Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher. Стендаль

Читать онлайн.
Название Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher
Автор произведения Стендаль
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788026824862



Скачать книгу

daß du gläubig seist. Er hat sich darüber höchlichst gefreut. Der Glaube ist in dieser wie in jener Welt nützlich. Aber da du gläubig bist, so verfalle nicht in die Geschmacklosigkeit, mit Schaudern von Voltaire, Diderot, Raynal und all den tollkühnen Vorläufern des Parlamentarismus zu sprechen. Nimm diese Namen nur selten in den Mund, aber wenn es sein muß, dann sprich von ihnen mit ironischer Ruhe: diese Leute sind längst abgetan, und ihre Angriffe haben keine Bedeutung mehr. Glaube blindlings alles, was man dir in der Akademie vortragen wird. Denke daran, daß es Leute gibt, die dir den leisesten Widerspruch ewig nachtrügen. Ein kleines Liebesabenteuer verzeiht man dir, wenn es geschickt durchgeführt wird, nie aber einen Zweifel; und mit den Jahren nimmt das Liebesgetändel ab und der Zweifel zu. Mache dir das auch im Beichtstuhl zur Richtschnur! Du bekommst einen Empfehlungsbrief an einen Bischof mit, der die rechte Hand des Kardinal-Erzbischofs von Neapel ist. Das ist der einzige, dem du deine Durchbrennerei nach Frankreich und deine Teilnahme am 18. Juni bei Waterloo gestehen darfst. Übrigens mache es kurz: verkleinere dieses Abenteuer; bekenne es lediglich, damit man dir nicht vorwerfen kann, du habest es verschwiegen. Du warst damals so jung!

      Zweitens läßt dir der Graf sagen: Wenn dir ein glänzender Einfall, eine schlagende Erwiderung in den Sinn kommt, die der Unterhaltung eine neue Wendung verleiht, so gib der Versuchung, zu glänzen, beileibe nicht nach. Bleibe stumm! Kluge Leute werden dir den Geist aus den Augen absehen. Wenn du einmal Bischof bist, dann ist es an der Zeit, Geist zu zeigen.«

      Fabrizzio kam in Neapel in einem bescheidenen Wagen und mit vier Dienern an, braven Mailändern, die ihm seine Tante mitgegeben hatte. Nach seinem ersten Studienjahre sagte ihm kein Mensch nach, er habe Geist; man hielt ihn für einen fleißigen, sehr freigebigen, nur etwas liederlichen Edelmann.

      Dieses für Fabrizzio leidlich vergnügte Jahr war für die Duchezza schrecklich. Drei-oder viermal war der Graf um Daumenbreite am Sturz. Der Fürst, furchtsamer denn je, weil er während dieses Jahres krank war, glaubte die verhaßte Erinnerung an jene Hinrichtungen los zu werden, wenn er Mosca entließ. Rassi war der Günstling seines Herzens; ihn wollte er vor allem behalten. Die Gefahr, in der der Graf schwebte, machte ihm die Duchezza leidenschaftlich zugetan; an Fabrizzio dachte sie nicht mehr. Um ihren möglichen Weggang einigermaßen zu begründen, fand sie, die Luft von Parma, die in der Tat ein wenig feucht ist wie die der ganzen Lombardei, sei ihrer Gesundheit nicht zuträglich. Nach zeitweiliger Ungnade, die so weit ging, daß der Graf, obwohl er Premierminister war, von seinem Gebieter mehr als zwanzig Tage lang nicht unter vier Augen empfangen wurde, trug Mosca den Sieg davon. Er ließ den General Fabio Conti, diesen angeblichen Liberalen, zum Kommandanten der Zitadelle ernennen, wo die durch Rassi verurteilten Liberalen eingesperrt waren.

      »Übt Conti gegen seine Gefangenen Nachsicht,« sagte Mosca zu seiner Freundin, »so fällt er in Ungnade als Jakobiner, der über seinen politischen Anschauungen seine Kommandantenpflichten vergißt; ist er streng und mitleidslos – und anscheinend neigt er dazu –, so hört er auf, das Haupt seiner eigenen Partei zu sein, und macht sich alle Familien zu Feinden, die einen der Ihren in der Zitadelle haben. Dieser klägliche Kerl hat es weg, beim Nahen des Fürsten ein Gesicht aufzuziehen, das von Untertänigkeit trieft; wenn es verlangt wird, wechselt er viermal am Tag den Anzug. Eine Frage der Hofordnung versteht er stundenlang zu erörtern; aber er hat ganz und gar nicht das Zeug, den schwierigen Weg herauszufinden, der ihn allein retten könnte. Und in jedem Fall bin ich auch noch da.«

      Am Tage nach der Ernennung des Generals Fabio Conti, die der Ministerkrise ein Ende machte, erfuhr man, daß Parma eine ultramonarchische Tageszeitung erhalten solle.

      »Was für Streitereien wird diese Zeitung veranlassen!« meinte die Herzogin.

