Walther Kabel-Krimis: Ãœber 100 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Band. Walther Kabel

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Название Walther Kabel-Krimis: Ãœber 100 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Band
Автор произведения Walther Kabel
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788075831101



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„Ich möchte mit ziemlicher Bestimmtheit …“

      „Schon gut!“ unterbrach Bellinger ihn, zündete sich eine Zigarette an und fuhr dann fort:

      „Baron Blendel hat mich gebeten, mich mit Ihrer Angelegenheit etwas eingehender zu beschäftigen, Herr Lossen. Er will Sie rehabilitieren. Das wird nicht ganz einfach sein. Ich habe damals den Verhandlungen in der Strafkammer beigewohnt. – Übrigens: hat der Baron Ihnen schon erzählt, wer ich bin, was ich treibe? – Nein? – Nun: in der Hauptsache bin ich [ein] sogenannter Quartalssäufer. Tatsache! Ich war Assessor am Amtsgericht in Pankow, als die hohe Justizbehörde einsah, daß ein Mann, der vier Tage in jedem Monat nicht eine Minute nüchtern wurde, sich zum Richter nicht eigne. Ich wurde also gejagt. Geld hatte ich nicht, und so trat ich als Lohnsklave bei Rechtsanwalt Kinkel, dem berühmten Strafverteidiger, ein, der bald meine wahren Fähigkeiten entdeckt zu haben glaubte und mich noch heute als Spitzel, Detektiv, Geheimagent oder wie Sie’s sonst nennen wollen, beschäftigt. Sie, Herr Lossen, haben nun insofern großes Glück gehabt, als ich gerade gestern mein „Quartal“ wieder beendet habe, das heißt, – ich werde jetzt vier Wochen lang verhältnismäßig nüchtern bleiben. – Was nun Ihre Sache selbst angeht, so war Ihr damaliger Offizialverteidiger, der Rechtsanwalt Jakobsohn 3 – im ganzen gibt’s vier Jakobsöhne als Rechtsanwälte in Berlin – so ziemlich der ungeeignetste Mann für einen solchen Fall. Denn dieser Diebstahl ist „ein Fall“ – ohne Zweifel. Er hat mich mächtig interessiert. Ich hatte nur nicht die Zeit, mich der Geschichte richtig zu widmen. – Gießen Sie mir das Glas wieder voll, Baron! Sie sind ein sehr unaufmerksamer Gastgeber.“

      Blendel saß mit recht mürrischer Miene da.

      „Ich will erst wissen, was Sie von den Vorgängen im Vorstandszimmer halten“, sagte er hartnäckig. „Eher bekommen Sie keinen Tropfen.“

      Bellinger stand auf. „Dann muß ich mich verabschieden, Baron. Morgen wird Ihre Neugier geringer geworden sein. – Gute Nacht, meine Herren.“

      „Bleiben Sie – zum Teufel!“ rief Blendel wütend. „Sie sind der … der unglaublichste Mensch, dem ich je begegnet bin!“

      „Na, – Sie irren! Maletta ist viel unglaublicher als ich. Wahrhaftig! Es war dies vorhin der dritte Mordanschlag, der auf ihn verübt worden ist, und alle dreimal hat er hoch und heilig geschworen, er wisse nichts von den Tätern.“

      Bellinger hatte sich wieder gesetzt und fügte nun hinzu: „Maletta allein liefert Stoff zu einem Dutzend Kriminalromane. Warum – das erzähle ich schon noch, wenn ich die Zeit für gekommen halte. Er weiß, daß ich mich mit seiner Person beschäftige. Er hat Angst vor mir. Und ich wette, daß er Sie, Herr Lossen, morgen besuchen und durch Geld bestechen wird, mir entgegenzuarbeiten.“

      Lossen war bisher unschlüssig gewesen, ob er Bellinger und dem Baron berichten solle, was Maletta ihm auf der Treppe zugeflüstert hatte. Jetzt zögerte er nicht, mit der Wahrheit herauszurücken.

      Bellinger sagte daraufhin nur: „Na – habe ich nicht ganz richtig vermutet? Ich kenne doch meinen Peter Maletta!“

      „Ein unsympathischer Bursche“, brummte Blendel. „Und drei Mordversuche …?! – Ich platze vor Neugier, – wenn nicht heute, – morgen bestimmt!“

      „Schade! Dann kann ich Sie nicht mehr anpumpen, Baron“, meinte der Exassessor ruhig. „Bitte fügen Sie doch Ihrem Testament noch hinzu, daß Ihr Erbe auf meine stets leere Börse genau dieselbe Rücksicht zu nehmen hat, wie Sie dies stets taten.“

      Lossen vermochte ein Lächeln nicht zu unterdrücken. Er lächelte so selten. Aber dieser Bellinger war wirklich ein mehr als komischer Kauz, sah mit seinem glattrasierten, rosigen Gesicht wie ein Student im ersten Semester aus und besaß doch die weltweise Selbstironie des gewiegten Menschenkenners.

