Ein naheliegendes Opfer. Elisa Scheer

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Название Ein naheliegendes Opfer
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783844278705



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zahlt ihr etwas und du gibst doch auch etwas dazu, na, und Basti hat halt nicht so viel. Den müsste man ja fast selbst noch durchfüttern, den Armen. Und außerdem weißt du doch, wie dein Vater denkt: Wozu Mädchen ernähren, die kann man später sowieso für nichts gebrauchen, die kriegen bloß wieder Kinder und die kosten dann wieder sinnlos Geld.“

      „Verklagen sollte man ihn eigentlich“, murmelte Jonathan, „oder mal der Presse ein paar Fakten zukommen lassen.“

      „Herzloser Tycoon lässt Kinder hungern?“, fragte Paul amüsiert. „Nachher gibt es noch eine Spendensammlung für uns… lass das bloß bleiben. Erstens kommen wir selbst gut zurecht – eine Babyecke reicht doch erstmal, und dann sehen wir weiter – und zweitens würde er uns bloß ohne Ende schikanieren, wenn wir ihm seinen Ruf versauen.“

      „Auch wieder wahr“, musste Jonathan zugeben und schrak zusammen, als direkt neben ihm die Türglocke wieder schrillte.

      Dieses Mal kamen Sebastian und Sybilla. „Wir haben uns unten vor der Tür getroffen, so ein Zufall aber auch!“

      „Wahnsinnszufall“, relativierte Sebastian, „wir sollten doch alle um sieben hier sein, oder? Und, wie geht´s allen so? Jani, alles okay?“

      „Klar. Sie wächst und gedeiht und tritt fleißig um sich.“

      Sybilla kicherte, während sie sich aus dem Mantel schälte. „Das wird Vater aber gar nicht freuen – bloß ein Mädchen?“

      „So what? Er ärgert sich doch über die Schwangerschaft an sich schon genug – der alte Womanizer wird Opa, da graust es ihm doch. Wenn mir alles so egal wäre…“

      „Hast Recht, Schwesterchen. Sagt mal“, fragte Sebastian, während sie das Wohnzimmer ansteuerten, „wer von euch hat unseren Erzeuger in letzter Zeit eigentlich gesehen?“

      „Na, ich“, antwortete Jonathan, „ich arbeite bei CE, schon vergessen?“

      „Beileid. Ich glaube, ich habe ihm Weihnachten eine Karte geschickt. Ziemlich ohne Text“, antwortete Sebastian.

      „Wir haben ihn mal besucht“, erzählte Tatjana, „aber er war knurrig und hat Carina schikaniert, und wir sind schon vor dem Essen wieder gegangen, weil die Stimmung so schlecht war. Gar nicht gut für das Baby.“

      Paul zog sie fester an sich.

      „Ich kann ihn sowieso nicht leiden“, verkündete Sybilla und sah sich herausfordernd um. „Ich will diesen Unsympathen am liebsten nie mehr sehen.“

      „Na, er reißt sich auch nicht gerade darum, also könnte dein Wunsch durchaus in Erfüllung gehen“, meinte Sebastian. „Ich glaube, seine Kinder sind für ihn nur eine Fehlinvestition. Brauchen kann er uns ja alle nicht.“

      „Junge, wie kannst du so reden!“ Mama stand in der Tür des großzügigen Wohnzimmers. „Ihr seid alle vier wunderbar gelungen!“

      Jonathan fand wieder, dass ihre Aussprache leicht verwischt klang. Noch etwas mehr sogar als vorhin. Sebastian hatte das auch bemerkt, wie ihm ein rascher Blickwechsel verriet.

      Alle umarmten ihre Mutter mit einer Mischung aus Liebe, Mitleid und Besorgnis, denn ihr hatte die Ehe mit dem Vater nicht gutgetan – und die Scheidung, auch wenn sie fast zwanzig Jahre zurücklag, auch nicht. Immerhin hatte sie damals auf eigenes Geld zurückgreifen können, denn sie hatte von ihrem Vater Unterstützung unterhalten und von ihm später auch recht nett geerbt, so dass sie nicht mit ihrem Exmann um jeden Pfennig kämpfen musste.

      Aber auch die Tatsache, dass sie sich nicht auf einen zermürbenden Kampf – eher wohl eine Schlammschlacht – eingelassen hatte, hatte der Vater wahrscheinlich als Schwäche ausgelegt, überlegte Sebastian, während er seiner Mutter liebevoll auf den zarten Rücken klopfte. Er legte ja alles als Schwäche aus.

