Ein naheliegendes Opfer. Elisa Scheer

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Название Ein naheliegendes Opfer
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783844278705



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oder sowas herumgestanden wäre. Sowas haben doch alle fünfundvierzig in die nächste Odelgrube geschmissen, oder? Bevor die Amis sich entrüsten mussten? Außerdem ist er sonst eigentlich kein Nazi, zumindest redet er politisch nicht so daher. Nur dieses stark/schwach-Gewäsch nervt – und dass er nach diesem Prinzip Geschäfte machen will.“ Er seufzte.

      „Ja“, stimmte Steinmann zu, „und so ruiniert er über kurz oder lang den Betrieb. Hat die Hütte eigentlich kein Telefon?“

      Jonathan überlegte. „Ich war da seit Jahren nicht mehr, wahrscheinlich würde ich nicht mal mehr hinfinden… gibt´s da ein Telefon… nein, ich glaube nicht. Genau, erst wollte er richtig abschalten können (als ob ihn jemand freiwillig anrufen würde!) – und dann hatte er ja sowieso ein Handy. Ich weiß eigentlich nur noch, dass innen alles aus Holz besteht, obwohl es eigentlich ein Steinbau ist, und dass er Hirschgeweihe und Tierfelle zur Dekoration verwendet hat. Und widerliche ausgestopfte Viecher.“ Er schüttelte sich.

      „Nicht gerade untypisch für eine Jagdhütte“, bemerkte Steinmann. „Mir hat er mal lange vorgeschwärmt, wie schön es dort ist und wie man hinkommt – und dann hat er mich ganz betont nicht eingeladen… Also, nicht, dass ich mit Ihrem Vater ein Wochenende hätte verbringen wollen, verstehen Sie mich bitte nicht falsch!“

      Jonathan lachte. „Schon klar. Ich glaube, er war immer alleine dort draußen. Naja, vielleicht ab und zu mal eine Dame, schmal und blond, sein Typ eben.“

      „Treudeutsch und unterlegen“, vermutete Steinmann.

      „Leicht übertrieben – aber ein bisschen in die Richtung. Obwohl weder meine Mutter noch die arme Carina sich wohl als deutsches Gretchen sehen dürften… wen er im Moment im Auge hat, weiß ich gar nicht.“

      „Oh, deshalb die arme Carina?“

      „Ach wo, das dürfte ihr egal sein, sie hat ja wohl selbst einen Tröster. Aber sie hat wohl ziemlich schnell nach der Heirat gemerkt, was sie sich da eingefangen hat – und ganz ehrlich, glauben Sie, er ist ein angenehmer Ehemann?“

      Steinmann schauderte kurz, dann lachte er auf. „Ist das überhaupt einer von uns, wenn man unseren Frauen glauben darf? Obwohl, Sie sollten ja erst einmal… wird´s nicht langsam Zeit?“

      „Sie könnten sich mit meiner Mutter zusammentun“, grollte Jonathan. „Meinen Sie, wir sollten meinen Vater als vermisst melden?“

      Steinmann starrte ihn entsetzt an. „Sind Sie wahnsinnig? Er zieht uns die Haut ab, wenn er wieder da ist!“

      13

      Komisch war das ja schon, fand Carina, die etwas unruhig durch das Haus strich. Sonst kam er am Montagmorgen angebraust, erzählte, wie erholsam das Wochenende ohne ihr ewiges Geplapper war, duschte, warf ihr die getragenen Klamotten hin (sie hatte ja sonst nichts zu tun), schlüpfte in Businesskleidung und fuhr in die Firma.

      Viertel nach zwölf – und immer noch nichts? Gut, vielleicht hatte er den Anzug ja schon mitgenommen und war gleich in die Firma gefahren.

      Eigentlich war das nicht ihr Problem, er würde nur wieder behaupten, sie mische sich in Dinge ein, die sie nichts angingen. Und es war ja nun nicht so, als vermisste sie ihn – im Gegenteil, es war himmlisch ruhig im Haus. Sie schüttelte hier und da ein Sofakissen auf, verräumte die Zeitung vom Donnerstag ins Altpapier, goss die Blumen und beschloss dann, einen kleinen Stadtbummel zu unternehmen und sich vielleicht danach mit Rico auf einen Kaffee zu treffen.

      Das Telefon läutete. Sie schaute aufs Display – na bitte, die Firma! Wahrscheinlich sollte sie Hans Peter irgendwelchen vergessenen Kram hinterhertragen.

