Название | Walther Kabel-Krimis: Ãœber 100 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Band |
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Автор произведения | Walther Kabel |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788075831101 |
Können wir unsere Unterredung nicht wo anders fortsetzen als hier im Flur?«
Die Mießtaler duckte sich scheu zusammen. Wieder dieser Diebstahl …! Und sie hatte doch schon gehofft, daß die Sache nun mit der Abreise Irmas erledigt sein würde …!
»Ja – was wollen Sie denn von mir eigentlich?« fragte sie hochfahrend. Aber der Ton gelang ihr nicht mehr so ganz. Der Rest von selbstbewußter Sicherheit war nur noch sehr gering.
Larisch beugte sich dicht zu ihr.
»Ich sollte Sie in Gegenwart Ihrer Mieterin im Auftrag Schinkels fragen, ob Sie zugeben wollen, sich an der Kassette etwas zu schaffen gemacht zu haben,« sagte er leise.
Sie prallte zurück.
»Ich habe das Geld nicht gestohlen – bei Gott nicht!« entfuhr es ihr in höchster Verwirrung.
»Wollen wir nicht anderswo uns aussprechen?« fragte Larisch abermals mit milder Stimme.
Sie überlegte. Im Hinterzimmer hielt Herbert Mittagsschlaf. Aber Irmas Stube war ja frei. Und auch die andere, denn der Versicherungsagent war heute plötzlich ausgezogen, weil er von seiner Gesellschaft eine Vertretung nach auswärts erhalten hatte.
Sie öffnete also die Tür von Gustav Heberleins Zimmer und machte eine einladende Handbewegung.
Larisch sah sich schnell in dem kleinen, dürftig möblierten Raum um.
»Wer wohnt hier?« fragte er, indem er sich auf einen der verschossenen Plüschsessel setzte.
»Zur Zeit niemand. Der Herr Heberlein ist seit heute morgen fort. Er mußte nach Eberswalde reisen.«
»Heberlein – Heberlein …? – Der Name kommt mir so bekannt vor. War der Herr nicht Versicherungsbeamter? Ich glaube, ich kenne ihn irgendwoher.«
Die Kanzleirätin nickte.
»Er ist also ausgezogen,« meinte Larisch, stand auf und betrachtete sich ein Sportbild, ein Rennpferd darstellend, das neben einem Abreißkalender an der Wand hing.
Die Mießtaler suchte den unangenehmen Gast durch liebenswürdige Gesprächigkeit für sich zu gewinnen.
»Ja, ausgezogen, und die Miete für den Rest des Monats hat er einfach schießen lassen. – – Der Gaul da soll ja wohl schon viel Geld eingebracht haben. Heberlein war sehr für den Pferdesport, Herr Larisch. Das Bild hat er in der Eile vergessen mitzunehmen.«
»Es hat ja auch keinen Wert,« meinte der Schriftsteller und setzte sich wieder. »Nun zu der Kassette, Frau Rat. – Aber – nehmen Sie doch auch Platz. So – es plaudert sich gemütlicher.«
Sie merkte, daß er mit ihr wie die Katze mit der Maus spielte. Ihre Unruhe wuchs.
»Ja – also die Kassette. Darin lagen so allerhand Papiere. Obenauf eine Zuschrift des Amtsgericht Sziemanowo an Fräulein Hölsch. Schinkel erzählte mir, daß dieses Schriftstück einen Blutfleck aufwies, und zwar den verwischten Abdruck eines Fingers, besser einer Fingerspitze. Sie haben da ein Stückchen Heftpflaster am rechten Zeigefinger. Wo haben Sie sich die Verletzung geholt?«
»Ich – ich weiß nicht recht, wo, – wirklich nicht. Es ist nur ein Riß,« erwiderte sie sehr rot und verlegen werdend.
»Aber Schinkel weiß es. Als der angebliche Elektromonteur gegangen war, haben Sie aus Neugierde das Mittelschränkchen des Schreibtisches der Lehrerin mit einem Nachschlüssel geöffnet. Nein – nur öffnen wollen. Na – ich brauche Ihnen die Einzelheiten nicht zu erzählen. Jedenfalls rührt der blutige Fingerabdruck auf dem amtlichen Schreiben von Ihnen her. Sie hatten sich eben beim Aufmachen der Kassette an dem losgesprengten Zapfen geritzt, was Ihnen in der Aufregung gar nicht auffiel. Als Fräulein Hölsch dann heimkehrte, fingen sie absichtlich sofort von dem Monteur an, damit ja nicht auf Sie der Verdacht falle, die Kassette … revidiert zu haben. Sie haben nur dabei außer acht gelassen, daß so ein Fingerabdruck besser ist als die schönste Photographie. Schinkel hat Ihnen vorgestern abend einen Nickelteller zum Halten gegeben, unter irgend einem Vorwand. Und da hat sich trotz des Läppchen, daß um den Zeigefinger gebunden war, ein Teil ihrer Zeigefingerspitze auf dem blanken Nickel wie ein Stempel abgedrückt. Ein Detektiv besitzt geübte Augen. Schinkel konnte daher sehr schnell feststellen, daß beide Abdrücke sich glichen.«
Larisch wählte seine Worte mit klugem Bedacht. Er redete absichtlich so, als hielte er die Mießtaler für die Diebin, die durch den Blutfleck überführt wäre. Aber all das sagte er so versteckt, so andeutungsweise, daß er jederzeit seinen Worten eine andere Erklärung geben konnte.
