Könnte schreien. Carola Clever

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Название Könnte schreien
Автор произведения Carola Clever
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783347059184



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du mir das erklären?“

      „Erklären? Da gibt es nichts zu erklären. So was muss man einfach wissen, sonst kann man böse in etwas reintreten, was klebt, stinkt oder gefährlich ist!“

      „Bin heute etwas schwerfällig.“ Ich saß noch auf meiner Scholle im Universum.

      „Also, bei der Indianer-Nummer liegen die Typen den ganzen Tag auf der Lauer, warten auf ihre Chance. Wenn sie kommt, und sie riechen sie förmlich, schlagen sie zu, holen sich siegessicher ohne Umschweife ihren Skalp. Das kann schmerzhaft sein. Die Cowboy-Nummer dauert länger. Er kommt anonym in die Stadt geritten. Wortlos wird der Gaul vor dem Saloon festgeschnallt. Grußlos betritt er die Bar, bestellt einsilbig Whisky und säuft. Er hört, wie eine Tür oben in der ersten Etage geöffnet wird. Sein Blick schweift gelangweilt nach oben, stockt. Sein Blick heftet sich auf Donna Doria. Ihre Brüste hochgeschnallt und gut sichtbar, kommt sie aufreizend in was Kurzem die Treppe runter. Bewaffnet mit einem vollmundigen Siegerlächeln, das jeden noch so Wortkargen sofort flachlegen könnte. Beim Cowboy regt sich schon was. Sie erklärt die Konditionen. Der Cowboy nimmt ihr Angebot ‚saufen, baden, ficken’ wortlos, aber lächelnd an. Bis jetzt wusste niemand, woher er kommt, wie er heißt und warum er da ist. Das bleibt auch so, bis er ganz beiläufig zu ihr den Satz sagt, den die meisten nichtprofessionellen Mädels hassen: ‚Schatz, ich muss jetzt weiterziehen.’ Er zahlt seine Zeche, reitet, wie er gekommen ist, wortlos aus der Stadt zur nächsten. Tadaa!“

      Die Chefin streckte beide Arme aus. „Die Cowboy-Nummer.“ Ich schluckte.

      „Nun, ich bin schon so lange mit meinen Büchern und meinem Büro liiert, da weiß ich, was ich habe. Bis der Richtige kommt, muss ich noch viele Indianer und Cowboys küssen. Bei meinen Büchern aber weiß ich, wo sie herkommen, was sie wollen und wohin sie mich führen. Dafür zahle ich gern.“

      Mein Mund war wie bei einem Karpfen weit aufgerissen, saugte Luft ein. Ich verdaute, bevor ich antwortete: „Es tut mir unglaublich leid, dass du so ein Pech mit Männern hast. Aber vielleicht kommt ja eines Tages dein Traummann vorbei, der dich auf Händen trägt, dich mit Liebe überschüttet, guten Sex mit dir hat.“ Ich stand auf, legte meine Arme um ihren Hals, sah, dass sie Tränen in den Augen hatte, verstand das nicht. Sie war eine so tolle Frau. Waren die Typen alle blind?

      „Danke, Vali. Ich gebe nicht auf. Hoffnung ist doch das Letzte, was stirbt. Mach dir keine Sorgen, Vali. Vielleicht gehören wir alle auf die Couch. Ganz nach dem Motto: lieber schizophren als ganz allein!“

      Ich nickte zustimmend. Zwischenzeitlich waren meine Kollegen eingetroffen. Das hektische Treiben begann.

      HERZ ODER VERSTAND

      Abends in der Vorlesung war ich mit den Gedanken komplett woanders. Shit. Das konnte ich mir nun wirklich nicht leisten, denn ich hinkte mit dem Lehrstoff hinterher. Der Stoff war heute zwar interessant, aber das Herzblut fehlte bei mir. Ich war zu gern bereit, abgelenkt zu werden, zwang mich, Zeit für meine Lerngruppe einzuplanen, mich hinzusetzen, Notizen zu machen, den Stoff zu lernen, die Zusammenhänge zu verstehen. Und wenn ich es dann geschafft hatte, diese Reihenfolge einzuhalten, empfand ich keine Genugtuung oder Bereicherung. Von Freude ganz zu schweigen.

      Da war es wieder, dieses ohnmächtige Gefühl, das ich noch von früher kannte: eine Form der Frustration. Weil ich nicht wusste, was ich wirklich konnte, was mich überzeugte, worin ich gut sein könnte. Woher weiß der Verstand, was das Herz möchte. Ich glaubte, meine Verbindung war abgeschnitten!

       Könnte schreien.

      Hm … eigentlich wusste ich, was ich lieber täte. Ich hatte aber schon viel Zeit und Geld in dieses Studium investiert. Außerdem wusste ich nicht, wie ich den Umschwung schaffen sollte, empfand es als eigene Schmach, fühlte mich als Versager, weil ich mich vergaloppiert hatte. Jetzt war es mir peinlich, zurückzurudern und neu zu starten. Wie viele studierten wohl einen Fachbereich, der ihnen nicht wirklich lag? Etwas, das ihre Familie vielleicht wollte, aber sie nicht? Außerdem saß mir James Campbell im Nacken. Der würde mir den Stempel nicht ewig geben.