      Der Baron schenkte die Gläser voll. Man stieß an, und Bellinger sagte dazu:

      „Auf Ihr Wohl, Herr Lossen! – Wir werden jetzt also Sie mal gründlich verarzten – gründlich! So wahr ich Cesar Bellinger heiße und Quartalssäufer bin!“

      Plötzlich hob er wie warnend die Hand.

      „Still – keinen Laut!“ flüsterte er, indem er aufstand und nach dem Filzvorhang hinglitt, hinter dem die in die Malaienhütte führende Tür lag.

      Hier stand er ein paar Sekunden regungslos und lauschte. Dann winkte er Blendel und Lossen zu und verschwand hinter der schweren Decke.

      Die beiden sprangen auf und eilten hinter ihm drein.

      In der Malaienhütte brannte die aus einer Riesenmuschel gefertigte Deckenlampe. Die Flügeltüren nach dem Vorstandszimmer standen noch weit offen. Und gerade unter dem Kronleuchter, an dem noch vor einer halben Stunde etwa Peter Maletta gebaumelt hatte, sagte jetzt Bellinger sehr laut zu dem ihm gegenüberstehenden und sehr bestürzt aussehenden Kommerzienrat Scharfer:

      „Haben Sie hier vorhin etwas vergessen, Herr Kommerzienrat?“

      Scharfer lächelte gezwungen.

      „Sie verstehen es, einen zu erschrecken, Bellinger! Sie kamen ja wie ein Wirbelwind ins Zimmer gestürzt! – Ihre Frage aber begreife ich nicht. Sie sagten: „… vorhin etwas vergessen.“ – Vorhin?! – Ich betrete diesen Raum heute zum erstenmal, wirklich!“

      „Zu welchem Zweck sind Sie denn eigentlich hierher gekommen?“ meinte Bellinger kopfschüttelnd.

      Da wurde Scharfer ungemütlich.

      „Was geht Sie das an?! Ich denke, ich kann als Vorstandsmitglied gerade in diesem Raume tun und lassen, was ich will! Ich verbitte mir von Ihnen diesen Untersuchungsrichterton, – verstanden!“

      Bellinger schaute ihn prüfend an.

      „Doktor Maletta ist vor kurzem im Auto nach Hause gefahren“, sagte er dann langsam. „Er fühlte sich nicht ganz wohl. Der Kragen war ihm zu eng, auch die Krawatte.“

      „Sie sind betrunken!“ schnob Scharfer wütend. „Was geht mich Maletta an?! – Ich fordere Sie auf – als Vorstandsmitglied, dieses Zimmer sofort zu verlassen. Sie wissen, daß es nur dem Vorstand erlaubt ist, es zu betreten.“

      Bellinger verbeugte sich.

      „Entschuldigen Sie, Herr Kommerzienrat. Ich bin wirklich wieder voll …! Der verd… Sekt! – Kehren wir zu unseren geliebten Buddeln zurück, meine Herren!“ wandte er sich an Lossen und Blendel.

      Der Baron folgte Bellinger nur zögernd. Er hätte gern eine Fortsetzung dieser Szene miterlebt. Bisher hatte er Scharfer alles in allem für einen tadellosen Ehrenmann gehalten. Dieser Glaube war jetzt sehr stark erschüttert worden. Bellinger hatte doch offenbar gegen den Bankier einen starken Verdacht gefaßt, was den angeblichen Selbstmord anbetraf.

      Auch Lossen zauderte, ohne jedes weitere Wort davonzugehen. Er dachte an den lohnenden Auftrag in Potgow. Und deshalb sagte er sehr höflich:

      „Verzeihen Sie, daß wir Sie gestört haben, Herr Kommerzienrat.“

      Scharfer lachte kurz auf. Und da hätte Lossen schwören können: es war dasselbe Lachen wie vorhin, als man gleich darauf Maletta in der verzweifelten Lage aufgefunden hatte.

      „Bellinger ist wieder mal fertig!“ sagte Scharfer verächtlich. „Schade um den Menschen!“ fügte er leiser hinzu. –

      Als Lossen das Kirgisenzelt betrat, war der Baron nur noch allein anwesend.

      „Bellinger ist auf und davon“, meinte er geheimnisvoll. „Trinken wir aus und gehen wir. Wir sollen morgen mittag um ein Uhr zu ihm kommen.“

      Gleich darauf erschien jedoch Scharfer von der Malaienhütte her.

      „Baron, – was ist eigentlich in dem Vorstandszimmer vorgegangen?“ fragte er erregt und atemlos. „Die Flügeltüren sind doch gewaltsam erbrochen. Daß sieht jedes Kind! Hat sich etwa Bellinger dieses Kraftstück in seiner Trunkenheit geleistet?!“

      Blendel nickte nur.

      „Das