Walther Kabel-Krimis: Ãœber 100 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Band. Walther Kabel

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Название Walther Kabel-Krimis: Ãœber 100 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Band
Автор произведения Walther Kabel
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788075831101



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Bellinger!!“

      Der rührte sich nicht. – Den Baron durchzuckte ein böser Verdacht. Sollte Bellinger vielleicht wieder …?!

      Er rüttelte ihn, rüttelte sehr kräftig.

      „Verd… Bande, laßt mich schlafen! Ich bin total voll – total!“ lallte der Assessor, ohne die Augen zu öffnen.

      „Bellinger!!“ brüllte der Oberleutnant jetzt mit voller Lungenkraft. „Bellinger – Feuer …!!“

      Das half. Der Assessor schnellte empor, taumelte, hielt sich am nächsten Stuhl fest und stierte den Baron wie einen Geist an.

      „Sie … Sie haben Pech“, stammelte er dann. „Der Kinkel, mein Brotherr, ist heute Justizrat geworden. Das habe ich – habe ich auf seine Kosten begossen – den Titel – Justizrat, – großartig, was?!“

      Eginhard von Blendel schüttelte den Kopf.

      „Wie kann man sich nur am Vormittag schon so bis zur Bewußtlosigkeit vollsaufen!“ meinte er mißbilligend. „Sie haben mir doch gestern versprochen, sich mit Ihrem ganzen Können dem Falle Lossen zu widmen …!“

      „Versprochen bleibt versprochen, Baron!“ sagte Bellinger, indem er sich gewaltsam zusammennahm. „Was bedeuten denn die armseligen vier Flaschen Burgunder?! Lächerlich!! Warten Sie hier zehn Minuten, und Cesar Bellinger steht nüchtern zu Ihrer Verfügung, falls Sie was Dringendes zu erledigen haben.“

      „Allerdings. Vielleicht genügt es, wenn ich Ihnen sage, daß ich heute früh zufällig Fräulein Charlotte Oltendorf kennengelernt habe und daß sie Ihre Hilfe gleichfalls braucht.“

      „Oltendorf … Oltendorf … – Donnerwetter – großartig!! – Entschuldigen Sie also!!“

      Unsicheren Schrittes ging Bellinger hinaus.

      Aus den zehn Minuten wurde jedoch eine Viertelstunde. Dann trat der Assessor wieder ein – rosig, frisch, vergnügt und mit klaren Augen.

      „Na – zufrieden, Baron?“ meinte er, indem er Blendel die Hand zur Begrüßung hinstreckte.

      „Wie haben Sie das fertig gebracht, Bellinger? Wahrhaftig – man merkt Ihnen nichts mehr an.“

      „Kalte Dusche, Magenentleerung, ein Liter heiße Milch, – – das ganze Kunststück!! – Doch nun: ans Geschäft! Bitte nehmen Sie Platz. Ich bin begierig auf Charlotte Oltendorf.“

      „Bedaure. Mit der Geschichte kann ich erst abends dienen – vielleicht. Früher darf ich nicht sprechen. Möglicherweise bleibe ich auch ganz stumm. Das hängt von [den] Umständen ab. – So habe ich’s der jungen Dame versprechen müssen.“

      „Also war Ihre Bemerkung vorhin nur Ernüchterungsmittel?! – Auch gut. – Was gibt es sonst?“

      „Das fragen Sie mich? Ich denke, Sie werden viel zu erzählen haben. Sie waren doch gestern nacht offenbar schon sehr rüstig in der Sache Lossen.“

      Bellinger hatte sich auf seinen Schreibtisch gesetzt und schlenkerte mit den Beinen. Jetzt zeigte er auf seine Unterschenkel, die sich wie Pendel hin und her bewegten.

      „Woran erinnert Sie das, Baron?“ fragte er ganz ernst.

      Eginhard von Blendel zuckte die Achseln.

      „Ganz nüchtern sind Sie doch noch nicht, Bellinger.“

      „Meinen Sie?! – Ich wollte Sie nur auf Maletta bringen, Herrn Doktor Peter Maletta. – War ne tolle Geschichte, nicht wahr? Der gute Lossen sieht einen Befrackten auf einem Schemel tanzen …!! – Toll – toll!“

      Der Baron schaute den Assessor bittend an.

      „Meine Neugier ist um hundert Prozent gestiegen, Bellinger. – War es Scharfer, der Maletta aufgeknüpft hat? Reden Sie – oder ich pumpe Ihnen keine Mark mehr!“

      Der Assessor wiegte zweifelnd den Kopf hin und her.

      „Wie schwer, glauben Sie, ist Maletta?“

      „Körpergewicht?“ fragte Blendel verdutzt.

      Bellinger nickte.

      „Vielleicht 130 bis 140 Pfund“, erwiderte der Baron nach kurzem Nachdenken.

