Quellentexte zur jüdischen Geschichte und Literatur. Julius Hoxter

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Название Quellentexte zur jüdischen Geschichte und Literatur
Автор произведения Julius Hoxter
Жанр Документальная литература
Серия Judaika
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783843800242



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Mann in Bagdad, Kaleb ben Siragru, der sechzigtausend Sus hergab, Saadia aus seinem Amte zu entfernen. Es gelang ihm aber nicht, weil jener eine große Anhängerschaft angesehener und reicher Männer hatte; das erregte Kalebs Neid auf Saadia, weil er selbst ein sehr sprachkundiger und gelehrter Mann war und jede Frage, die man an ihn stellte, auf verschiedene Weise beantworten konnte; doch R. Saadia übertraf ihn bedeutend darin, und dies steigerte ganz besonders seinen Hass. Der eigentliche Streit zwischen dem Exilarchen und Saadia entstand aus einer Erbschaftsangelegenheit, bei der sie, als es zur Teilung zwischen den Erben kam, die unter der Botmäßigkeit des Exilarchen standen, gelobten, es sich den zehnten Teil ihres Erbgutes kosten zu lassen, um ein klares Urteil über das, was einem jeden von ihnen zukomme, zu erzielen und den Streit aus der Welt zu schaffen. Dem Exilarchen fielen siebenhundert Gulden von dem Zehnten zu, und er setzte für jeden ein Urteil auf, das sie von den Schuloberhäuptern sollten bestätigen lassen. Als die Schriften an R. Saadia gelangten, bemerkte er beim Durchlesen Unrichtigkeiten in den Rechtssprüchen, ließ sich aber nichts merken, sondern sagte zu den Leuten: »Geht zu Kohen Zedek, dem Oberhaupt der Schule von Pumbadita, dass er die Schriften bestätige.« Nachdem dieses geschehen, gingen sie wieder zu Saadia, dass er sie auch unterschreibe und bestätige. »Wozu braucht ihr meine Unterschrift«, fragte Saadia, »ihr habt ja die des Exilarchen und die des Oberhauptes der Hochschule von Pumbadita, Kohen Zedek? Meiner Unterschrift bedarf es nicht.« »Warum willst du denn nicht unterschreiben?« fragte man ihn. Er aber wollte ihnen den Grund nicht sagen, bis die Männer ihn beschworen, ihnen seine Gründe mitzuteilen, was er gegen den Rechtsspruch hätte, und sie drängten ihn so sehr, bis er ihnen seine Beanstandungen, die nach seiner Ansicht den Rechtsspruch ungültig machten, mitteilte. Als sie zum Exilarchen zurückgekehrt waren und ihm von dem Widerstande Saadias berichteten, beauftragte er seinen Sohn Juda, zu Saadia zu gehen und ihm in seinem Namen zu sagen, dass er die Urkunden bestätigen solle. Darauf sagte ihm dieser: »Geh’ zurück zu deinem Vater und sage ihm: Es heißt in der Tora: Achtet beim Rechtsspruch nicht auf das Ansehen.« Der Vater aber befahl dem Sohne, noch einmal hinzugehen und Saadia zu sagen: »Unterschreibe, und sei kein Narr!« Der Sohn teilte aber dem Rabbi die Worte seines Vaters nicht mit, sondern suchte ihn mit freundlichen Worten zu überreden, die Urteile zu unterschreiben, dass zwischen ihm und seinem Vater kein Streit über diese Angelegenheit ausbreche. Da aber Saadia auf seinem Widerstand beharrte und der junge Mann wegen des unnützen Hin-und Herlaufens ärgerlich geworden war, hob er seine Hand gegen den Gaon auf und rief: »Wenn du die Urteile nicht unterschreibst, wie mein Vater es dir befohlen hat, dann wirst du meine Hand fühlen!« Kaum hatte der Jüngling dies gesprochen, als die Anwesenden ihn packten, bis zur Türe schleiften und ihn hinauswarfen. Die Türe aber schlossen sie ab.

      Wie er nun weinend zu seinem Vater kam und dieser ihn fragte, was vorgefallen sei, erzählte er dem Vater die Vorgänge. Daraufhin sprach der Exilarch den Bann über R. Saadia aus und setzte an seine Stelle R. Joseph ben Jakob zum Oberhaupt der Hochschule von Sura ein. Aber auch R. Saadia tat seinerseits den Exilarchen in Bann und schickte Hassan, den Bruder des David ben Sakkai, d. i. Josija, an Stelle seines Bruders die Exilarchenwürde zu bekleiden. Aber bereits nach drei Jahren starb dieser, der Streit hielt jedoch noch sieben Jahre an und wurde immer heftiger …

      (Da gelang es endlich einem edelgesinnten und hochangesehenen Manne, Kaschar ben Aaron, dem Schwiegervater des Kaleb ben Siragru, den Frieden zwischen dem Exilarchen und dem Gaon Saadia herzustellen. Nachdem beide sich zur Versöhnung bereitgefunden hatten, schlossen sie am Tage des Fastens Esther in seinem Hause einen Bund des Friedens. Nun wurde durch das Los entschieden, wer bei dem andern das Purimmahl einnehmen sollte. Das Los fiel auf Saadia; er speiste beim Exilarchen und blieb nach Purim noch zwei weitere Tage bei ihm zu Gast.)

      Als der Exilarch starb, wollte man seinen Sohn zu seinem Nachfolger machen, dieser aber starb schon sieben Monate darauf und hinterließ einen einzigen zwölfjährigen Knaben. Diesen nahm R. Saadia zu sich ins Haus und ließ ihn unterrichten und erziehen. Erst der Tod des Meisters trennte ihn von dem Enkel des früheren Exilarchen.

