Название | Leopold von Ranke: Historiografische Werke |
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Автор произведения | Leopold von Ranke |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788027206056 |
Ein großes Ereignis war es, daß der Nation in diesem Augenblick des vollen geistigen Erwachens die Heiligen Schriften wie des Neuen so nun auch des Alten Testaments dargeboten wurden. Man kannte die Bibel, vorlängst gab es Übersetzungen; man muß sich aber einmal die Mühe nehmen sie anzusehen, um inne zu werden, wie voller Irrtümer, roh im Ausdruck und unverständlich sie sind. Luther dagegen ließ sich keine Mühe dauern, den Sinn unverfälscht zu begreifen, und verstand es sie deutsch reden zu lassen mit aller Reinheit und Gewalt, deren die Sprache fähig ist. Die unvergänglichen Denkmale der frühesten Jahrhunderte, in denen der Odem der jungen Menschheit weht, die heiligen Urkunden späterer Zeit, in denen sich die wahre Religion in aller ihrer kindlichen Ingenuität offenbart hat, bekam das deutsche Volk jetzt in der Sprache des Tages in die Hände, Stück für Stück, wie eine Flugschrift, deren Inhalt sich auf die unmittelbarsten Interessen der Gegenwart bezieht, und die man mit Begierde in sich aufnimmt.
Es giebt eine Produktion des deutschen Geistes, die aus eben diesem Zusammentreffen unmittelbar hervorging. Indem Luther die Psalmen übersetzte, faßte er den Gedanken, sie für den Gesang der Gemeinde zu bearbeiten. Denn eine ganz andere Teilnahme derselben an dem Gottesdienst als die bisherige machte die Idee der Kirche notwendig, wie er sie ausgesprochen hatte und ins Leben zu rufen begann. Bei der bloßen Bearbeitung jedoch, wie es wohl anderwärts geschehen, konnte man hier nicht stehen bleiben. Das gläubige Gemüt, beruhigt in der Überzeugung das geoffenbarte Gotteswort zu besitzen, gehoben durch das Gefühl des Kampfes und der Gefahr, in der man sich befand, angehaucht von dem poetischen Genius des alten Testaments, ergoß sich in eignen Hervorbringungen religiöser Lyrik, die zugleich Poesie und Musik waren. Denn das Wort allein hätte nicht vermocht, die Stimmung der Seele in ihrer ganzen Fülle auszudrücken oder das Gemeingefühl zu entbinden, festzuhalten; durch die Melodie erst geschah das, in der sich die alten Kirchentonarten mit ihrem Ernst und die anmutenden Weisen des Volksliedes durchdringen. So entstand das evangelische Kirchenlied. In das Jahr 1523 müssen wir seinen Ursprung setzen. Einzelne Lieder, von Spretten oder von Luther, fanden sogleich allgemeine Verbreitung; in diesen frühesten Bewegungen des reformatorischen Geistes wirkten sie mit; aber erst einige Jahrzehnte später entfaltete der deutsche Geist seinen ganzen Reichtum poetischer und besonders musikalischer Hervorbringungen in dieser Gattung.
Und auch übrigens widmete sich die volkstümliche Poesie mit dem Geiste der Lehrhaftigkeit und der Opposition, der ihr überhaupt eigen war, den aufkommenden Ideen. Schon Hutten hatte seine bittersten Anklagen in Reime geworfen; das Verderben der Geistlichkeit hatte Murner in langen anschaulichen Beschreibungen geschildert. Der Verwerfung und dem Tadel gesellte sich jetzt wenn nicht bei Murner, doch bei der Mehrzahl der anderen die positive Überzeugung, die Bewunderung des Vorkämpfers hinzu. Da ward der Mann gepriesen, der inmitten der roten Barette und Samtschauben die gerechte Lehre behauptet. In Fastnachtspielen erscheint der Papst, der sich freut, daß man seiner Büberei zum Trotz ihm die Macht zuschreibe, über den Himmel zu erheben oder in die Hölle zu binden; darum könne er auch manchen Vogel rupfen, ihm falle der Schweiß der Armen zu, und mit tausend Pferden könne er reiten. Er heißt Entchristelo; neben ihm erscheinen mit ähnlichen Expektorationen der Kardinal Hochmut, der Bischof Goldmund Wolfsmagen, der Vikarius Fabeler, der Kirchherr Meeher und wie sie sonst schon in diesen Namenbildungen dem Spott und der Verachtung preisgegeben werden; zuletzt aber tritt der Doktor auf, der die reine Lehre im Tone der Predigt verkündet.