Die Kanzleirätin saß starr und steif, jetzt ganz farblos im Gesicht, in dem zweiten Plüschsessel. Angst schnürte ihr die Kehle zusammen. Sie war nicht dumm, diese frühere Verkäuferinnen aus Berlin N., sah ein, daß sie in einer bösen Falle steckte. Wenn der falsche Monteur nicht gefunden wurde, konnte der Verdacht unter diesen Umständen allein an ihr hängen bleiben, das Geld sich angeeignet zu haben. Sie war ja stets in Geldverlegenheit.
Ihre unstäten Augen suchten jetzt das Gesicht des Mannes, der ihr soeben klar bewiesen hatte, wie gut er über alles unterrichtet war. Ihre Hände falteten sich unwillkürlich, reckten sich hoch und unterstützten nun ihre klägliche Bitte …
»Glauben Sie mir doch, ich habe die vierzig Mark wirklich nicht genommen – so wahr mir Gott helfe! – Ich will alles ehrlich eingestehen – alles! Nachdem der Monteur fortgegangen war, habe ich mit einem Schlüssel, der zu dem Mittelschränkchen paßt, dieses öffnen wollen. Ich bin neugierig, – leider, leider, und Fräulein Hölsch hatte damals einen eingeschriebenen Brief erhalten. Ich wollte sehen, ob ich ihn vielleicht in die Finger bekam. – Das Schränkchen war – zu meinem Schreck! – aufgebrochen worden, wie ich bald merkte. Das abgesplitterte Holzstückchen war nur lose eingeklemmt gewesen und fiel herab, als ich kaum den Schlüssel eingesteckt hatte. Am liebsten hätte ich mich nun schleunigst wieder fortgemacht. Aber ich ahnte schon, daß die Geschichte mit dem Monteur nicht ganz richtig war. Mir zitterten ordentlich die Hände, als ich dann die Kassette herausnahm. Auch sie war aufgebrochen. Den Blutfleck bemerkte ich gar nicht, den ich selbst verursacht hatte. Ich war so furchtbar aufgeregt, legte schnell das Schriftstück wieder zurück, nachdem ich den Inhalt überflogen hatte. Als Fräulein Hölsch dann nach Hause kam, wollte ich sie sofort auf den Monteur aufmerksam machen, damit ja kein Verdacht auf mich fiele, hier den Einbrecher gespielt zu haben. Ich tat etwas ungehalten, daß Fräulein Hölsch den Elektromonteur ohne mein Wissen bestellt hatte, und …«
»Schon gut!« winkte Larisch kurz ab. Dann lächelte er, zuckte die Achseln und sagte:
»Schinkel nimmt an, daß der Monteur lediglich eine von Ihnen erfundene Phantasiefigur ist.«
Sie begriff sofort. Wieder hob sie flehend die gefalteten Hände. Sie ahnte nicht, daß er überzeugt war, daß sie soeben die volle Wahrheit gesprochen hatte. Egon Larisch konnte sehr grausam sein, wenn er sich auf der Jagd befand. Und hier war er der Jäger, der der ›treuen Hand‹ nachsetzte.
»Ich kann jeden – jeden Eid schwören, daß ich nichts aus der Kassette gestohlen habe,« sagte sie weinerlich. »Ich bin eine ehrliche Frau, und nur …« Ein paar Tränen rollten über ihre fahlen Wangen. Die Stimme erstickte in einem verzweifelten Aufschluchzen.
»Beruhigen Sie sich, Frau Rat,« meinte Larisch freundlich. Sie tat ihm leid. »Die Sache wird sich ja hoffentlich aufklären lassen. Nur müssen Sie weder Roderich Schinkel noch mir gegenüber irgendwelche Winkelzüge machen, verstanden?! Beantworten Sie alle meine Fragen ganz ehrlich und erzählen Sie niemandem etwas von diesen Dingen. Wollen Sie mir das versprechen?«
Eine Zentnerlast fiel ihr vom Herzen. Sie merkte es seiner Stimme an, daß er sie schonen würde. Und sie sagte alles zu, was er nur verlangte.
»Gut, Frau Rat. Nun machen Sie aber auch wieder ein anderes Gesicht,« meinte er aufmunternd. »Betrachten Sie Schinkel und mich als Ihre Bundesgenossen. Wir werden den Dieb schon herausfinden. –
So, und jetzt einige Fragen.