      Ich rief Molly auf den Plan. „Was sagst du dazu?“

      Molly saß auf der Couch und hatte die Arme voller Steiff-Tiere. Ich sah Hunde, Katzen, Meerschweinchen und Co. Sie blickte hoch, schaute mich an, zuckte unwissend mit ihren Schultern.

      Super, also auch keine Ahnung!

       Könnte heulen.

      Eintragung im Tagebuch. Was ich gut finde an meinem Unterbewusstsein, meinem inneren Kind Molly, ist die Tatsache, dass ich spüre, dass sie da ist. Was sich manchmal als schwierig gestaltet, ist, eine Kommunikation mit Austausch aufzubauen. Molly ist ein verstörtes, ängstliches und unsicheres kleines Ding, das nach außen eine Überlegenheit, ein fast sicheres Auftreten demonstriert bei völliger Unsicherheit und Ahnungslosigkeit. Dieses Täuschungsmanöver überzeugt mich nicht. Mary meinte ja, dass dies ein Lernprozess ist, ich einfach geduldiger sein müsste. Der erste Schritt wäre, bei jeder Entscheidung, bei jedem Gefühl innerlich auch Molly zu befragen. Das nimmt erst mal der Sache den Ernst. Plus zu lernen, mir und jemandem zu vertrauen. Das räumt unseren Gefühlen ein Mitspracherecht ein. Ich komme mir dabei komisch vor. Okay, wenn’s hilft!

       Ich gebe mein Bestes.

      WARMER REGEN

      Letzten Sonntag schaute dann der liebe Gott persönlich auf mich nieder. Er hatte sich eine Überraschung für mich ausgedacht, damit ich aus meiner Talsohle emporstieg, um die Welt mit fröhlicheren Augen zu betrachten. So musste es einfach gewesen sein, ich konnte es mir sonst nicht erklären. Oder hatte Gott meine Gebete erhört? Mein Flehen musste ziemlich laut gewesen sein.

      Xing Wu Lim und seine Frau, die mich kostenlos mit Vitaminen und Ballaststoffen fütterten und deren unerschütterlicher Fleiß mich tief beeindruckte, waren echte Freunde geworden. Ich bewunderte ihre Genügsamkeit, ihre Hoffnung, es in diesem Land zu schaffen und geschäftlich zu überleben. Sie teilten ihr Lachen, ihre Freude mit mir. Ich schätzte ihre für mich distanzierte Freundschaft, spürte ihr Vertrauen und ihren Respekt. Obwohl mein Beitrag zu ihrem Erfolg lächerlich war.

      Ich hatte meinen Prof konsultiert, weil ich unsicher bei der Vertriebsfrage war, hatte auch Probleme mit unserer Kostenaufstellung sowie der Umsetzung der Vertriebswege. Eigentlich wollte ich nur seinen Segen für meine Idee haben, hatte aber Angst, dass ich zu blauäugig an die Sache heranging und sich vielleicht ein Fehler in den Ablauf einschleichen könnte. Zielsicher wies er mich auf einige Probleme hin, die für ihn sofort sichtbar waren.

      Vorletzten Sonntag fuhren wir nach Scarborough. Xing Wu Lims Freund hatte dort einen kleinen verarbeitenden Vertrieb für Lebensmittel, so was wie Teigröllchen, Fleischbällchen, getrocknete Glasnudeln. Es dauerte bis in den frühen Abend, aber dann war es geschafft. Wir automatisierten die Produktion der Gemüsebrühwürfel, die in ihrer jetzigen Form sehr gut angenommen wurden, was leider aber zu zeitaufwendig war, um größere Mengen zu produzieren.

      Xing Wu Lim hielt mich für schlau, was ich nicht wirklich dementierte, weil ich in dieser Anerkennung baden wollte. Gleichzeitig aber versteckte ich meine Wissenslücken. Denn ohne die Hinweise und Korrekturen vom Prof wäre vieles bei der Produktion, der Kalkulation und dem Vertrieb danebengegangen. Vielleicht hätten meine Fehler auch Arbeitsplätze gekostet! Gott sei Dank hatte ich nach Hilfe gefragt. Der Mensch lebt von Anerkennung. Deshalb schmückte ich mich mit Federn, die eigentlich dem Prof zustanden. In Scarborough erwartete mich eine Überraschung. Xing Wu Lim reichte mir einen Umschlag über den Tisch. Als ich ihn vor seinen Augen öffnete, freute er sich sehr über meine Reaktion. Meine Augen strahlten, als ich zwei unterschiedliche Schecks herauszog. Aus steuerlichen Gründen, gab es für jede Sache einen Scheck. Der Shake und der Würfel sollten mich für die nächsten Monate retten.

      Ich verbeugte mich in demütiger Haltung vor seiner finanziellen und geschäftlichen Aufrichtigkeit.

      Dem Himmel sei Dank. Gott hatte mich erhört.

      LICHTWESEN

      Noch in derselben Nacht begann ich das Buch, das mir meine Chefin geliehen hatte, zu lesen. Ich saugte die Worte ein