Der Drachenzahn. Wolf Awert

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Название Der Drachenzahn
Автор произведения Wolf Awert
Жанр Языкознание
Серия Drachenblut
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783959591812



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Fäuste. Sie tastete über ihre Stirn und zuckte zusammen. Die Faust musste sie irgendwo zwischen Schläfe und Wangenknochen getroffen haben. War sie dem Schlag im letzten Moment ausgewichen? Das war schwer vorstellbar. Andererseits, hätte diese Faust sie richtig getroffen, lebte sie nicht mehr. Froh, dass ihr Kopf wieder zu arbeiten begann, suchte sie die ersten Worte zusammen. „Ich heiße Tamalone“, sagte sie. „Aber meine Freunde nennen mich Tama. Seid Ihr mein Freund? Und wohnt Ihr hier?“

      Der Tiermensch riss den Kopf hoch. Große Augen, glatte Haut. Kein Fell oder Gefieder und plötzlich ganz viele Gefühle auf einmal. Hass und Verzweiflung, ein Lachen, das nach Galle schmeckte. Aber auch leises Staunen. Dann wieder Wut. Wut ist besser als Hass, dachte Tama bei sich. Wut ist heiß, man kann sie kühlen. Hass ist kalt, und je älter er ist, desto schwieriger ist es, ein Feuer für ihn zu finden. Ich muss weiterreden. Er kann mich hören. Ich muss herausfinden, ob er mich auch verstehen kann. In Gedankensprache versuchte sie es erneut: „Es geht Euch nicht gut. Was fehlt? Wobei kann ich Euch helfen?“

      „Torso. Hunger.“ Dann zeigte er mit dem Finger auf Tama, sagte noch: „Viel Fleisch“, und schüttelte dann ratlos den Kopf. Er öffnete ein paarmal das Maul. Ein Quaken und Blubbern und ein unverständliches Gurgeln. Dann wieder Gedankensprache in klaren, langsam und sorgfältig formulierten Worten: „Du kannst sprechen. Du bist Erste, die mit Torso spricht. Auch Schlangenauge spricht nicht, und der ist …“ Torso sprach ein Wort aus, das Tama nicht kannte, und unterlegte es mit Gefühlen wie Himmel, Größe, Allmacht, Wärme und Essen. „Was ist besser? Hunger und Sprechen oder runder Bauch und Schweigen?“ Er schüttelte wieder den Kopf.

      „Runder Bauch und Reden“, sagte Tama.

      „Geht nicht“, sagte Torso.

      „Erst reden und dann essen.“

      Torso schien nachzudenken. Dann nickte er sehr zögerlich. „Geht. Aber Torso will reden, essen und dann wieder reden.“ Er schaute Tama von Kopf bis zu den Knien an. „Das geht nicht“, sagte er.

      „Wir werden einen Weg finden“, sagte Tama, stand auf, schwankte und wäre umgefallen, wäre Torso nicht losgesprungen und hätte sie aufgefangen. Und so standen sie zusammen. Torso hielt Tama fest, und Tama fühlte die Unentschlossenheit in diesem stinkenden Körper und die Unfähigkeit, eine Entscheidung zu treffen. Torso wusste wirklich nicht weiter.

      „Halt mich fest. Mir ist noch ein wenig schwindelig.“ Sie klammerte sich an ihn und die Fetzen, die er trug, weil sie unter allen Umständen auf den Füßen bleiben wollte. Voller Zufriedenheit stellte sie fest, wie der Hass sich zurückzog. Er war immer noch da, und nichts würde ihn vertreiben können, aber er hatte sein Ziel verloren oder ein anderes gewählt, das nicht mehr Tama hieß. Nur die Verzweiflung war geblieben. Die allein würde schon dafür sorgen, dass der Hass zurückkam. Früher oder später. Aber bis dahin … Tama nahm Torsos Hand, zog ihn in Richtung Wand, wo die kleine Lampe brannte und rutschte an dem Mauerwerk herab. Torso zog sie mit sich. „Wer ist Schlangenauge?“, fragte sie.

      „Er schickt mir manchmal jemanden zum Essen. Hat er dich auch geschickt?“

      Tama schüttelte den Kopf. „Ich habe meinen Weg verloren, aber dafür habe ich dich gefunden.“

      „Er beschützt mich“, sagte Torso und verband seine Gedanken mit Bildern von der Bürgerwehr, die er im Hass erstarren ließ.

      „Die Elfenleute sind also deine Feinde.“

      Torso zuckte mit den Schultern. „Weiß nicht. Sie Angst vor mir und Schlangenauge.“

      Die Bürgerwehr patrouillierte mit dem Segen der Stadtelfen durch die Straßen. Tama konnte sich nicht vorstellen, dass sie vor einem Tiermenschen Angst hatte. Und vor Schlangenauge auch nicht. Sie würde herausfinden müssen, was da lief.

