Könnte schreien. Carola Clever

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Название Könnte schreien
Автор произведения Carola Clever
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783347059184



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sind für Sie. Schöne Grüße von meiner Schwester. Wir wissen Ihren Einsatz zu schätzen. Sie machen das großartig. Äh … für dich, Valentina.“

      Ich stotterte meinen Dank, der begleitetet wurde von einem Unwohlsein, das sich als Grummeln im Magen äußerte.

      Am nächsten Tag erwartete mich Werner mit laufendem Motor an der Ecke zum Shopping-Center. Ich stieg in sein schwammiges Wüstenschiff, grüßte ihn freundlich, aber knapp. Er strahlte mich an, streifte sich in Gigolo-Manier mit flacher Hand seitlich über sein weiß gewordenes Haar, gab mir einen galant-aufgesetzten Handkuss. Schmierfink! Irgendwie war er mir unangenehm. Sein Handkuss war sicherlich eine nette Geste, aber ich empfand ihn als schleimig.

      Für sein Alter fuhr Werner ziemlich rasant auf dem Don Valley Parkway in nordwestlicher Richtung. Ich mutmaßte, seine Schwester war wohl schon vor Ort, hatte sie lange nicht mehr gesehen. Wir sprachen meist am Telefon. Werner erklärte mir das neue Projekt. Heute sollte ich mal eben für meinen Vorführeinsatz von drei Stunden schlappe vierhundert Dollar verdienen. Ein Vermögen! Der Stundenlohn war gut und würde mein Konto auf ein neues Niveau bringen. Mein Ticket rückte in greifbare Nähe. Ich freute mich, dass beide in mir ein Model sahen. Maße und Größe könnten ja stimmen. Abgemagert auf achtundfünfzig Kilo, wallende Naturlocken à la Shirley Temple. Römische Nase à la Medici. Aristokratische Haltung. Okay … ich driftete in Selbstbeweihräucherung ab, ließ es gut sein.

      Werner fuhr mit Kickdown, überholte rasant andere Autos. Entweder waren wir spät oder er musste pünktlich sein. Ich konnte mir seinen aggressiven Fahrstil nicht erklären, schaute aus dem Fenster, hatte keine Ahnung, wo wir waren. Wir fuhren bereits über fünfundvierzig Minuten auf dem Highway. Nichts kam mir bekannt vor. Wahrlich eine große Stadt!

      Endlich bog er ab. Wir standen vor einer Ampel, warteten. Werner erklärte, dass wir zu einem neuen Industriegebiet fuhren. Nach Kurven bog er auf ein riesiges Gelände ab. Die lange bläuliche Wellblechhalle erstreckte sich über den Großteil des Grundstücks. Die Nachbargrundstücke waren noch nicht bebaut, aber für bauliche Maßnahmen mit Seilen schon abgesteckt. Alles sah sehr neu aus. Werner hielt direkt vor der Eingangstür, öffnete die Tür mit einem dicken Schlüsselbund, den er von innen stecken ließ, schaltete das Licht direkt am Eingang ein. Der hintere Teil der Halle erhellte sich im beißenden Licht.

      Ich schaute auf fahrbare Kleiderstangen, zählte sie leise. Es müssen locker dreißig Stück gewesen sein. Dicht an dicht hingen die Sachen, fein geordnet nach Größe, Farben und Einsatzmöglichkeiten. In einer Ecke standen drei große Ledersofas in U-Form. Werner schaltete die Stereoanlage ein, die auf dem weißen Sideboard thronte. Er wählte etwas Peppiges. „Ah … hier ist sie, die Queen of Soul, Aretha Franklin. Magst du sie? Ihr Rhythmus sollte zum Vorführen gut sein.“

      Ich kannte sie nicht, aber ein zwei Lieder hatte ich schon gehört. Car Wash war für mich neu.

      „Meinst du nicht, es ist etwas zu schnell?“

      Er nickte. „Okay, dann nehme ich Gladys. Okay, Süße!“. Er klatschte in die Hände. „Schlage vor, du suchst dir etwas aus, was du gern anziehen möchtest, und dann legst du los.“ Dabei lächelte er freundlich, machte eine galante Handbewegung und beugte sich vornüber.

      Mich störte, dass er mich auf einmal Süße nannte, ärgerte mich, dass ich nicht genügend Mut aufbrachte, um ihn zu korrigieren. Ich ging zu den hinteren Ständern, wählte einige Sachen aus, die ich auf einen leeren Ständer hängte, sortiert nach Farben. Ich drehte mich um, suchte mit den Augen in der Halle: keine Fenster, keine Türen.

      „Wo sind die Umkleidekabinen?“, fragte ich.

      „Die haben wir gestern abgebaut und an das andere Ende der Halle verlegt, weil der Boden erneuert wird. Aber bleib locker, du kannst deine Sachen hier über die Lehne der Sofas legen. Hier kommt nichts weg. Ich passe auf wie ein Luchs“, erwiderte er strahlend.

      Sah ich richtig oder hatte Werner einen hochroten Kopf? Sah aus wie Bluthochdruck! Ich holte tief Luft, zog meine Schultern zurück, gab mir innerliche Anweisungen, während ich mir die Haare zum Dutt steckte: Vali, sei nicht komplizierter als erlaubt. Zieh das Ding durch, umso schneller bist du wieder zu Hause.