Unter diesen Eindrücken bildete sich Burkard Waldis, der dann die alte Tierfabel mit so großem Erfolg auf die geistlichen Streitigkeiten angewendet hat. Unmittelbar aber stellte sich das große poetische Talent, das die Nation besaß, Luthern zur Seite: das Gedicht von Hans Sachs »Die Wittenbergisch Nachtigall« ist vom Jahre 1523. Er betrachtet darin die Lehre, die seit vierhundert Jahren geherrscht habe, wie den Mondschein, bei dem man in Wüsteneien irre gegangen, jetzt aber kündigt die Nachtigall Sonne und Tageslicht an und steigt über die trüben Wolken auf. Die Gesinnung eines durch das untrügliche Wort belehrten, seiner Sache gewiß gewordenen gesunden Menschenverstandes ist dann überhaupt die Grundlage der mannigfaltigen, wohl nicht vom Beigeschmack des Handwerks freien, aber sinnreichen, heiteren und anmutigen Gedichte, mit denen der ehrenfeste Meister alle Klassen der Nation erfreute.
8. Die Türken vor Wien 1529
Deutsche Geschichte III, Werke Bd. 3 S. 133 ff.
Wie die Beschlüsse, so waren auch die Erfolge der beiden Reichstage von 1526 und 1529 einander durchaus entgegengesetzt. Der erste führte die evangelischen unter Gewährleistung des Reiches zu ihren großen Gründungen, der zweite entzog ihnen diese Gewähr und zersetzte sie zugleich untereinander. Der Zwiespalt, der seit jenen Regensburger Satzungen75 begonnen, war nun zu vollem Ausbruch gediehen. Ich denke nicht, daß wir zu weit gehen, wenn wir auch in Hinsicht der auswärtigen Angelegenheiten einen ähnlichen Gegensatz zwischen den Folgen der beiden Reichstage zu bemerken glauben. Denn fast allezeit ist mit einer entsprechenden, den Genius einer Nation befriedigenden inneren Entwicklung auch eine glückliche Tendenz nach außen verbunden.
Das Haus Österreich, das damals den Fortgang der Evangelischen guthieß, war dafür mit Hilfe der deutschen Nation zur Herrschaft in Italien und in Ungarn erhoben worden.76 Es ließ sich nicht erwarten, daß, nachdem dieses Haus eine so ganz andere Richtung eingeschlagen, die Neigung der Nation ihm wieder zugute kommen werde. »Ich habe gehört,« schrieb Daniel Mieg, der von dem Reichsregiment ausgeschlossen worden,77 an den Altarmeister zu Straßburg, »die Königliche Majestät habe um Pulver angesucht; mein Rat wäre, es ihr nicht zu bewilligen, da uns solch eine Schmach geschehen ist. Es wird gut sein, daß wir unser Geld und unser Pulver selbst behalten, wir werden es selber brauchen.« Schon machte das Verfahren, das Umsichgreifen des Hauses Österreich eine allgemeine Besorgnis rege, und man hatte keine Lust, es ernstlich zu unterstützen. Ein Beisitzer des Reichsregiment, Abgeordneter des sonst so gut kaiserlich gesinnten Frankfurt, Hammann von Holzhusen, bemerkt doch, daß viele Stände, mögen sie nun lutherisch sein oder nicht, nicht wissen, was sie von Österreich zu erwarten haben; sie besorgen, die Hilfe, welche sie leisten, möge am Ende dem Reiche und der Nation zum Schaden gereichen. Bald darauf finden wir in Ungarn Briefe umlaufen, in denen aus den Glaubensstreitigkeiten, in welche Ferdinand mit den Großen in Deutschland geraten, die Unmöglichkeit hergeleitet wird, daß er Ungarn verteidige. Und indem nun diese Stimmung herrschend wurde, erschien der mächtigste Feind, den das Reich seit vielen Jahrhunderten gehabt, der Repräsentant einer andern, der christlichen entgegengesetzten Welt, an den Pforten