Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher. Стендаль

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Название Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher
Автор произведения Стендаль
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788026824862



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Liebe. Über dem Fürsten bin ich Mensch, und wenn ich das Glück habe, zu lieben, dann hat es meine Geliebte mit dem Menschen zu tun, nicht mit dem Fürsten.‹ Der Graf brachte dieses Aufleuchten boshaften Glücks mit folgender Wendung in dem Brief in Beziehung: ›Nur Dero tiefer Weisheit verdanken wir die so treffliche Regierung unseres Landes.‹

      »Der Satz rührt vom Fürsten her!« rief Mosca aus. »Von einem Mann am Hofe wäre er eine unverantwortliche Unvorsichtigkeit. Der Brief kommt von Serenissimus!«

      Als das Rätsel gelöst war, machte die kleine Freude des Erratens bald wieder dem quälenden Gedanken an die liebenswürdige Anmut Fabrizzios Platz, der ihn abermals heimsuchte. Wie eine Riesenlast fiel es von neuem auf das Herz des Unglücklichen. »Was nützt es mir, zu wissen, von wem der Brief ohne Unterschrift ist!« rief er voller Wut. ›Die Tatsache, die er mir enthüllt, bleibt nichtsdestoweniger bestehen. Diese Laune kann mein Leben umwerfen!‹ sagte er sich wie zur Entschuldigung, dass er so närrisch war. »Wenn sie ihn in bewußter Weise liebt, dann reist sie unversehens mit ihm ab, nach Belgirate, nach der Schweiz, nach irgendeinem Winkel der Welt. Sie ist reich, aber auch wenn sie mit ein paar Louisdor jährlich auskommen müßte, was stört sie das? Hat sie mir nicht vor kaum acht Tagen gestanden, ihr Palast, der so hübsch eingerichtet, so prächtig ist, langweile sie? Ihre jugendliche Seele braucht Abwechselung! Und wie einfach und natürlich bietet sich ihr dies neue Glück! Ehe sie an die Gefahr denkt, wird sie hingerissen sein, ehe sie daran denkt, mich zu bedauern! Und doch bin ich so unglücklich!« rief der Graf und brach in Tränen aus.

      Er hatte sich das Gelübde gegeben, diesen Abend nicht zur Duchezza zu gehen, aber er konnte es nicht halten; nie hatten seine Augen heftiger nach ihrem Anblick gedürstet. Gegen Mitternacht fand er sich bei ihr ein. Er traf sie allein mit ihrem Neffen; um zehn Uhr hatte sie die übrigen verabschiedet und die Haustür schliessen lassen. Beim Anblick der zärtlichen Vertraulichkeit, die zwischen den beiden Menschen herrschte, und des echten Frohsinns der Duchezza türmte sich vor den Augen des Grafen eine furchtbare Schwierigkeit auf, und ganz plötzlich! Während seiner langen Grübelei in der Gemäldegalerie hatte er nicht an das Eine gedacht: Wie sollte er seine Eifersucht verbergen?

      Er wußte nicht, zu welchem Vorwand er seine Zuflucht nehmen sollte, und so behauptete er, der Fürst sei heute abend ungemein ungnädig zu ihm gewesen; er hätte ihm beständig widersprochen, und so weiter. Zu seinem Schmerz nahm er wahr, dass ihm die Duchezza kaum zuhörte und dieser Tatsache, die sie noch tags zuvor zu endlosen Betrachtungen veranlaßt hätte, keinerlei Anteilnahme schenkte. Der Graf blickte Fabrizzio an. Noch nie war ihm dieses schöne Lombardengesicht so aufrichtig und vornehm erschienen. Fabrizzio war mehr Ohr als die Duchezza für die Misshelligkeiten, von denen er erzählte.

      ›Wahrlich,‹ sagte er sich, ›dieses Gesicht vereint grenzenlose Güte mit dem Ausdruck einer gewissen zärtlichen und unschuldigen Heiterkeit, die unwiderstehlich ist. Offenbar sagt es: Nur Liebe und Glück sind ernste Dinge auf dieser Welt! Und dennoch, wenn man einen Gesprächsstoff berührt, der Geist erfordert, so blitzt es in seinen Augen, und man ist erstaunt und verwirrt. Alles ist in seinen Augen einfach, weil er alles von oben herab betrachtet. Grosser Gott! Wie soll man einen solchen Gegner aus dem Felde schlagen? Und trotz alledem, was wäre das Leben ohne Ginas Liebe? Mit welchem Entzücken lauscht sie sichtlich den reizenden, sprühenden Einfällen dieses so jugendlichen Geistes, der einer Frau unvergleichlich erscheinen muß!‹

      Ein gräßlicher Gedanke befiel den Grafen wie ein Krampf: ›Soll ich den da vor ihren Augen erdolchen und dann Hand an mich selbst legen?‹

      Er durchmaß das Zimmer; seine Beine trugen ihn kaum, und die Hand krampfte sich um den Dolchgriff. Die beiden kümmerte nicht, was er tat. Er sagte, er wolle einem Diener einen Auftrag geben; sie hörten kaum darauf. Die Duchezza lachte herzlich über ein Wort, das Fabrizzio soeben an sie gerichtet hatte. Der Graf trat an eine Lampe im Nebengemach und prüfte, ob die Spitze seines Dolches scharf geschliffen sei.

      ›Man muss nett und manierlich mit dem jungen Mann umgehen‹, sagte er sich, indem er zurückkam und auf das Paar zuschritt.