      Werner hatte auf dem Sofa Platz genommen, die Beine übereinandergeschlagen, seinen rechten Arm auf der Sofalehne ausgestreckt. Der andere lag im Schoß: eine lässige Haltung. Sein übergeschlagenes Bein wippte nach der Melodie. Das Geld lag abgezählt, ausgebreitet wie ein Fächer auf dem Tisch.

      Mit der Fernbedienung stellte er die Lautstärke lauter. Ich konnte mein eigenes Wort nicht mehr hören, stand jetzt in BH und Slip vor dem Ständer, musste innerlich lachen, wenn ich an die wollenen Liebestöter von Ella dachte, die sie Weihnachten schickte. Das wär’s doch jetzt, wenn ich die anhätte. Ich wählte einen samtweichen gelben Hausanzug. Werner zeigte wortlos auf die Pumps, die vor der Kleiderstange standen. Pumps waren nun wirklich keine geeigneten Schuhe für einen Hausanzug, aber wenn er meinte! Kaum hatte ich die Pumps übergestreift, zeigte Werner auf den roten langen Teppich, der quer durch die Halle ging, bedeutete mir mit seinen Händen, dass ich darauf auf und ab gehen sollte. Ich hasste seine Manieren, sein ungepflegtes Äußeres, seine abschätzenden Handbewegungen. Sie hatten etwas Erniedrigendes, Abwertendes.

      Werner brüllte seine Worte: „Ich hole uns zur Feier des Tages Champagner aus dem Kühlschrank. Möchtest du auch einen oder etwas anderes?“

      Was für eine Feier des Tages? Ich brüllte zurück: „Kein Champagner, bitte.“

      Ich hasste das perlige Zeug so früh am Tag, musste davon aufstoßen, bat um Wasser. Werner stand auf, holte aus dem nahestehenden Kühlschrank Wasser und Champagner, goss die Getränke in die bereitgestellten Gläser, setzte sich wieder, schlug die Beine übereinander und sank süffisant lächelnd tief in die Couchkissen.

      Ich marschierte los. Wie ein Storch im Salat. Kopf hoch, die Schultern zurückgezogen, den Bauch eingezogen, das Kreuz durchgedrückt. Das Becken nach vorn geschoben, stolzierte ich auf dem Teppich auf und ab, war mit meinem unnatürlichen stelzigen Gang zufrieden. Werner schien es auch zu sein. Ich zog mich um und das Spiel ging von vorne los. Ich zählte die Reihenfolge der Lieder, schätzte ihre Dauer, um einen zeitlichen Überblick zu bekommen. Werner saß jetzt irgendwie anders auf der Couch. Es sah aus, als notierte er sich etwas auf einem Block. Oder täuschte mich meine Wahrnehmung?

      Werner bedeutete mir mit der Hand, dass ich Badeanzüge anziehen sollte. Dazu müsste ich unter dem Chiffon-Nachthemd mit passendem Mantel meinen BH ausziehen. Ich überlegte, wie ich das gekonnt und souverän gestalten könnte, ohne mich vor ihm völlig zu entblößen. Zum Umziehen musste ich in die Nähe der Couch kommen. Dann sah ich es. Völlig perplex starrte ich auf seine Bewegungen. Er schüttelte seinen Arm wie verrückt, hatte einen völlig verklärten Gesichtsausdruck. Er sah aus, als wenn es gerade geblitzt hätte. Schockiert und angewidert blieb ich stehen, sortierte, was hier vorging. Seine Schwester war nicht da. Wieso war mir das nicht gleich aufgefallen? Wir waren mit seinem Auto gekommen. Ich war abhängig. Wir waren völlig allein, irgendwo in der Prärie. Im Industriegebiet gab es sicherlich noch keine Telefonzellen.

      Was machst du, wenn er dich überrumpelt? Vergewaltigt? Einsperrt oder dich zum Sterben hier liegen lässt? O Gott, wie leichtgläubig ich gewesen war! Ich erinnerte mich an einen Vortrag in der Runde bei Sabia, wie die Vortragende eine ähnlich brenzlige Situation meisterte, und fasste einen kühnen Entschluss, der von Angst gesteuert war.

      „Showtime!“, herrschte ich ihn laut mit einem breiten Lächeln an.

      Werner zuckte. Ich drehte mich lässig, fast anzüglich um, damit er mich von hinten sah. Theatralisch wie im Film, warf ich den farblich passenden Mantel meines tief dekolletierten Nachthemds schwungvoll über die Schultern, strahlte den Idioten wieder mit breitem Lächeln an. Er sollte sich in Sicherheit wiegen. Ich wackelte zusätzlich mit dem Po, dass selbst mir schwindlig wurde. Werner drehte durch und schüttelte weiter.

      Ich suchte mit den Augen nach dem Ausgang, erkannte ihn ganz hinten, weil er mit „Exit“ gekennzeichnet war, überlegte, während ich eine forsche Dreihundertsechzig-Grad-Drehung machte, ob er den Schlüssel abgezogen hatte oder