Könnte schreien. Carola Clever

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Название Könnte schreien
Автор произведения Carola Clever
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783347059184



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davon an.“

      Meine Augen leuchteten fröhlich wissend. Ja, da schau her! Ich hob mein Glas, leerte es in einem Zug.

      Jeff zog die Augenbrauen fragend hoch. „Stimmt etwas nicht?

      „Ich glaube, ich bekomme eine Erkältung. Mein Hals kratzt, mein Magen grummelt.“

      „Oh, das tut mir leid. Kann ich etwas dagegen tun?“

      „Einen Aquavit?“, lachte ich. Wurde ich jetzt dreist oder mutig?

      „Kommt sofort.“ Jeff sprang auf und füllte großzügig ein Glas.

      „Ich töte mit Hochprozentigem Bakterien ab, aber baue mich mit dem Apfel wieder auf.“

      Er strahlte mich an. „Ja wenn’s denn hilft!“

      „Wohnt deine Familie auch in Willowdale?“, fragte ich wieder neugierig.

      „Bin quasi von ihr umzingelt. Wie die Iglus der Eskimos bilden wir auf dieser Straße einen Kraal. In den zwei Häusern rechts wohnen meine Brüder mit Familie. Die links bewohnen meine Eltern und meine Schwestern. Tanten und Onkel bilden den krönenden Abschluss.“

      „Wohnst du hier allein im Haus?“

      „Ja! Bin seit drei Jahren geschieden. Meine Frau ist damals mit den Kindern ausgezogen. Sie zog drei Straßen weiter. Danach hatte ich keine Lust, mir etwas Kleineres zu suchen. Auch war ich eine lange Zeit emotional nicht in der Lage, eine Veränderung einzuleiten. Außerdem ist es bequem, denn die Kinder können zu Fuß zu mir kommen. Meine Familie organisiert meinen Haushalt, kümmert sich um Wäsche, Kochen und Putzen und was es sonst noch zu regeln gibt. Unsere portugiesischen Perlen Hanna, Marena und Helena sind sozusagen von uns adoptiert. Sie werden auf sechs Familien aufgeteilt und wohnen im Anbau meiner Eltern.“

      Was sollte ich dazu sagen? So wie ich das sah, passte meine Hundehütte gleich zweimal in seinen Flur. Ich beschloss wieder: Jeff darf niemals mein Zimmer betreten. Ich würde mich zu Tode schämen. Warum eigentlich? Es konnte ja nicht jeder mit goldenem Löffel im Rachen geboren werden!

      „Sollen wir das Thema wechseln?“, fragte Jeff. „Du siehst so nachdenklich aus.“

      Stille. Ich traute mich nicht zu antworten.

      „Bedrückt dich mein Haus?“

      Ich antwortete nicht, aber senkte meinen Blick. Jeff rückte näher, legte seinen Arm um mich, schaute mich durchdringend an.

      „Lass dich bloß nicht von diesen Äußerlichkeiten beeindrucken. Materiellen Reichtum kann man sich hart erarbeiten. Er kann vererbt oder geschenkt werden, aber auf keinen Fall ist er ein Garant für Glück und Zufriedenheit. Viele Menschen sind glücklicher auf weniger Raum mit weniger Geld. Lass dich also nicht täuschen!“ Jeff hauchte einen flüchtigen Kuss auf mein Ohrläppchen.

      Ich strahlte ihn an. Es waren diese und andere Aussagen, die ihn für mich so unglaublich sympathisch machten. Oder brauchte ich sein verbales Trostpflästerchen, um mich besser zu fühlen? Jeff musste eine Kugel haben oder wo sah er, was ich dachte oder fühlte?

      „Schön, dass du das sagst.“ Im Hintergrund sah ich Molly. Die kickte den Karton mit der Aufschrift „Minderwertigkeitsgefühle“ in den Keller, hob drohend ihre Faust in meine Richtung. Waaas? Hast du dich noch nie mickrig gefühlt?, schrie ihr mein Unterbewusstsein zu.

      Jeff legte den zweiten Arm um mich. Wir küssten uns innig. Seine Arme wickelten meine Gefühle ein, liebkosten sie. Nach diesem intensiven Kuss schaute mir Jeff noch tiefer in die Augen. Schwindel stieg auf.

      „Soll ich dir was sagen?“, flüsterte Jeff über meinen Scheitel.

      Mollys Pupillen weiteten sich fragend. Sie hielt beide Daumen hoch. Wieso wusste sie, was kam?

