Название | Leopold von Ranke: Historiografische Werke |
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Автор произведения | Leopold von Ranke |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788027206056 |
Wollte Deutschland sich verteidigen, so war es lediglich auf seine eigenen Kräfte angewiesen. Und standen die Dinge nicht auch hier sehr zweifelhaft? Gab es nicht in der Tat Leute, welche das Mißvergnügen mit der bestehenden Ordnung der Dinge dazu trieb, sich eine türkische Herrschaft zu wünschen? Hatte nicht Luther einst selbst gesagt, es stehe dem Christen nicht zu, sich den Türken zu widersetzen, die er vielmehr als eine Rute Gottes ansehen müsse? Es ist das einer jener Sätze, welche die päpstliche Bulle84 verurteilt. Der Reichstag von Speier hatte soeben eine Wendung genommen, durch die sich alle Anhänger der kirchlichen Umwandlung bedroht und gefährdet fühlten; es war ihnen sehr bedenklich, daß sie dem Oberhaupt jener Majorität, welche sie von sich stieß, dem König Ferdinand Hilfe leisten sollten.
Was nun Luther anbetrifft, so ist ganz wahr, daß er jene Meinung geäußert hat; allein er redet da nur von den Christen als solchen, von dem religiösen Prinzip an und für sich, wie es in einigen Stellen des Evangeliums erscheint. Jenes frommtuende Geschrei, welches um der christlichen Religion willen zu einem Kriege gegen die Türken anreizte, während man die Beiträge der Gläubigen zu fremdartigen Zwecken verwandte, hatte seinen Widerwillen erweckt. Er sagte sich überhaupt los von dem kriegerischen Christentum; er wollte die religiöse Gesinnung nicht so unmittelbar mit dem Schwerte in Verbindung bringen. War aber nunmehr von einer wirklichen Gefahr und von den Anstrengungen der weltlichen Gewalt dagegen die Rede, so erklärte er desto entschiedener, daß man sich mit allem Ernst den Türken entgegenstellen müsse.85 Dazu sei das Reich dem Kaiser anvertraut, er und die Fürsten würden sonst schuldig sein an dem Blute ihrer Untertanen, das Gott von ihnen fordern werde. Es kommt ihm sonderbar vor, daß man sich in Speier wieder soviel darum gekümmert hat, ob jemand in den Fasten Fleisch esse, ob eine Nonne sich verheirate, und indes den Türken vorrücken, Länder und Städte soviel er wolle erobern läßt. Er fordert die Fürsten auf, das Panier des Kaisers nicht mehr für ein bloßes seidenes Tuch anzusehen, sondern demselben pflichtgemäß ins Feld zu folgen. Er nimmt sich die Mühe, zur Bekehrung derjenigen, welche die Regierung der Türken wünschen möchten, die Greuel aufzuzählen, die der Koran enthalte. Die übrigen ermahnt er in des Kaisers Namen getrost auszuziehen; wer in diesem Gehorsam sterbe, dessen Tod werde Gott wohlgefällig sein.
Es ist wohl erlaubt, in dieser großen Gefahr der deutschen Nation auch den Mann reden zu lassen, welcher damals in derselben am meisten gehört ward. Die Schrift vom Türkenkrieg zeigt wieder einmal den Geist, der die kirchlichen und die weltlichen Elemente zu scheiden unternahm, in aller seiner durchgreifenden Schärfe. Und soviel wenigstens bewirkte er, daß die Protestierenden, obwohl sie die Furcht hegten, von der Majorität mit Krieg überzogen zu werden, und in den Reichsschluß nicht gewilligt hatten, doch so gut wie die anderen ihre Hilfe ausrüsteten. Auch Kurfürst Johann stellte ein paar tausend Mann unter Anführung seines Sohnes ins Feld. Von allen Seiten zog die eilende Hilfe dem Feldhauptmann des Reiches, Pfalzgraf Friedrich, zu, der indes zu Linz bei König Ferdinand angelangt war. Daran fehlte jedoch noch viel, daß diese Mannschaften stark genug gewesen wären, namentlich in dem ersten Schrecken, um das Feldlager der Osmanen vor Wien anzugreifen. Auch der Kaiser, der anfangs in Genua Nachricht erhalten hatte, daß Suleiman nicht kommen werde, fand sich nicht imstande, wie er einst hatte hoffen lassen, mit seinen Spaniern herbeizueilen. Zunächst kam alles darauf an, ob die Besatzung von Wien dem Heere der Barbaren Widerstand leisten würde.
