenem Zeitpunkt noch keinen BMW, sondern einen rostigen Opel Corsa mit immensen drei Zylindern und brachialen 50 Pferdestärken mein Eigen nannte, entgegnete: »Wollen Sie damit sagen, dass jede Schachtwacke aus dem Südharz ein rasender Prolet ist?«

      Schattenfrost hob beschwichtigend die Hände. »Nein, nein, auf keinen Fall.«

      »Das ist schön«, sagte ich, »Denn andernfalls würde dies im Umkehrschluss bedeuten, dass ich jeden westdeutschen Bibliothekar für fehl am Platz halten würde, weil er Sir Arthur Conan Doyle und Sherlock Holmes nicht kennt.«

      Nach einer kurzen Weile der Stille, in der sich alle nur abwechselnd anstarrten, machte Azog plötzlich: »Hahaha!«, und fing an, übertrieben zu lachen.

      Schattenfrost und ich taten es ihm gleich und lachten ebenfalls, und zwar laut, gestellt und keinesfalls herzlich. Ich glaube, wir waren uns damals in jenem Moment und ohne es auszusprechen darüber einig, dass er nie wieder eine Buchlesung mit mir veranstalten wird, ich ihn allerdings im Gegenzug berühmt machen werde.

      Später, auf der Rückfahrt im Auto, sagte Azog zu mir: »Schattenfrost hat keine Ahnung, wie dicht er an einer Tracht Prügel von mir vorbeigeschrammt ist.«

      »Also, ich fand ihn amüsant«, sagte ich, »den Lattenrost.«

      Azog der Schänder, aka Watson, aka Wurzel und ich grinsten anschließend und stießen eine Faust zusammen. Dann fuhren wir in meinem Opel Corsa zu McDonalds, mein Honorar verfressen.

      Wenn ich es recht bedenke, muss ich fairerweise zugeben, dass ich einige Monate später wieder eine Lesung in derselben Stadt hatte, die weitaus besser lief. Allerdings war der Veranstalter ein anderer und das Publikum lockerer aufgelegt. Na ja, bis auf einige. Fragte mich ein Zuhörer, wie es dazu kam, dass ich eine Buchlesung in Tadschikistan abgehalten habe.

      Ich: »Auf Einladung eines deutschen Kulturattachés.«

      Ein anderer Gast von hinten rechts fragte provokant: »Echt? Wie hieß der denn?«

      Ich: »Kennst du sowieso nicht! Für die anderen im Saal, der Mann