      »Der Gedanke, diese Zeitung ins Leben zu rufen, ist vielleicht mein Meisterstück«, antwortete der Graf lachend. »Nach und nach will ich mir, scheinbar gegen meinen Willen, ihre Leitung durch ein paar wütende Reaktionäre aus der Hand nehmen lassen. Für die beiden Schriftleiterstellen habe ich schöne Gehälter ausgesetzt. Man wird sich von allen Seiten um diese Posten reißen. Diese Angelegenheit wird die Gemüter einen oder zwei Monate beschäftigen, und man vergißt darüber die Gefahren, die ich soeben überstanden habe.«

      »Aber diese Zeitung muß doch empörend blödsinnig ausfallen.«

      »Daraufrechne ich stark«, erwiderte der Graf. »Der Fürst wird sie alle Morgen lesen und die Meinung ihres Gründers bewundern. Einzelheiten wird er billigen oder mißbilligen. Von den Stunden, die er der Arbeit widmet, sind damit schon zwei in Anspruch genommen. Die Zeitung soll Widerspruch erregen, aber wenn ernstliche Klagen entstehen, in acht bis zehn Monaten, wird sie gänzlich in den Händen wütender Reaktionäre sein. Dann muß diese Partei, die mich ärgert, Erwiderungen bringen, und ich werde Einwände gegen die Zeitung machen. Im Grunde sind mir hundert fürchterliche Ungereimtheiten lieber als ein einziger Gehängter. Wer denkt in zwei Jahren noch an irgendeinen Blödsinn, der in einer Nummer der amtlichen Zeitung gestanden hat? Dagegen würde der Haß der Söhne und der Familie eines Gehängten mich so lange verfolgen, wie ich lebe, und mir womöglich mein Dasein verkürzen.«

      Die Duchezza, immer leidenschaftlich bei der Sache, immer tätig, niemals müßig, hatte mehr Verstand als der gesamte Hof von Parma, aber sie war nicht geduldig und kaltblütig genug, um in Intrigen Glück zu haben. Gleichwohl hatte sie es so weit gebracht, die Machenschaften der verschiedenen Klüngel eifrigst zu verfolgen. Sie begann sogar persönliches Ansehen beim Fürsten zu genießen. Clara Paolina, die regierende Fürstin, obwohl mit Ehren überschüttet, war in eine höchst veraltete Hofordnung gezwängt und hielt sich darum für die Unglücklichste aller Frauen. Die Herzogin von Sanseverina machte ihr den Hof und unternahm es, ihr zu beweisen, daß sie gar nicht so unglücklich sei. Man muß wissen, daß der Fürst seine Gemahlin nur zur Mittagstafel sah; diese Mahlzeit dauerte dreißig Minuten, und es vergingen ganze Wochen, ohne daß der Fürst ein Wort an Clara Paolina richtete. Die Sanseverina versuchte das alles zu ändern. Sie heiterte den Fürsten auf, und das gelang ihr um so besser, weil sie sich ihre volle Unabhängigkeit zu wahren gewußt hatte. Auch beim besten Willen wäre es ihr doch nicht gelungen, keinen von den Trotteln zu verletzen, von denen es an diesem Hofe wimmelte. Ihre Ungeschicklichkeit in dieser Hinsicht machte sie bei der Mehrzahl der Hofschranzen verhaßt, lauter Grafen und Marchesi, die durchschnittlich ihre fünftausend Lire im Jahre zu verzehren hatten. Mit diesem Pech fand sie sich vom ersten Tage an ab, und so bemühte sie sich lediglich um die Gunst des Monarchen und seiner Gemahlin, von der sich der Erbprinz völlig leiten ließ. Die Duchezza verstand es, den Fürsten zu belustigen, und da der Fürst ihre geringsten Äußerungen aufmerksam anhörte, nützte sie das aus, um den Höflingen, die sie haßte, Lächerlichkeiten anzuhängen. Seit jenen Torheiten, zu denen ihn Rassi verleitet hatte – und blutige Torheiten lassen sich nicht wieder gutmachen –, bekam der Fürst zuweilen Anwandlungen von Angst und oft von Langerweile. Das machte ihn trübsinnig und neidisch. Er war sich bewußt, wie wenig Freude er hatte, und er ward schlechter Laune, wenn er zu sehen glaubte, daß sich andere vergnügten. Der Anblick von Glück machte ihn wütend.

      »Wir müssen unsere Liebe verheimlichen«, sagte die Duchezza zu ihrem Freunde und gab dem Fürsten zu verstehen, daß der Graf, ein so achtenswerter Mensch er auch sei, ihr nur mäßig gefalle.

      Diese Eröffnung bereitete Serenissimus einen glücklichen Tag. Von Zeit zu Zeit ließ die Duchezza durchblicken, daß sie den Plan hege, alljährlich etliche Monate Urlaub zu nehmen, um sich Italien anzusehen, das sie noch gar nicht kenne; sie wolle Neapel, Florenz, Rom besuchen. Nun vermochte nichts auf der Welt den Fürsten mehr zu ärgern als eine so offenkundige Fahnenflucht. Darin lag eine seiner Hauptschwächen. Handlungen, aus denen auch nur der Schein von Geringschätzung gegen seine Residenzstadt sprach, schnitten ihm ins Herz. Er war sich klar, daß ihm kein Mittel zu Gebote stand, die Sanseverina zurückzuhalten, anderseits, daß die Duchezza die glänzendste Erscheinung an seinem Hofe war.

      Etwas war bei der italienischen Faulheit ganz ungewöhnlich: zu den Donnerstagen der Herzogin kam die Gesellschaft von Parma selbst von den Gütern der Umgebung. Das waren wirkliche Feste; fast jedesmal hatte die Herzogin etwas Neues und Anregendes. Der Fürst hätte sich für sein Leben gern einmal einen solchen Donnerstag angesehen. Aber wie sollte er es ermöglichen? Ein Privathaus betreten? Das hatte weder sein Vater noch er je getan!

      An einem Donnerstag war regnerisches, kaltes Wetter.