      »Emunot wědeot« (Glaubenslehren und Vernunftansichten). (32)

      Vernunftgebot und Offenbarungsgesetz (Traktat III).

      Die auf die Erkenntnis und Verehrung Gottes bezüglichen Gebote sind ebenso wie die Gesetze der Moral, nach ihrem Wesen betrachtet, als Vernunftgebote anzusehen, d. h. als Pflichten, zu deren Erkenntnis die menschliche Vernunft bei fortschreitender Entwicklung auch ohne Offenbarung hätte gelangen müssen. Allein tatsächlich verdankt der Mensch die Erkenntnis dieser Pflichten einer ihm durch die Propheten vermittelten Offenbarung, deren er auch trotz der Vernunftgemäßheit jener Gebote gar nicht entraten konnte, weil er sonst in der langen Zeit, deren es bedurft hätte, bis er durch die fortschreitende Entwicklung seines Geistes zur Erkenntnis derselben gelangt wäre, jeder Richtschnur für sein religiöses und sittliches Verhalten würde entbehrt haben. Die bei Weitem überwiegende Mehrzahl der Menschen aber würde ohne göttliche Offenbarung vielleicht niemals zur Erkenntnis jener Gebote gelangt sein, da es ihr entweder an der geistigen Fähigkeit oder an der Energie des Denkens gebricht, durch die wir allein imstande sind, uns diese Erkenntnis anzueignen und sie vor jeder Anfechtung und Trübung zu bewahren. Nachdem uns aber Gott durch seine Propheten diese Gebote mitgeteilt und uns zu deren Erfüllung verpflichtet hat, sind wir allerdings imstande, uns von ihrer Notwendigkeit und Unerlässlichkeit auch vermittelst unserer Vernunfterkenntnis zu überzeugen.

      Die Gebote, deren Verbindlichkeit die menschliche Vernunft uns lehrt, können in drei Klassen eingeteilt werden. Erstens macht die Vernunft es dem Menschen zur Pflicht, sich für empfangene Wohltaten erkenntlich zu erweisen entweder durch Gegenleistungen, wenn der Wohltäter deren bedarf, oder, wo dies nicht der Fall ist, dadurch, dass er seinem Wohltäter gegenüber dem Gefühl der Dankbarkeit Ausdruck verleiht. Wenden wir nun diesen Grundsatz auf das Verhältnis des Menschen zu Gott an, so ergibt sich daraus die Verbindlichkeit aller derjenigen Gebote, die dem Menschen die Erkenntnis und Anbetung Gottes, die Demütigung vor Gott und die Dankbarkeit gegen Gott zur Pflicht machen. Zweitens: Die Vernunft lehrt uns, dass ein Weiser seinen Untergebenen nicht gestatten werde, ihn zu beschimpfen oder zu verfluchen; demgemäß muss auch Gott, obschon ihm selber keinerlei Schaden daraus erwachsen würde, ein solches Verhalten seinen Dienern untersagen. Darauf gründen sich die Verbote: Gott einen Genossen beizulegen, bei seinem Namen falsch zu schwören und ihm unangemessene Eigenschaften zuzuschreiben. Drittens erkennt es die Vernunft als notwendig an, die Geschöpfe davon zurückzuhalten, dass sie einander auf irgendwelche Weise Unrecht tun oder schädigen; mithin konnte dies auch von der göttlichen Weisheit nicht gestattet werden. Darauf gründen sich die Gebote: Recht zu tun, Wahrheit und Gerechtigkeit zu üben, die Verbote des Mordes, des Ehebruchs und des Diebstahls, die dem Gläubigen auferlegte Verpflichtung, seinen Bruder wie sich selbst zu lieben u. dgl. m. Alle diese Ge- und Verbote sind zwar durch die Schrift verordnet worden, aber auch die uns von Gott eingepflanzte Vernunfterkenntnis lässt uns die Übung des Gebotenen als lobenswert, des Verbotenen als schimpflich erscheinen.

      Zu diesen drei Klassen von Geboten kommt aber noch eine vierte hinzu, deren Gebote im Unterschied von den Vernunftgeboten Offenbarungsgebote genannt werden; das sind solche Gebote, die an und für sich unserer Vernunft als ganz gleichgültig erscheinen, weder als lobenswert noch als schimpflich, deren Verbindlichkeit mithin nicht in ihrem Wesen, sondern einzig und allein in einer Offenbarung begründet ist. Allein obschon unsere Vernunft den Grund dieser Gebote nicht einzusehen vermag, so dürfen sie doch keineswegs als vernunftwidrig bezeichnet werden, denn es steht mit unserer Vernunft durchaus nicht im Widerspruch, dass die göttliche Weisheit uns gewisse Pflichten auferlege, um uns für deren Erfüllung einen besonderen Lohn zu gewähren; das bringt uns Gewinn, Gott aber keinen Schaden. Die Offenbarung dieser Gebote kann aber auch noch einen anderen Zweck haben. Wenn wir uns nämlich diesen Geboten unterwerfen, weil wir in ihnen den Ausdruck des göttlichen Willens verehren, so üben wir damit eine Art von Gottesdienst. Insofern könnten diese Gebote auch der ersten Klasse der Vernunftgebote, d. i. den Pflichten der Gottesverehrung, zugeteilt werden. Im Übrigen aber wird eine tiefere Erforschung auch bei diesen Geboten irgendwelchen Nutzen