      Er wurde verrückt; es kam ihm vor, als ob sie sich zueinander beugten und sich küßten, dort, unter seinen Augen. ›Das ist unmöglich,‹ sagte er sich, ›in meiner Gegenwart! Mein Verstand ist verwirrt. Ich muß mich beruhigen. Wenn ich mich roh benehme, ist die Duchezza imstande, ihm lediglich aus gekränkter Eitelkeit nach Belgirate zu folgen. Dort oder unterwegs kann der Zufall das Wort herbeiführen, das den Empfindungen beider den rechten Namen gibt, und im Augenblick folgt alles Weitere daraus. Die Einsamkeit wird dieses Wort prägen, und dann? Wenn die Duchezza einmal fern von mir ist, was wird dann? Selbst wenn ich alle Schwierigkeiten überwinde, die mir der Fürst auftürmt, wenn ich mein verkümmertes altes Gesicht in Belgirate sehen lasse, welche Rolle spiele ich fortan unter diesen vor Glück närrischen Menschen? Selbst hier, was bin ich anderes als der terzo incommodo? – Die schöne italienische, Sprache ist wie geschaffen für die Liebe. – Terzo incommodo! (Der störende Dritte!) Wie schmerzlich für einen geistvollen Mann, zu fühlen, daß er diese abscheuliche Rolle spielt, und es nicht über sich zu gewinnen, aufzustehen und wegzugehen!‹

      Der Graf war nahe daran, herauszuplatzen oder zum mindesten sich durch seine entstellten Züge zu verraten. Als er bei seinem Hin-und Hergehen im Salon gerade an der Tür war, ergriff er die Flucht, indem er in gutmütigem und vertraulichem Tone rief: »Gute Nacht, ihr beiden!« Und für sich fügte er hinzu: ›Es soll kein Blut fließen!‹

      Am Morgen nach diesem schrecklichen Abend, nach einer Nacht, die der Graf damit verbracht hatte, sich bald Fabrizzios Vorzüge bis ins einzelne auszumalen, bald sich den gräßlichsten Ausbrüchen grausamster Eifersucht hinzugeben, geriet er auf den Einfall, einen jungen Kammerdiener zu sich rufen zu lassen. Dieser Bursche machte einem jungen Mädchen namens Cechina den Hof, die Kammerzofe bei der Duchezza war und sehr gut bei ihr stand. Zum Glück war der junge Diener in seiner Führung höchst ordentlich, sogar geizig, und strebte nach einem Pförtnerposten in einem der Regierungsgebäude von Parma. Der Graf befahl dem Menschen, augenblicklich Cechina, seine Geliebte, herzubringen. Der Diener gehorchte, und eine Stunde darauf erschien der Graf unversehens in der Stube, wo sich das junge Mädchen mit ihrem Bräutigam befand. Der Graf versetzte beide in Schrecken durch den Haufen Gold, den er ihnen gab. Sodann blickte er die zitternde Cechina mit scharfen Augen an und richtete die kurzen Worte an sie: »Die Duchezza und der Monsignore – fanno l’amore?«

      »Nein,« sagte das junge Mädchen nach einem Augenblicke des Stillschweigens, »nein, noch nicht; aber er küßt der gnädigen Frau oft die Hände, zwar lachend, aber leidenschaftlich.«

      Diese Zeugenaussage wurde durch hundert weitere Antworten auf ebenso viele grimmige Fragen des Grafen ergänzt. Seine ruhelose Leidenschaft machte es den armen Leuten nicht leicht, sich das Geld zu verdienen, das er ihnen hingeworfen hatte. Am Ende glaubte er, was sie ihm sagten, und war nicht mehr so unglücklich.

      »Wenn die Duchezza je eine Ahnung von diesem Verhör bekommt,« sagte er zu Cechina, »dann schicke ich Eueren Bräutigam auf zwanzig Jahre in die Zitadelle, und Ihr sollt ihn erst in weißen Haaren wiedersehen.«

      Während der nächsten Tage verlor Fabrizzio völlig seine Heiterkeit.

      »Ich versichere dir,« sagte er zur Duchezza, »der Graf Mosca hat eine Abneigung gegen mich.«

      »Um so schlimmer für Seine Exzellenz«, antwortete sie mit einem Anflug von Verdruß.

      Das war aber keineswegs die wahre Ursache der Unruhe, die Fabrizzio seines Frohsinns beraubte. ›Die Stellung, in die mich der Zufall setzt, ist nicht haltbar‹, sagte er sich. ›Ich bin überzeugt, sie wird nie etwas sagen; vor einem allzu deutlichen Wort würde sie zurückschaudern wie vor einer Blutschande. Aber wenn sie einmal abends nach einem ausgelassenen, unvorsichtigen Tag ihr Gewissen prüfte und zu der Überzeugung käme, ich müßte ihre Gefühle für mich ahnen, welche Rolle spielte ich dann in ihren Augen? Buchstäblich die des keuschen Josephs! Wie soll ich ihr in schöner Offenherzigkeit begreiflich machen, daß ich ernsthafter Liebe nicht fähig bin? Ich bin nur nicht geistreich genug, dieser Tatsache derart Ausdruck zu geben, daß sie nicht der Dreistigkeit ähnelt wie ein Ei dem anderen. Mir bleibt nur die Ausrede, eine große Leidenschaft in Neapel zu haben. Für diesen Fall muß ich einmal auf einen Tag dahin zurück. Dieser