      Und wenn man sich widersetzte und kämpfte, galt man als unverschämt und wurde fertiggemacht. Man musste subtil gegen ihn ankämpfen – aber wie?

      „Kinder, setzt euch doch, ich hole rasch das Essen!“

      „Nein, Mama“, widersprach Sybilla und tätschelte ihre Mutter liebevoll, „du setzt dich und wir holen das Essen. Ruh dich nur aus.“

      Da sie ganz offensichtlich etwas wacklig auf den Beinen war, gab die Mutter gerne nach und so holten ihre fünf Gäste eine Suppenterrine, eine Schüssel Salat, einen Brotkorb, eine Platte mit kaltem Huhn und eine Sauciere mit Remoulade und verteilten sie auf dem Tisch.

      Nach kurzem gutmütigem Gezänk über die Frage, wer hier bei fettiger Remoulade besser etwas aufpassen sollte und wem etwas mehr Salat gar nicht schaden würde, wandte sich das Gespräch allgemeinen Themen zu; im Plenum wurden gehässige Bemerkungen über Creutzer senior vermieden, da ihre Mutter dies nicht so sehr schätzte – obwohl sie selbst auch nicht anders dachte.

      3

      Bei Kira Merten gab es Vitello Tonnato und Gurkensalat, dazu selbstgebackenes Brot. „Schätzchen, du machst das wirklich sehr gut“, lobte ihre Mutter und lächelte harmlos in die kleine Runde.

      „Ja, wirklich superlecker!“, steuerte Toni rasch bei.

      Kira bedankte sich artig. „Das ist aber nicht so schwer. Für etwas Aufwendigeres hatte ich leider keine Zeit, wir haben mehrere Marketingprojekte gleichzeitig am Laufen, und da kann man schon froh sein, wenn man mal einigermaßen rechtzeitig aus dem Laden rauskommt.“

      „Aber deine Arbeit macht dir doch noch Freude?“ Ihre Mutter klang besorgt.

      „Ja, natürlich, Mama. Und wenn viel los ist, ist es ja auch spannend.“

      „Und du verlierst deine Stelle nicht.“

      Kira lachte. „Das nun bestimmt nicht! DE geht es prima, und das verdanken sie nicht zuletzt meinem Marketingkonzept. Naja, nicht nur, ich will nicht allzu unbescheiden sein.“

      „Stimmt wirklich, Frau Merten“, versicherte Toni. „Kira hat in der Branche einen sehr guten Ruf.“

      Kira musterte ihren Kumpel in gespielter Entrüstung: „Sag mal, glaubst du, ich brauche Leumundszeugen, damit Mama mir glaubt? Wie kommst du mir vor?“

      Toni lachte. „Muss ein Relikt aus Kindertagen sein. Da hat uns doch nie jemand geglaubt…“

      „Ja, dass irgendwas schon kaputt gewesen war… oder dass wir ganz bestimmt um zehn von der Party weg sind…“ Kira grinste nostalgisch.

      Ihre Mutter seufzte und lächelte. „Ein anstrengendes Kind warst du ja schon!“

      „Das sind aber doch die besten“, versicherte Kira sofort. „Sag bloß, du bist nicht an der Herausforderung gewachsen?“

      Da musste auch ihre Mutter lachen. „Also, ganz ehrlich, manchmal war ich wirklich froh, wenn ich mich in die Stille der Unibibliothek flüchten konnte. Hätte ich mir ein Internat leisten können, wer weiß…“

      „Huch, ich erschrecke ja noch nachträglich! War ich echt so furchtbar, arme Mama?“

      „Nein, nein, mein Schatz“, versicherte Frau Merten eilig, „aber manchmal habe ich mich schon gefragt, ob dir nicht doch der Vater gefehlt hat.“

      Kira schnaubte. „Also, so ein Vater schon mal ganz bestimmt nicht! Creutzer ist ein arroganter, egoistischer, machtgeiler… Arsch.“

      „Kira!“

      „Ist doch wahr!“, murrte Kira und kam sich selbst etwas pubertär vor, aber der Gedanke an ihren missratenen Erzeuger versetzte sie immer in Wut. Außer, wenn sie sich ausmalte, was man ihm alles antun konnte – und (noch besser) wenn man etwas davon in die Tat umsetzte…

      DO, 30.04.15

      4

      „Herr Christen hat jetzt Zeit für Sie“, verkündete die Sekretärin und öffnete die Tür weit für Kira und Toni. Christen kam ihnen mit ausgestreckter Hand entgegen. „Frau Merten,