Название | Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher |
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Автор произведения | Стендаль |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788026824862 |
»Nun, bist du mit mir zufrieden?« sagte er und sank in ihre Arme. »Dir verdanke ich es, daß ich vier recht glückliche Jahre in Neapel verlebt habe, statt mich in Novara mit meiner von der Polizei genehmigten Geliebten zu langweilen.«
Die Herzogin kam aus ihrem Erstaunen nicht heraus; sie hätte ihn nicht wiedererkannt, wenn sie ihm auf der Straße begegnet wäre. Sie fand, er sei wirklich einer der hübschesten Männer von Italien; besonders sein Gesichtsausdruck war entzückend. Als sie ihn nach Neapel schickte, war er ein echter Draufgänger gewesen; die Reitpeitsche, die er immer bei sich zu haben pflegte, schien damals ein Teil seines Wesens. Jetzt trug er vor Fremden das vornehmste, gemessenste Benehmen zur Schau. Nur unter vier Augen fand sie sein ganzes jugendliches Feuer wieder. Er war wie ein Diamant, der beim Schleifen nichts verloren hatte.
Fabrizzio war noch keine Stunde da, als sich Graf Mosca einstellte. Er kam ein wenig zu früh. Der junge Mann sprach in so gewählten Worten von dem Parmaer Orden, mit dem sein Rektor ausgezeichnet worden war, und drückte ihm auch für andere Wohltaten, die er nur in verblümter Weise anzudeuten wagte, mit so vollendetem Anstand seinen Dank aus, daß der Minister vom ersten Augenblick an die günstigste Meinung von ihm bekam.
»Ihr Neffe«, sagte er leise zur Duchezza, »ist wie geschaffen für die hohen Würden, zu denen Sie ihn bald erheben wollen.«
So weit ging alles vortrefflich; als aber der Minister, der mit Fabrizzio sehr zufrieden war und bisher einzig auf ihn achtgegeben hatte, die Duchezza ansah, fand er etwas Ungewohntes in ihren Augen. ›Der junge Mann macht einen merkwürdigen Eindruck auf sie‹, sagte er sich. Diese Erkenntnis war bitter. Der Graf hatte die Fünfzig erreicht, – ein grausames Wort, dessen Bedeutung wohl nur ein grenzenlos verliebter Mann verstehen kann. Er war sehr rüstig, durchaus der Liebe wert, trotz seiner Ministerwürde. Aber jenes grausame Wort Fünfzig warf einen Schatten auf sein ganzes Dasein; es stimmte ihn beinahe feindselig gegen sich selbst. In den fünf Jahren, seitdem er die Duchezza bewogen hatte, nach Parma zu kommen, hatte sie des öfteren seine Eifersucht herausgefordert, besonders in den ersten Zeiten, aber niemals hatte sie ihm einen ernstlichen Anlaß dazu gegeben. Er war überzeugt, und das mit Recht, daß sie bisweilen den oder jenen schmucken jungen Mann am Hofe zum Schein ausgezeichnet hatte, einzig, um sich seines Herzens um so fester zu versichern. Unter anderem wußte er genau, daß sie die Huldigungen des Fürsten von sich gewiesen hatte, der bei dieser Gelegenheit sogar eine lehrreiche Äußerung getan hatte.
»Wenn ich nun Eurer Hoheit Huldigungen annehmen wollte,« hatte ihm die Duchezza lachend erwidert, »wie sollte ich mich dann dem Grafen gegenüber benehmen?«
»Das würde mich fast ebenso in Verlegenheit setzen wie Sie. Der liebe Graf, mein Freund! Aber dieses Hindernis wäre doch leicht zu beseitigen, und ich habe schon daran gedacht: der Graf wird einfach lebenslänglich in die Zitadelle gesteckt.«
Bei Fabrizzios Ankunft war die Duchezza so außer sich vor Glück, daß sie gar nicht auf den Gedanken kam, was für einen Eindruck ihr glückliches Aussehen auf den Grafen machen könne. Die Wirkung war tief und der Argwohn unheilbar.
Zwei Stunden nach seiner Ankunft wurde Fabrizzio dem Fürsten vorgestellt. In der Voraussicht, daß ein derartig rascher Empfang in der Öffentlichkeit günstigen Eindruck verursachen werde, hatte die Duchezza bereits seit zwei Monaten darum nachgesucht. Diese Vergünstigung stellte Fabrizzio von vornherein außer Reih und Glied. Sie hatte den Vorwand gebraucht, er berühre Parma nur auf der Durchreise und wolle alsbald seine Mutter in Piemont besuchen.
In dem Augenblick, als der Fürst durch ein reizendes kleines Kärtchen der Duchezza erfuhr, daß Fabrizzio seiner Befehle harre, langweilte sich Serenissimus gerade. ›Da werde ich wohl einen blöden kleinen Heiligen zu sehen bekommen,‹ sagte er sich, ›einen Narren oder einen Heuchler.‹
Der Festungskommandant hatte ihm bereits Fabrizzios ersten Besuch am Grabmal des Onkel-Erzbischofs hinterbracht. Der Fürst sah einen schlanken jungen Herrn eintreten, den er ohne seine violetten Strümpfe für einen jungen Offizier gehalten hätte.
