"Milch oder Tee zum Frühstück?" "Ein Glas Wein bitte.". Jan Putzas

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Название "Milch oder Tee zum Frühstück?" "Ein Glas Wein bitte."
Автор произведения Jan Putzas
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783982187518



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aus den Vierzigern des vorigen Jahrhunderts geschenkt.«

      Dann erzähle ich, dieses habe Juri irgendwo zufälligerweise entdeckt und unser Haus darauf sofort erkannt. Und das, obwohl auf dem Foto eine Horde Nazis in Front vorbeimarschiert. »Und wo findet man denn solche Zeitzeugnisse heutzutage noch?« Dann muss ich lächeln und sage: »Seine Frau Tatjana hat mir mal auf einer Feier berichtet, sie werde von ihrem Fitnesstrainer verfolgt.«

      »Und?«, fragt meine Schwester mit entsetzter Stimme. »Wie ist die Sache ausgegangen? Hat die Polizei eingegriffen?«

      »Quatsch«, sage ich, »so ein Blödsinn. Juri und sein Schwager haben den Typ erschossen und dann ins Fundament von einem ihrer Häuser gerührt.«

      Meine Schwester sagt darauf nichts und ringt wohl mit sich, ob sie mir die Geschichte glauben soll. Meine Frau beendet den Unfug schließlich mit den Worten: »Das stimmt doch gar nicht, das war alles ganz anders. Tatjana hat eigentlich gemeint, ihr Fitnesstrainer verfolgt sie auf Instagram. Er ist also ihr Follower und nicht etwa ein Stalker oder irgend so ein Freak.«

      »Ich kenne die Geschichte total anders«, sage ich grinsend, während ich mir kryptisch über den Bart streiche.

      Keine Ahnung, ob das Wort kryptisch hier reinpasst, aber es verleiht dem Satz einen guten Klang und deswegen habe ich recht!

      »Na gut«, sagt meine Schwester in meine Richtung, »dann bist du ja eigentlich auch ein Russe

      »Wieso das denn?«, frage ich.

      »Unsere Vorfahren väterlicherseits kamen aus Litauen«, antwortet sie.

      »Stimmt«, sage ich, denn es fällt mir auch wieder ein. »Und Litauen war mal Teil der Sowjetunion.«

      »Übrigens hat unser Nachname sogar in Griechenland eine Bedeutung, hat mir eine Kollegin aus Athen erzählt«, berichtet meine Schwester weiter.

      »Ja? Was denn für eine?«, fragt meine Frau jetzt.

      »Schwanz«, antwortet meine Schwester und lacht.

      »Schwanz?«, frage ich. »Also im Sinne von Penis, oder was?«

      »Ja«, sagt sie.

      »Also, wahrscheinlich im Sinne des englischen Dickhead«, schlägt meine Frau vor. »Was wortwörtlich Schwanzkopf und sinngemäß Schwachkopf oder Vollidiot bedeutet.«

      Dann flüstern sich die beiden Frauen etwas in die Ohren, deuten dabei in meine Richtung und kichern albern.

      »Ach, haltet doch die Klappe«, sage ich, muss jedoch selbst grinsen. »Ihr habt doch eindeutig zu viel getrunken!«

      »Gut, hätten wir das auch geklärt«, sagt meine Schwester, während sie ausgiebig gähnt und sich von ihrem Stuhl erhebt. Dann sieht sie zu mir und wirft hinterher: »Und jetzt guck nicht so dämlich und bezahl die Rechnung! Wir wollen los.«

      Nachdem wir in meinem Fahrzeug sitzen und schon eine Weile unterwegs sind (und jetzt kommt ein verdammt langer Schachtelsatz), fragt mich der Typ im schwarzen Armani Uomo Anzug, in dessen Dienstausweis Towarisch Penkov steht und der seit meiner SMS an ihn, vorhin im Restaurant am Auto gewartet hat, jetzt neben mir auf dem Beifahrersitz thront und seit ein paar Wochen immer mal plötzlich in meiner Nähe auftaucht, wie es ihm passt, weil er mich angeblich wegen einiger unschöner Vorfälle beurteilen müsse, an denen ein paar Freunde und ich vor zwei Jahren in Tadschikistan beteiligt gewesen sein sollen (unter anderem ginge es wohl um Nacktbaden in einem öffentlichen Springbrunnen vor der Nationalbibliothek in der Hauptstadt Duschanbe und um den für einige Instanzen zweifelhaften Inhalt meiner letzten Veröffentlichung) und der ständig ein Diktiergerät in der Hand, eine neun Millimeter Jarygin 6P35 Pistole im Schulterholster und eine Flasche Stolichnaya elit Vodka, inklusive zweier Gläser, in einem Aktenkoffer bei sich trägt: »Worum geht es eigentlich in ihrem nächsten Buch?«

      Deshalb gebe ich Penkov neben mir und den beiden Damen auf den Rücksitzen, denen Penkovs Auftritt nach wie vor melonengroße Glubschaugen und eine Art Duldungsstarre bereitet, einen groben Überblick, indem ich anfange zu erzählen…

       1. Weisheiten eines Prachtkerls

      Während eines Moskauaufenthaltes erörterte ich eines Tages, ich glaube, es war in der Metro sitzend, mit meiner Frau und meiner Schwester, was unser Junior, der selbstverständlich ebenfalls anwesend war, mit seinen damaligen drei Lenzen, in letzter Zeit bereits für verbale Granaten heraus gehauen hatte. Dieser stellte natürlich seine Lauscher auf maximales Lautstärkeaufnahmevermögen, damit er bloß nichts verpasste, und hörte interessiert zu.