      „Carina? Jonathan hier – ist Vater noch zu Hause? Wir vermissen ihn hier allmählich.“

      Das entsprach so sehr ihren eigenen Gedanken, dass sie lachen musste. „Ach, tatsächlich? Aber es tut mir leid, hier ist er auch nicht. Ich dachte, er ist vielleicht gleich von der Hütte in die Firma gefahren.“

      „Hm… gut, richtig vermissen tue ich ihn auch nicht, aber das hat er wirklich noch nie gemacht. Weißt du eigentlich genau, wo diese dämliche Hütte ist? Ich war so lange nicht mehr dort, dass ich das echt nicht mehr auf die Reihe kriege.“

      „Hm… ich war ein paar Mal dabei, als wir noch sozusagen jung verheiratet waren, aber das ist auch schon länger her. Ich glaube, du fährst nach Geresing und dahinter etwa noch zwanzig Kilometer Richtung Süden, dann steht da links so ein kleines Kapellchen und daneben zwei Marterl, dahinter geht ein Feldweg ab, auch nach links, und dann kommst du in den Latschenwald. Und dann… verflixt! Weiter weiß ich auch nicht mehr – kennt denn sonst niemand mehr die Hütte?“

      „Hat er eine aktuelle Mieze, weißt du das?“

      „Nein, leider. Die letzte, die er mir so richtig reingerieben hat, war diese Wieheißtsiegleich, aber das ist auch schon Jahre her, und die hat er bestimmt nicht dorthin mitgenommen, die hatte nämlich selbst ein Häuschen am Eulenburger See und da war er immer mit ihr. Er hat noch gesagt, sie ist genauso ein Plappermaul wie ich, aber immerhin muss er sie nicht durchfüttern, sie füttert ihn durch. Und so hämisch gelacht, du kennst ihn ja.“

      „Weiß Gott! Warum suchen wir ihn eigentlich?“

      Carina lachte. „Sehr wahr. Eigentlich kann er doch bleiben, wo der Pfeffer wächst. Weiß deine Mutter nicht vielleicht, wo diese Hütte ist?“

      Jonathan seufzte. „Glaube ich nicht, bei ihr muss es doch noch länger her sein… aber ich frage sie mal.“

      14

      „Endlich mal nichts zu tun“, seufzte Joe glücklich und lehnte sich zurück, die Hände im Nacken verschränkt und seinen leeren, sauberen Schreibtisch liebevoll betrachtend.

      Anne lachte. „Beschrei´s nicht. Wenn man sowas zu laut sagt, klingelt sofort das Telefon und alles geht von vorne los. Hallo, Max!“

      Max Kolka wuchtete eine Kiste herein und lud sie auf dem Schreibtisch ab, den Patrick Weber vor zehn Minuten mit einer ähnlichen Kiste unter dem Arm verlassen hatte, um sich für einen Fall dem Team von Andi Reuchlin anzuschließen.

      „Fehlt bloß noch Liz, wollte die nicht Frühstück holen?“

      „Kaffee kochen könntest du ja schon mal“, fand Anne.

      In diesem Moment trat Liz mit einer sehr vielversprechenden Bäckertüte ein und gleichzeitig klingelte Annes Telefon. Sie lauschte eine Zeitlang, machte dann „Bäh“, und fragte schließlich: „Geresing? Hinter Geresing? Sind wir da überhaupt noch zuständig? Ist das nicht schon – äh, keine Ahnung?“

      Anscheinend wurde am anderen Ende fröhlich gelacht, denn sie murrte: „Verarschen kann ich mich selber“, dann legte sie etwas unsanft auf und sah die anderen an.

      „Jeder schnappt sich eine Breze oder was immer da Leckeres drin ist und dann fahren wir alle zu einer gottverlassenen Hütte in einem gottverlassenen Wald irgendwo hinter Geresing.“

      „Du freust dich so richtig auf den neuen Fall, gell?“, konnte Liz sich nicht verkneifen.

      „Den ersten Scheißjob, der dabei anfällt, kriegst du“, drohte Anne. „Du fährst mit Joe, und Max kommt mit mir.“

      *

      Joe und Liz fuhren brav hinter Anne her, die ein gutes Stück hinter Geresing links abbog und einen Feldweg entlangfuhr, der den Stoßdämpfern alles abverlangte. Als sie schon dachten, es gehe ewig so weiter – ein Schlagloch am anderen – sahen sie ein Stückchen Absperrband und bogen noch einmal links ab. Jetzt gab es zwar keine Schlaglöcher mehr, aber Baumwurzeln.

      „Das Präsidium sollte für solche Tatorte ein paar Jeeps anschaffen“, murrte Joe, als er hinter Anne anhielt.

      „Hier?“ Liz sah sich ungläubig um – nichts als Wald. „Wer zum Henker geht denn hierher, um sich ermorden zu lassen? Am Arsch der Welt ist ja ein Dreck dagegen!“

      Anne kam zu ihnen.