Könnte schreien. Carola Clever

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Название Könnte schreien
Автор произведения Carola Clever
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783347059184



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schütze Jeff und seinen gelben Billy Boy. Was war nur los mit mir? Fast als wenn ich willenlos wäre! Litt ich unter Gefallsucht?

      Jeff sah meinen fragenden Gesichtsausdruck. Hob Billy hoch: „Gelb für Harmonie, Kreativität, mit eingebautem Zitronengeschmack. Die Nöppchen dienen der zusätzlichen Stimulation, haha und sind rein optisch eine vorgetäuschte Vergrößerung. Haha, es lebe die Täuschung und der Größenwahn!“

      „Haha“, lachte ich amüsiert, liebte seine entspannte Ehrlichkeit.

      Jeff entpuppte sich als einfühlsamer Liebhaber, der wusste, was Frauen wünschten. Er war groß, schlank mit muskulös gewölbtem Waschbrettbauch. Zwischen seinen Rippen hätte man die Gitarren-Hymne von Carlos Santana spielen können. Sein Bauch kam definitiv nicht vom Bierkästenschleppen.

      Nein, es war keine akrobatische Kronleuchter-Nummer. Erstaunt stellte ich fest, dass wir überhaupt nicht fremdelten. Ein unsichtbares Band hatte uns verbunden. Entspannt schlief ich nach dem Sex sofort ein.

      Mitten in der Nacht wurde ich wach. Die Halsschmerzen waren nicht zu ertragen. Jeff wurde vom Husten wach. Besorgt lehnte er sich über mich: „Warte zehn Minuten. Ich gebe dir ein garantiert natürliches Hilfsmittel. Eine lang erprobte Medizin gegen Halsschmerzen und bösen Husten, gesünder als Aquavit.“

      Ich nickte, während ich nieste.

      Jeff sprang mit einem Satz aus dem Bett. Ich hörte ihn unten in der Küche werkeln, strich mit den Händen über die herrliche Bettwäsche. Ein weißer Traum in Seide. Dagegen lag ich in meinem Bett wie auf Stroh. Die Doppeltür flog auf. Jeff im Adamskostüm ohne Feigenblatt balancierte ein Tablett durchs Zimmer, nahm die Serviette, legte sie mir mit einer Kette um den Hals, begann, mich zu füttern.

      „Ich dachte, du bringst Medizin“, nuschelte ich mit vollem Mund.

      „Das ist Medizin. Wir nennen es jüdisches Penicillin.“

      Während der Fütterung blies er vorsichtig über den Löffel. Ich wusste gar nicht mehr, wann ich zuletzt krank war und gefüttert wurde, leerte brav die Schüssel. Erschöpft sank ich in die Kissen. Jeff küsste mich zärtlich am Hals entlang. Ich fühlte mich geliebt und begehrt, fiel in einen tiefen Schlaf. Molly verdrehte ihre Augen, umarmte sich selbst und schien zufrieden zu sein.

      AM ANDEREN MORGEN

      Durch die Fensterläden kam zwar keine Sonne, aber das Licht brach sich dennoch gestreift an den Wänden. Die edlen Seidenschals bewegten sich wie Segel im Luftzug. Ich schaute auf die andere Seite, Jeff lag nicht im Bett. Ich fühlte meinen Hals, schluckte. Tatsächlich, alles gut. Das Kratzen war weg.

      Im Bad setzte ich mich auf den Wannenrand, während ich in den Spiegel schaute, sinnierte erschrocken über meinen Anblick. Gosh, wie war das möglich? Da schaute mich jemand an, den kannte ich überhaupt nicht.

      Ich sah aus wie nach der zehnten Runde im Ring mit Sugar Ray Robinson: die Augen glasig, dick und verquollen, die Lippen rissig, etwas schief, die Nase gerötet, fast doppelt so groß.

      Ich duschte ausgiebig. Jeff hatte eine ganze Batterie von Flaschen und Tuben zur Auswahl. Ich kam mir vor wie im Drogeriemarkt, zog mich an. Hüpfend sprang ich die Treppen herunter, hatte nur noch anderthalb Stunden. Dann musste ich bei der Arbeit aufschlagen.

      Jeff, im feinsten dunkelblauen Zwirn, die Krawatte ordentlich gebunden, stand gelassen am Kaffeeautomaten. Auf dem Tresen hatte er mir einen Früchteteller mit Bircher-Müsli auf meinen Platz gestellt. Er umarmte mich küssend. „Guten Morgen, Süße! Naaa? Hat die Medizin gewirkt?“

      „Kann es immer noch nicht glauben! Entweder war es der Aquavit oder die leckere Hühnersuppe. Auf jeden Fall sind die Bazillen ausgewandert.“ Klein-Molly zeigte sich mit erhobenem Daumen, signalisierte: Sie fand Jeff gut.

