Название | Leopold von Ranke: Historiografische Werke |
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Автор произведения | Leopold von Ranke |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788027206056 |
Um jedoch das Urteil zu vollstrecken, war die Einwilligung und Mitwirkung des Prokurators57 notwendig. Dieser widmete den gegen Jesus vorgebrachten Beschwerden keine besondere Aufmerksamkeit; an und für sich würde er zu keiner Verurteilung geschritten sein. Aber das Verhältnis, in dem er sich befand, war nicht dazu angetan, einem von den Landesbehörden gefaßten Beschluß zu widerstreben, und überdies: Jesus hatte sich im Sinne der Messiasidee als König begrüßen lassen und wohl auch selbst bezeichnet. Er war entfernt davon, das jüdische Königtum etwa den Römern gegenüber aufrichten zu wollen; der Gedanke kam ihm nicht in die Seele. Allein der Hohepriester machte den Prokurator aufmerksam, daß sich Jesus als König der Juden gebärdet habe: Pilatus würde der Freund des Kaisers nicht sein, wenn er einen Menschen dieser Art am Leben lasse. Angewiesen, die den Juden noch verbliebenen Reste der Selbständigkeit zu schonen, und mit einer Beschwerde bedroht, die ihm in Rom gefährlich werden konnte, gewann es Pilatus über sich, den Unschuldigen hinrichten zu lassen. Die hierarchische Gewalt, welche die eine, und die militärische, welche die andere Religion bekannte, vereinigten sich dazu, den Verkündiger einer von beiden unabhängigen Religion umzubringen. Die Inschrift, die Pilatus über das Kreuz setzte, bezeichnete den Anspruch auf die Königswürde unter den Juden als Ursache der Hinrichtung, denn in der den Römern unterworfenen Provinz durfte es keinen König geben. Aber die Ankläger Jesu wußten doch sehr wohl, daß ein weltlicher Anspruch, wie er in dieser Bezeichnung lag, von ihm niemals gehegt worden war. Sein Königtum war nur der Ausdruck der messianischen Idee, die bei ihm eine außerweltliche Bedeutung hatte. Ihr Unrecht bestand darin, daß sie, um sich selbst zu erhalten, dem göttlichen Meister einen Anspruch zuschrieben, an den er in Wahrheit nicht dachte.
Das fleckenloseste, tiefsinnigste, menschenfreundlichste Wesen, das je auf Erden erschienen war, fand keinen Platz in der damaligen Welt. Jesus hatte seinen Tod mit voller Bestimmtheit kommen sehen, aber er wußte, daß damit seine Lehre bekräftigt und gerettet werde. Was wir das Abendmahl nennen, war nicht ein bloßer Abschied; es war ein Bund zwischen ihm und den Jüngern auf der mystischen Grundlage seiner göttlichen Sendung; Taufe und Abendmahl haben den Charakter von gegenseitigen Verpflichtungen zwischen Göttlichem und Menschlichem. Wer hätte nicht meinen sollen, daß mit dem Meister, dessen Jünger bisher sich oft sehr schwach und zweifelhaft erwiesen hatten, auch die Lehre vertilgt sein werde? Allein der Tod selbst und die Erscheinungen, die ihn begleiteten und ihm folgten, von deren Realität sie so fest überzeugt waren wie von irgend etwas, das man mit Augen gesehen und mit Händen betastet hat, erhoben ihre Seele zu einer Freudigkeit, die sie bisher nie bewiesen. Aus Jüngern wurden sie selbst Lehrer der Welt, Apostel des Meisters, den sie, seinen eigenen Äußerungen folgend, als Gottheit verkündigten.
Ich vermeide, wie berührt, auf das Geheimnis einzugehen. Auf dem Standpunkt der historischen Verknüpfung der Ideen drängt sich mir beim Anblick dieser Erscheinung mitten in der griechisch-römischen Welt noch eine Erinnerung auf, die ich nicht übergehen darf. In jenem Widerstreit der Naturkräfte, den die alte Mythologie als einen Kampf zwischen Göttern und Titanen auffaßt, in welchem die Götter den Sieg erringen, bildet vielleicht die in sich bedeutendste Gestalt jener Prometheus, der besiegt und an den Kaukasus geschmiedet wird. Die Götter bestraften ihn, weil er sich der Menschheit, ihren Bedürfnissen, ihrem Leben, der Ausbildung ihrer Kräfte, der geistigen sowohl wie der materiellen, gewidmet hatte. Die Menschheit war seitdem den Göttern des Olymp unterlegen. Seit vielen Jahrhunderten hatten die polytheistischen Vorstellungen die Welt beherrscht; jetzt aber waren sie in dem Widerstreit der nationalen Götter, der übrigen mit den römischen, dieser selbst mit einander, unhaltbar geworden. Das Extrem dieser Vorstellungen, die Göttlichkeit des römischen Kaisers, schien das System zu vollenden, trug aber doch das meiste bei, es zu zerstören. Da mußte denn auch, wenn wir uns so ausdrücken dürfen, Prometheus von seinem Felsen gelöst und die Menschheit in ihr ursprüngliches Dasein zurückgerufen werden. Sie trat in eine unmittelbare Verbindung mit dem Göttlichen, nicht aber den Naturkräften, sondern der Gottheit, welche über denselben allwaltend gedacht wurde, und diese Verbindung vor allem erscheint in dem christlichen Glauben.