Die kleine Überraschung verscheuchte die Langeweile. ›Da ist das Bürschchen,‹ meinte er bei sich, ›für das man mich um, Gott weiß, was für Gnaden bitten wird, um alles, was in meiner Macht steht. Er kommt soeben an; er muß befangen sein. Ich werde ein bißchen Jakobinerpolitik machen. Wir werden sehen, wie er antwortet.‹
Nach den ersten huldvollen Worten fragte der Fürst: »Nun, Monsignore, ist das Volk von Neapel glücklich? Ist der König beliebt?«
»Serenissimus,« entgegnete Fabrizzio, ohne einen Augenblick zu zögern, »in den Straßen Neapels habe ich die vorzügliche Haltung der Soldaten von verschiedenen Regimentern Seiner Majestät des Königs bewundert. Die gute Gesellschaft erweist den höchsten Herrschaften die geziemende Ehrfurcht. Ich muß aber gestehen, daß ich nie geduldet habe, daß die Leute aus den niederen Klassen mir von anderen Dingen erzählten als von der Arbeit, für die ich sie bezahle.«
›Donnerwetter!‹ sagte sich der Fürst. ›Das ist ja ein schön zugestutzter Vogel! Ganz der Geist der Sanseverina.‹
Das Spiel reizte ihn, und der Fürst wandte seine ganze Schlauheit auf, um Fabrizzio auf dem Glatteis dieses Themas zum Sprechen zu bringen. Den jungen Mann regte die Gefahr an; er hatte das Glück, bewundernswerte Antworten zu finden.
»Es ist fast eine Dreistigkeit,« sagte er, »seinem König Liebe zu bekunden; blinden Gehorsam schuldet man ihm.«
Angesichts so übergroßer Vorsicht wurde der Fürst beinahe mißlaunig. ›Wie es scheint, ist das ein geistreiches Menschenkind, das da aus Neapel zu uns kommt. Die Sorte liebe ich nicht. Geistreiche Leute, mögen sie die besten Grundsätze haben und noch so strenggläubig sein, sind immer irgendwie Blutsverwandte von Voltaire und Rousseau.‹
Das gute Benehmen und die so unanfechtbaren Antworten des jungen Mannes, der kaum der Schulbank entronnen war, berührten den Fürsten wie Trotz. Er sah sich in seiner Erwartung getäuscht. Augenblicklich nahm er einen leutseligen Ton an und kam nach einigen Zwischenworten auf die wesentlichen Grundsätze von Staat und Gesellschaft zu sprechen. An passenden Stellen flocht er ein paar Redensarten aus Fénelon ein, die man ihm in seiner Jugend zur Verwendung bei Empfängen eingepaukt hatte.
»Sie staunen über diese Grundsätze, junger Mann,« sagte er zu Fabrizzio – er hatte ihn zu Beginn des Empfangs mit Monsignore angesprochen und beabsichtigt, ihn mit Monsignore zu entlassen, aber im Laufe der Unterhaltung fand er es geschickter und vorteilhafter, für sein schwülstiges Gerede eine freundschaftlichere Bezeichnung zu verwenden –, »Sie staunen über diese Grundsätze, junger Mann, und ich gebe zu, sie sind grundverschieden von den absolutistischen Tiraden,« – das war sein Ausdruck – »die man alle Tage in meinem Amtsblatt lesen kann. – Aber, mein Gott, was erzähle ich Ihnen da? Die Mitarbeiter dieser Zeitung sind Ihnen doch gänzlich unbekannt.«
»Serenissimus geruhen mir allergnädigst zu verzeihen: ich lese nicht nur das Parmaer Tageblatt, das ich recht gut geschrieben finde, sondern teile auch seine Ansicht, daß alles, was seit dem Tode Ludwigs XIV. im Jahre 1715 geschehen ist, ebenso verbrecherisch wie töricht ist. Die Hauptsache für den Menschen ist sein Seelenheil. Darüber kann es nicht zweierlei Ansichten geben; und die Seligkeit muß von ewiger Dauer sein. Die Worte Freiheit, Gerechtigkeit, öffentliche Wohlfahrt sind verrucht und sündhaft. Sie gewöhnen die Gemüter nur ans Diskutieren und ans Mißtrauen. Ein Parlament wird dem, was diese Leute ein Ministerium nennen, nie etwas Gutes zutrauen. Wenn dieses verhängnisvolle gewohnheitsmäßige Mißtrauen einmal eingerissen ist, so wendet es die menschliche Schwäche auf alles an. Dann kommt der Mensch so weit, an der Heiligen Schrift, an den Geboten der Kirche, an der Tradition zu zweifeln, und dann ist er verloren! Und selbst wenn das Mißtrauen – was gräßlich, irrig und verbrecherisch zu sagen ist –, wenn das Mißtrauen gegen die Autorität der Fürsten von Gottes Gnaden uns für die zwanzig oder dreißig Jahre hienieden, auf die jeder von uns rechnen kann, Glück brächte, was ist ein halbes, ja ein ganzes Jahrhundert im Vergleich zur ewigen Verdammnis?«
Man