      „Ich hole Essen“, sagte sie. „Kannst du mich bitte zum Torbogen bringen. Ich bin noch etwas schwach nach dem Sturz.“ Sie drückte Torso an sich. „Ich helfe Freund Torso. Reden, essen, reden.“

      Der Tiermensch stand auf, nahm Tama auf den Arm und begann zu springen. Immer mit beiden Beinen gemeinsam, wie Frösche es tun, und in wenigen Sätzen standen sie unter dem Torbogen. Tama schaute sich um. Sie versuchte sich zu erinnern, wo es nach Essen gerochen hatte, als sie den Platz betreten hatte. „Torso, warte. Ich muss allein gehen.“

      Und dann marschierte sie los. Auf Beinen, denen jede Festigkeit fehlte aber die mit jedem Schritt an Sicherheit gewannen. Sie spürte Torsos Augen Löcher in ihren Rücken brennen. Deshalb ging sie langsam, fand das Haus und klopfte an die Tür.

      „Hunger“, sagte sie und verband das Wort mit der Bitte und die Bitte mit Mitleid. Der Mann, der ihr die Tür geöffnet hatte, schüttelte den Kopf und wollte die Tür schon wieder schließen, als Tama forderte: „Gib!“. Ihr Wille schlug Löcher in den Schädel des Mannes. Der drehte sich um und ging den Weg zurück, den er gekommen war. Um die geöffnete Tür kümmerte er sich nicht mehr.

      Tama nahm nicht viel. Hier wohnten arme Leute. Die Männer kämpften für Schlangenauge oder hatten für ihn gekämpft. Sie waren schon froh, wenn sie genug für sich und ihre Familien hatten. Sie nahm etwas Brot mit sich und einige Zwiebeln. Nach einigem Nachdenken nahm sie auch noch ein Stück Speck mit und bezahlte dafür mit den zwei kleinen Stückchen Kupfer, die Schlangenauges Leute bei ihr übersehen hatten, als sie sie durchsuchten. Sie hoffte, dass es ausreichte. Dann kehrte sie zu Torso zurück, der unruhig gewartet hatte.

      „Jetzt essen und dann wieder reden“, sagte sie.

      „War nicht sicher, dass du zurückkommst.“

      Als Antwort nahm sie einfach nur seine Hand und drückte sie.

      „Ich traue Schlangenauge keinen einzigen Schritt über den Weg“, sagte Lufthauch, „und jedes zweite Wort von ihm ist gelogen. Aber was den Weg angeht, hat er die Wahrheit gesagt. Es gibt nur links und rechts. Von rechts sind wir gekommen und keiner Tamalone begegnet. Also müssen wir wohl tatsächlich nach links. He, warte!“

      Dorman war bereits mit langen Schritten losgegangen, ohne Lufthauchs umständliche Erklärung bis zum Ende abzuwarten. „Hier sind überall nur verdreckte Wohnhäuser mit verdreckten Wohnungen. Tamalone wird nicht aufs Geradewohl irgendwo geklopft haben. Bleibt nur das schwarze Loch da drüben.“

      „Welches schwarze Loch?“

      „Das dort unter dem Torbogen. Komm.“ Dorman verfiel in einen lockeren Laufschritt. Lufthauch hatte keine Mühe mitzuhalten. Befriedigt stellte er fest, dass er der schnellere und ausdauerndere Läufer war und deshalb nun die Führung übernehmen konnte. Er war nicht nur schneller, er konnte mit seinen Elfenaugen auch besser sehen als Dorman. Beim Laufen drehte er ständig den Kopf hin und her und lauschte den Geräuschen, die sie umgaben. Das Rascheln kleiner Füße ordnete er flüchtenden Ratten zu. Vereinzelte Stimmen kamen aus den Häusern. Sie verstummten bald. Die Passage machte einen Knick. Es wurde heller. Lufthauch blieb stehen. „Tamalone“, rief er. „Ich heiße Lufthauch und muss mit Euch re…“

      Weiter kam er nicht. Dorman war an ihm vorbei, als hätte er plötzlich Flügel bekommen, rannte auf das schwache Licht zu, wurde dabei immer flacher, als würde er zu einem Sprung ansetzen, und blieb urplötzlich stehen. Tamalone war ihm entgegengekommen, umarmte ihn und zog ihn hinter sich her.

      Lufthauch rieb sich verwundert die Augen. Wo war dieser Dorman geblieben? Gerade noch hatte er Tamalone umarmt, hochgehoben, abgesetzt, und war dann nach vorn auf seine Hände gefallen. Für einen Augenblick hatte es noch so ausgesehen, als würde er auf allen Vieren hinter ihr herschleichen. Aber dann war er plötzlich weg. Futsch. Hatte sich in Luft aufgelöst. Was sich nun neben dieser Tamalone herumtrieb, war eine ausgewachsene, gewaltige Raubkatze mit rundem Kopf und einem Tüpfelmuster auf dem Fell. Lufthauch beschloss, sich zurückzuhalten und sich nur ganz vorsichtig zu nähern. Zumal da noch eine dritte Figur herumlungerte.

      Tama wusste nichts von Lufthauchs Schwierigkeiten. Zwar hatte sie noch nie erlebt, dass sich ein Gestaltwandler mitten in einer