Dies höchste göttliche Wesen, Schöpfer des Alls, stand bisher zu hoch über der Welt, unerreichbar, jenseits aller Begriffe; in Christus erscheint es dem Menschen zugewandt, selbst menschlich, nicht allein mit seinem moralischen, sondern auch seinem intellektuellen Wesen innig vereinigt. Der Menschheit wurde damit eine neue Bahn eröffnet.
2. Staat und Kirche
Deutsche Geschichte I, Werke Bd. 1 S. 1-5. Einleitung.
In Schule und Literatur mag man kirchliche und politische Geschichte von einander sondern; in dem lebendigen Dasein sind sie jeden Augenblick verbunden und durchdringen einander. Wie es überhaupt keine menschliche Tätigkeit von wahrhafter, geistiger Bedeutung gibt, die nicht in einer mehr oder minder bewußten Beziehung zu Gott und göttlichen Dingen ihren Ursprung hätte, so läßt sich eine große, des Namens würdige Nation gar nicht denken, deren politisches Leben nicht von religiösen Ideen angeregt und erhoben würde, die sich nicht unaufhörlich damit beschäftigte, dieselben auszubilden, zu einem allgemein gültigen Ausdruck und einer öffentlichen Darstellung zu bringen.
Nicht zu leugnen ist, daß die Nationen hierdurch in einen gewissen Widerstreit in sich selbst geraten. Die Nationalität bewegt sich innerhalb ihrer natürlichen, schon durch die Selbständigkeit der Nachbarn festgesetzten Schranken; die Religion, seit einmal diejenige in der Welt erschienen ist, die den Anspruch und das Recht dazu hat, strebt ewig die allgemeine zu sein. Inwiefern der Staat zu gründen ist, macht sich ein eigentümliches Prinzip geltend, ebenfalls geistiger Natur, das auch seine innere Notwendigkeit hat, in bestimmten Formen sich ausspricht, besondere Bildungen hervortreibt, eine unbedingte Freiheit in Anspruch nimmt; sobald eine Kirche mit ihren weiterreichenden, verschiedene Völker umfassenden Formen entstanden ist, gibt sie sich leicht dem Bestreben hin, den Staat in sich aufgehen zu lassen, dessen Prinzip sich zu unterwerfen: es wird ihr schwer, die ursprüngliche Berechtigung der Nationalitäten und der Staaten neben sich anzuerkennen. Wie das Leben, so wird selbst die Auffassung der Begriffe von diesem Gegensatz berührt. Die allgemeine Religion erscheint, nachdem sie zuerst in das Bewußtsein des menschlichen Geschlechts getreten ist, als eine große von Volk zu Volk fortschreitende Überlieferung, mitgeteilt in festen Lehrsätzen; aber die Nationen können es sich nicht nehmen lassen, die Fähigkeit und den Inhalt des ihnen ursprünglich eingepflanzten Geistes prüfend daran zu versuchen.
Aus der Natur dieses Widerstreites geht hervor, welch ein großes Moment für alles menschliche Dasein darin liegt. Die religiöse Wahrheit muß eine lebendige Repräsentation haben, um den Staat in fortwährender Erinnerung an den Ursprung und das Ziel des irdischen Lebens, an das Recht seiner Nachbarn und die Verwandtschaft aller Nationen zu erhalten; er würde sonst in Gefahr sein, in Gewaltherrschaft auszuarten, in einseitigem Fremdenhaß zu erstarren. Die Freiheit der nationalen Entwicklung dagegen ist selbst für die religiöse Lehre notwendig; sie würde sonst nicht wahrhaft begriffen, innerlich angenommen werden; ohne ein immer wiederholtes Bezweifeln und Überzeugtwerden, Bejahen und Verneinen, Suchen und Finden würde kein Irrtum zu heben, kein tieferes Verständnis zu erreichen sein. Und so kann auch die Kirche eine von ihr unabhängige Bewegung nicht entbehren; sie bedarf es, an die wechselnden Bedürfnisse der Geister, die Wandelbarkeit ihrer eigenen Formen erinnert zu werden, um sich vor der dumpfen Widerholung unbegriffener Lehren und Dienste zu bewahren, welche die Seele töten. Man hat gesagt, der Staat sei schon die Kirche; oder die Kirche hat sich berechtigt geglaubt, an die Stelle des Staates zu treten. Die Wahrheit ist, daß das geistige Leben, in seiner Tiefe und Energie58 allerdings