      Da war diese Geschichte, als er uns einmal freudestrahlend verkündete, dass er Pocknock mit Salz lieber mochte, als süßes Pocknock. Also Pocknock gleich Popcorn.

      Oder als er einmal aufgeregt und wild mit den Armen herumfuchtelnd bei uns durch den Garten flitzte und ständig: »Legoschwanz, Legoschwanz!«, rief. Das ging einige Tage so. Den Begriff hatten meine Frau und ich noch nie gehört und uns war auch nicht bekannt, dass der besagte Hersteller dieser Plastiksteckbausteine etwas Ähnliches im Programm hatte. Nach längerem Nachforschen, intensiver Recherche und Studium seiner Performance kamen wir dann irgendwann darauf, was Junior meinte. Nämlich nicht den »Legoschwanz«, sondern das Luke-Skywalker-mäßige »Laserschwert«.

      Ein Jahr später antwortete er an einem Sonntagmorgen auf meine Frage, ob er denn Milch oder Tee zum Frühstück trinken wolle, mit: »Ein Glas Wein bitte, Papa!«, und ich habe echt keine Ahnung, wie er darauf kam.

      Juniors Lieblingsplüschtier ist übrigens ein kleiner Stoffigel. Von ihm genannt: »Der Igie.«

      Wegen dieses Igies musste ich öfter schon so manche zusätzliche Autofahrt in Kauf nehmen, weil er irgendwo vergessen wurde und seine abendliche Nichtgesellschaft jedes Mal eine Tragödie bei uns auslöste. »Ich kann ohne Den Igie nicht einschlafen«, hieß es da aus tränenüberströmten Augen oder: »Ich werde Den Igie niemals nie wiedersehen.«

      Was macht man da als liebende Eltern? Natürlich rief man dort an, wo man zuletzt war, und hoffte, dass Der Igie dort irgendwo herumsaß. Das tat er dann zum Glück immer, also setzte ich mich in mein Auto und holte ihn ab.

      Eines Tages brachte ich Junior, wie jeden Morgen, kurz nach halb acht in die Kita. Er saß wie immer auf meinen Schultern, damit er einen besseren Rundumblick hatte, und rief plötzlich aufgeregt: »Papa, da vorn liegt ein Igie auf der Straße.«

      Dieser war natürlich im Zustand eines überfahrenen Pizza-Kartons samt Inhalt, was Junior zu intensiver und investigativer Fragestellung veranlasste.

      »Papa, hat der Igie nicht nach links und rechts geguckt, bevor er über die Straße gelaufen ist?«

      Ich: »Nein, hat er wahrscheinlich nicht, der arme Igie.«

      Junior: »Ach Papa, sei nicht traurig. Da kommt bestimmt nachher einer mit einer Pumpe und bläst den Igie wieder auf.«

      24 Stunden später ein ähnliches Szenario. Junior saß auf meinen Schultern und suchte aufmerksam die Straße ab.

      »Papa, der Igie ist nicht mehr da«, rief er freudestrahlend nach einer Weile. »Ich hatte gestern recht.«

      Wir liefen zehn Meter weiter und dann kam die große Enttäuschung.

      »Oh nein, jetzt liegt er da vorn. Papa, ich glaube, der ist tot!«

      Szenenwechsel: In Moskau auf dem schneeweißen Wintermarkt des Roten Platzes begegneten wir einem Schwarzen Weihnachtsmann. Einem in ein blutrotes Kostüm gesteckten afrikanischen Väterchen Frost. Zu diesem hatte Junior zum Glück nichts in seiner unnachahmlich kindlichen Direktheit gesagt. Den hatte er einfach nur mit offenem Mund und ausgestrecktem Zeigefinger angestarrt. Wahrscheinlich aufgrund der märchenhaften und wie aus einem seiner Zeichentrickfilme stammenden Kontraste.

      Apropos Väterchen Frost oder Väterchen Bifrost: Ich finde es super, dass in den ganzen Avengers-Filmen und den dazugehörigen 5000 Ablegern plus minus Superhelden jedweder Couleur und Gesinnung mitspielen. Thor, Black Panther, Iron Man, Loki, Hulk, Spiderman, Hawkeye, Falcon,