      Wir frühstückten, tauschten schweigend liebevolle Blicke aus, verließen anschließend hektisch sein Haus, fuhren einige hundert Meter auf der Post Road, bevor wir abbogen. Jeff fuhr mich direkt nach Hause, wartete im Auto, während ich mich oben in meinem Zimmer umzog.

      Mrs. Clark hatte mir gar nicht die Tür geöffnet. Ob sie wohl zu Hause war? Während ich die Treppe wieder heruntersauste, klopfte ich mehrfach an ihrer Tür. Nichts. Hm … merkwürdig! Ich schloss die Haustür gleich zweimal ab. Jeff spielte den Butler, hielt galant die Wagentür auf, während er sich steif verneigte. Mit quietschenden Reifen startete er durch. Um drei Minuten vor neun stieg ich küssend aus dem Wagen, überquerte die Straße und ging ins Büro. Die Chefin öffnete mir die Eingangstür.

      „Hallo Valentina. Guten Morgen. Schön dich zu sehen und dass du pünktlich bist. Deine Kollegen sind noch nicht da. Alles gut?“

      „Exzellent. Besser geht’s nicht. Wieso fragst du, stimmt etwas nicht?“

      Ich schaute an meinem Hosenanzug herunter, richtete meine Bluse, bürstete einige Haare von meinen Schultern, überprüfte, ob mein Reißverschluss an der Hose geschlossen war. Alles schien in Ordnung.

      „Du siehst irgendwie verändert aus. Nichts Spezifisches, aber definitiv anders.“

      „Sicherlich meinst du meine Augen, Lippen und Nase. Gestern wollte sich die Pest verbreiten. Habe sie aber erfolgreich mit Aquavit und Hühnersuppe bekämpft. Nase, Lippen und Augen sind nur die äußerlichen Flurschäden, die länger brauchen, um sich zu erholen.“

      „Haha, köstlich. Du hast jüdisches Penicillin genommen? Damit fühlt man sich so und sieht auch so aus! Komm rein und setz dich in mein Büro. Ich hol uns schnell einen Kaffee.“

      „Lass mal. Du setzt dich. Ich hole den Kaffee. Dies ist eine Serviceleistung aus dem Hause Behrmann. Mach mich bloß nicht arbeitslos.“ Ich trug die großen Tassen ins Büro. „Hast du dein Buch ausgelesen?“

      „Meinst du das berühmte Sex-Buch? Von dem kreativen Schriftsteller aus dem Elch-Land? Was vor vielen Jahren schon verboten war? Was vom Markt genommen wurde? Das auf die Schwarze Bücherliste gesetzt wurde?“

      „Wie? Es gibt eine Schwarze Liste? Das wusste ich gar nicht. Du sagtest nur, dass es ein Buch über Sex ist. Ich war Zeuge, wie du es wie eine hungrige Kreuzotter verschlungen hast.“

      „Nun, wenn du es gelesen hättest, wären danach auch für dich keine Fragen offengeblieben. Es ist kein Garantiefahrschein für die Liebe, aber im Bett fesselst du damit jeden Mann an dich. Sogar so, dass er dir bettelnd aus der Hand frisst und nach mehr bettelt, dir die Füße küsst, um die Rolle rückwärts zu machen.“

      „Wirklich?“

      „Wirklich! Denk dran, viele Menschen verwechseln Sex mit Liebe. Das ist normal, wenn man jung ist. Wahre Liebe ist etwas ganz anderes. Sex gehört zur Liebe und Liebe gehört zum Sex. Aber Sex allein ist kein Bindeglied auf lange Sicht. Und Liebe ohne Sex ist Freundschaft.“

      Hilfe, das war eine Packung. Das musste ich mir noch mal auf der Zunge zergehen lassen. Die Chefin stand auf, klopfte mir auf die Schultern.

      „Bring dir meine Rarität nächste Woche mit, dann kannst du mal einen Schnupperkurs der Extraklasse belegen. Ich habe nur eine Bitte: Hüte es wie deinen Augapfel! Um an diese Ausgabe zu kommen, musste ich echt Klimmzüge machen.“

      „Danke für dein Vertrauen. Danke für deine Unterstützung bei meiner Wissens- und Bewusstseinserweiterung!“

      COWBOYS UND INDIANER

      Nachdem Jeff mich morgens am Büro abgesetzt hatte, wollte die Chefin wissen: „Wer war denn der silberne Zweisitzer?“ Ich schwieg.

      „Was Neues?“, drückte sie nach. „Interessantes?“ Flammen der Neugierde züngelten.

      Ich nickte verlegen.

      „Da draußen laufen viele verrückte Spinner rum. Habe gerade selbst wieder diese Erfahrung gemacht, kann dich nur warnen.“

      „Wovor?“

      „Indianern oder Cowboys.“

      „Wie bitte? Indianer oder Cowboys? Die gibt es hier doch gar nicht.“

      „O