      „Nun – wenn Scharfer Kraft genug besitzt, einen Mann von diesem Gewicht mit dem Kopf in eine kurze Schlinge hineinzuheben, die dicht unter einem Kronleuchter hängt, dann ist er der Mörder.“

      Blendel meinte darauf unzufrieden:

      „Ist das alles, was Sie mir zu sagen wissen?“

      „Oh nein – nur der Anfang. – Unser Klubhaus hat Nummer 18. Wer wohnt in der dritten Etage des Nachbargebäudes Nummer 17?“

      „Keine Ahnung! – Aber was soll das?“

      „Werden Sie schon merken. Später! – Waren Sie schon mal auf dem Dach unseres Klubhauses?“

      Da wurde der Baron ungeduldig.

      „Lassen Sie diese Art von Frage- und Antwortspiel, Bellinger! Ich bin nicht in der Stimmung für solche halben Witzeleien. Die Sache Lossen ist zu ernst dazu.“

      „Ganz meine Meinung! – Gut – ich kann auch weniger interessant berichten, das heißt, nüchtern erzählen. Also: Ich beschäftige mich seit längerer Zeit mit der Person Malettas, das heißt, schon bevor ich Mitglied des Klubs wurde, wo ich ihn erst persönlich kennenlernte. Aufmerksam wurde ich auf ihn durch folgenden Vorfall. An einem Winterabend – es war im Januar – saß ich im Restaurant Körber in der Mohrenstraße. Wie immer herrschte dort ein ewiges Gehen und Kommen. Die Tische waren dicht besetzt. Plötzlich wurde einer der Gäste anscheinend von Krämpfen befallen und wand sich am Boden in schrecklichen Zuckungen. Ich sprang ihm als erster bei. Mit Schaum vor dem Munde rief er mir zu, als ich mich über ihn beugte …: „Westentasche … zwei Pillen – geben Sie sie mir …!“ Ich fand denn auch in der Westentasche ein Büchschen, darin eine Anzahl Pillen, und es gelang mir, ihm zwei davon in den Mund zu schieben. – In kurzem erholte er sich wieder. Er erbrach sich heftig und mein Samariterdienst machte es erforderlich, daß ich ihm mit meinem Taschentuche den Mund reinigte. Sein Verhalten war nun bei dieser Gelegenheit so merkwürdig, daß ich auf den Verdacht kam, es könnte bei ihm eine Vergiftung durch eine dritte Person vorliegen. Ich will nicht näher ausführen, wie dieser Verdacht im einzelnen in mir rege wurde. Das würde zu viel Zeit kosten. – Jedenfalls ließ ich das Taschentuch von einem mir bekannten Chemiker untersuchen. Es enthielt in den Spuren des Mageninhaltes Malettas ein besonderes Arsenikpräparat. Damit war der Beweis erbracht, daß Maletta vergiftet werden sollte. Als Täter kam ein Herr in Frage, der mit ihm an demselben Tische gesessen und bei dem ersten scheinbaren Krampfanfall sehr eilig das Lokal verlassen hatte, wie ich von dem Kellner erfuhr. Immerhin hatte dieses Erlebnis für mich damals noch nicht so viel Interesse, um mich weiter damit zu beschäftigen. – Neun Monate später, im Herbst, las ich dann in dem Berliner Skandalblättchen „Die große Trompete“ rein zufällig folgendes: Der Chemiker Dr. M. war an einem Abend auf offener Straße in einer noch wenig bebauten Gegend Schmargendorfs, des westlichen Berliner Vorortes, überfallen, niedergeschlagen und durch einen Dolchstoß an der Schulter leicht verletzt worden. Ein paar Arbeiter verfolgten den Attentäter und erwischten ihn auch nach längerer Jagd. Der Festgenommene, ein älterer Mann, spielte den Harmlosen, protestierte gegen seine Ergreifung und behauptete, er hätte mit dem Überfall nicht das geringste zu tun. Die Arbeiter, die sich ihrer Sache völlig sicher glaubten, waren dann sehr enttäuscht, daß Dr. M. mit voller Sicherheit behauptete, sie hätten tatsächlich einen Unschuldigen gefaßt. Man ließ den Alten also laufen, und die Polizei hatte keinen Grund, sich irgendwie einzumischen. Nur „Die große Trompete“ hielt die Angelegenheit für wert, darüber einen langen Artikel loszulassen, in dem sie zu beweisen suchte, daß Dr. M., „ein sehr bekannter Chemiker“, wohl absichtlich den Angreifer, eben jenen grauhaarigen Mann, den die Arbeiter festgenommen hatten, geschützt habe, indem er so tat, als sei es der Unrechte. Das genannte Revolverblatt führte denn auch allerlei an, was für die von ihm vertretene Ansicht sprach, und fügte zum Schluß hinzu,