      „Ich bin total verliebt in dich!“

      Ich schluckte mehrfach, denn mein Gaumenzäpfchen ging rauf und runter wie eine Quecksilbersäule. „Schon als ich dich zum ersten Mal gesehen habe, merkte ich eine körperliche Reaktion. Als du dann beim zweiten Mal die Treppe herunterkamst, breitete sich ein wärmendes Gefühl in mir aus. Deine Aura muss meine berührt haben, denn wie auf einer Pferderennbahn galoppierte mein Herz ununterbrochen. Du machst süchtig!“

      „Wow!“ Ich senkte meine Augenlider. Das hatte man mir noch nie gesagt. Ich fühlte, wie sich mein Blut aufgeschäumt in die Venen-Wildwasserbahn zwängte, kratzte mich am Hinterkopf, drehte meine Haare in eine Nackenrolle.

      Hiiilfe! Wie gern hätte ich jetzt eine geraucht, etwas Hochprozentiges getrunken! Egal, irgendeinen Krückstock, nur um meine Unsicherheit und Nervosität zu bekämpfen. Ich atmete tief durch. Was für eine Liebeserklärung! Mit beiden Daumen rieb ich am Zeigefinger entlang. Das beruhigte.

      „Liebes, ich würde so gern mit dir schlafen, dir meine wahren Gefühle zeigen!“

      Ach, du liebe Zeit, mit Ansage! Seine direkte Art machte mich vollkommen unsicher, schob verlegen eine lange Strähne aus meinem Gesicht. Jeff erhob sich, zog mich mit einer Hand von der Couch hoch und ging in Richtung Treppe.

      Das Schlafzimmer hatte weiße hohe Doppeltüren, die sich zu einem hellen Salon öffneten. Ich schaute auf einen antiken Schminktisch mit Spiegel. Französische filigrane Sitzmöbel, kleine Beistelltische standen auf einem zartgrünen Gobelin mit Jagdmotiv. Genau: Jäger und Sammler.

      Ein holländischer Altmeister grüßte von den Wänden. Könnte ein Bruegel sein, seine Blumenstillleben haben einen besonderen Wiedererkennungswert. Hallo Oma Clara, merkst du was? Ich habe gut aufgepasst, als du mir die Feinheiten der Kunst erklärt hast.

      Im Schlafzimmer wölbten sich weiße Rohseidenschals von der Decke. Das moderne Bett stand erhöht vor der hinteren Wand. Es sah edel und trotzdem einladend aus. Das superhohe Kopfteil, das treppenförmig nach oben verlief, in dessen Spitze eine Krone aus Kristallen funkelte, ließ mich träumen von Prinz und Prinzessin. Wie in Trance begann Jeff, mich zu entkleiden. Feinfühlig tasteten seine Finger meinen Körper entlang. Lässig warf er meine Kleidung rückwärts über den Louis-XVI.-Sessel neben einem kleinen hochbeinigen Tischchen. Verschämt wölbte ich meine Hand als Schild über beide Brüste. Meine andere legte ich über meine Scham.

      Es war immer dasselbe. Unter den beobachtenden Augen jeden Gegenübers fühlte ich mich verletzlich und nackt. Ich meine wirklich nackt … schutzlos. Hatte ich Angst vor dieser Nähe? War es der für mich unkalkulierbare Jäger, der die Sammlerin überraschte verschreckte?

      Szenen elterlicher Überraschungen in diversen Hotelzimmern drängten auch heute wieder in mein Bewusstsein. Martin war in meinen Augen eine verunglückte Spezies namens Sammeljäger. Ella jagte seinem Sammelgut hinterher. Was war ich? Wie sollte ich meine Position finden?

      Jeff drehte sich um. „O Valentina! Du siehst aus wie die Venus von Milo. So anmutig. So schön! Auch wenn deine Haltung Abwehr und Unsicherheit ausdrückt.“

      Ich staunte, dass er das sehen konnte, erinnerte mich. Sabia hatte erklärt, Körpersprache mache über siebzig Prozent unserer Kommunikation aus. Na super … dann hatte ich die gerade versemmelt.

      Genau das wollte ich nicht vermitteln.

      Jeff nahm mich schützend in seine Arme, küsste mich fordernd. Dabei drückte er mich in Richtung Bett. Wir knutschten im Liegen. Mein grün berockter Jäger war zärtlich. Plötzlich stützte er sich auf seinen Ellbogen, fragte besorgt: „Ich hoffe, du willst es auch?“

      Ich antwortete nicht gleich, war unsicher. Mit Jeff war es anders. Ich fühlte mich ein wenig überrumpelt. Vielleicht war es sein bettelnder Blick oder seine offene Bewunderung, die mich umstimmte und meine Wünsche hintanstellen ließ. Keine Ahnung. Ich nickte, während ich seine Augenlider küsste. Kaum hatte er meine Zustimmung, zeigte seine Erektion zur Stuckdecke. Es zeigte sich Jeff, der Mega-Kuschler, der mich mitnahm und eintauchte in ein Gefühl voller Zärtlichkeit. So entrückt lagen wir auf dieser weichen Scholle im Universum, eine scheinbare Ewigkeit. Er beugte sich über mich, während seine ausgestreckte Hand in der Schublade den „Billy Boy“ mit seitlich kleinen Noppen