Man dürfte nicht glauben, daß Wien sehr fest gewesen wäre. Es war mit einer runden baufälligen Ringmauer umgeben, noch ohne alle Vorkehrungen der neueren Befestigungskunst, selbst ohne Basteien, auf denen man Geschütze hätte auffahren können; die Gräben waren ohne Wasser. Die Feldhauptmannschaft von Niederösterreich hatte anfangs gezweifelt, ob sie »den weitschichtigen, unverbauten Flecken« werde behaupten können; sie hatte einen Augenblick den Gedanken gehegt, den Feind lieber im offenen Felde zu erwarten, um sich im Notfall auf die frischen Truppen zurückziehen zu können, welche der Pfalzgraf und der König zusammenzubringen beschäftigt waren; am Ende aber hatte sie doch gefunden, daß sie ihre alte Hauptstadt nicht aufgeben dürfe, und sich entschlossen, die Vorstädte zu verbrennen, die innere Stadt zu halten. Waren nun die Befestigungen untüchtig, so kam dagegen die Liebhaberei Maximilians für das Geschützwesen jetzt nach seinem Tode seiner Hauptstadt zugute. Auf allen Türmen an den Toren, auf den Häusern an den Mauern, von denen man die Schindeln abgerissen, unter den Dächern, ja in den Schlafhäusern der Klöster, in der Burg, wie sich versteht, und hinter den Schießlöchern, die man in die Mauern gebrochen, erwarteten Falkonette, Halbschlangen, Karthaunen, Mörser, Singerinnen den Anlauf des Feindes.
Die Besatzung bestand aus fünf Regimentern: vier deutschen, von denen zwei auf Kosten des Reiches, zwei von Ferdinand selbst angeworben waren, und einem böhmischen. Die Reichstruppen unter Pfalzgraf Philipp, dem Stellvertreter Friedrichs, besetzten die Mauer vom roten Turm bis gegen das Kärnthnertor, von da dehnten sich die königlichen Haufen unter Eck von Reischach und Leonhard von Fels gegen das Schottentor hin aus. Es waren Leute von allen deutschen Landesarten, viele namhafte Österreicher, aber auch Brabanter, Rheinländer, Meißner, Hamburger, besonders Franken und Schwaben. Vom Schottentor bis zum roten Turm standen die Böhmen; auf den Plätzen im Innern war einige Reiterei verteilt. Es mochten 16-17000 Mann sein; ob diese Mannschaft dem an Zahl so unendlich überlegenen Feinde zu widerstehen vermögen würde, war doch sehr zweifelhaft.
Suleiman ließ der Besatzung ankündigen, wolle sie ihm die Stadt übergeben, so verspreche er weder selbst hineinzukommen noch sein Volk hineinzulassen, sondern er werde dann weiter vorrücken und den König suchen; wo nicht, so wisse er doch, daß er am dritten Tage sein Mittagsmahl in Wien halten werde, dann wolle er das Kind im Mutterleibe nicht verschonen. In Liedern und Erzählungen finden wir, die Antwort sei gewesen, er möge nur zum Mahle kommen, man werde ihm mit Karthaunen und Hallbarden anrichten. Doch ist das nicht so ganz wahr; man hatte nicht Unbenommenheit des Geistes genug, um eine so kecke Antwort zu geben. Die Antwort, sagt ein authentischer Bericht der Befehlshaber, ist uns in der Feder stecken geblieben. Man rüstete sich alles Ernstes zur Gegenwehr, aber keineswegs etwa in der Überzeugung, daß man siegen werde; man sah die ganze Gefahr ein, in der man sich befand; aber man war entschlossen sie zu bestehen. Und so mußte sich denn Suleiman anschicken, die Stadt mit Gewalt zu erobern.
Zuerst stellten sich die Janitscharen mit ihren Halbhaken und Handrohren hinter dem Gemäuer der eben zerstörten Vorstädte auf. Sie schossen noch vortrefflich; eine Anzahl geübter Bogenschützen gesellte sich ihnen zu; es hätte sich niemand an den Zinnen, auf den Mauern dürfen blicken lassen. Sie beherrschten den ganzen Umkreis derselben; die Giebel der benachbarten Häuser waren mit Pfeilen wie bepflanzt. Unter dem Dunst und Hall dieses Schießens bereiteten nun die Osmanen noch einen ganz anderen Angriff vor. Welches auch die Meister gewesen sein mögen, von denen sie ursprünglich darin unterwiesen sind, Armenier oder andere, eine Hauptstärke ihrer damaligen Belagerungskunst bestand in dem Untergraben der Mauern, dem Anlegen von Minen. Die Abendländer erstaunten, wenn sie derselben später einmal ansichtig wurden, mit Eingängen eng wie eine Tür, dann weiter, recht eigentlich mit einem Bergwerk zu vergleichen, glatte, wohlabgemessene, weite Höhlungen, zugleich darauf berechnet, daß das stürzende Gemäuer nach innen, nicht nach außen fallen mußte. Diese Kunst, denn eigentliches Belagerungsgeschütz führten sie nur sehr wenig bei sich, wendeten sie nun auch bei Wien an. Hier aber trafen sie auf ein Volk, das sich ebenfalls auf unterirdische Arbeiten verstand. Gar bald bemerkte man in der Stadt das Vorhaben des Feindes. Wasserbecken und Trommeln wurden aufgestellt, um die geringste Erschütterung des Erdbodens daran wahrzunehmen; man lauschte in allen Kellern und unterirdischen Gemächern – es sind noch abenteuerliche Sagen davon im Gange – und grub ihnen dann entgegen; es begann gleichsam ein Krieg unter der Erde. Schon am 2. Oktober ward eine halbvollendete Mine des Feindes gefunden und zerstört; bald darauf ward eine andere gerade noch im rechten Moment entdeckt, als man schon anfing sie mit Pulver zu füllen. Die Minierer kamen einander zuweilen so nahe, daß eine Partei die andere arbeiten hörte; dann wichen die Türken in einer anderen Richtung beiseite.