Das Erbe. Helmut H. Schulz

Читать онлайн.
Название Das Erbe
Автор произведения Helmut H. Schulz
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847660040



Скачать книгу

oder jener mit Pferd und Pflug aus, nicht für Geld, sondern im Austausch gegen Arbeitskraft, Bernhard und die Mutter helfen zur Erntezeit bei den richtigen Bauern aus. Alles in allem, reichlich Essen und Trinken ist da, Freundschaften gibt es auch und natürlich Feindschaften, das Leben spielt sich in den Küchen der gleichförmigen Häuser ab. Was der kleine Bernhard noch nicht sieht, ist, daß sich die Gestalt des alten Gallas von Jahr zu Jahr mehr krümmt. Er klagt nicht, aber es gibt Augenblicke, wo sich der alte Gallas stöhnend aus der gebeugten Haltung aufrichtet: Los, Junge, nimm du mal die Hacke. Und der Achtjährige buddelt Kartoffeln. Wenn ich groß bin, werde ich auch Maurer. - Jaja, Maurer. Mach mal hinne, wir müssen fertig werden, ich muß abends wieder weg.

      Das Angebot an Berufen ist nicht groß.

      Selbstverständlich besteht das Leben nicht nur aus Arbeit. Bernhard, sich bewußt werdend, daß zwei Brüder und ein Vater eine mächtige Kraft im Rücken sind, ist der Anführer beim Jungenspiel, und die Spiele verändern sich schnell. Mit dem abgeketteten Hund geht Bernhard los. Ich habe dir hundertmal gesagt, du sollst den Hund dalassen, der vertrottelt bloß. Ein Wachhund gehört an die Kette. Aber der Hund gehört zum Jungen, wenn der herumstreift, Hasen jagend, fischend, von großartigen Taten träumend, Stecken und Messer in den Händen.

      Aus Spiel wird Ernst. Wenn dir der Berni zum Angeln geht, der fängt dir immer was, letztens brachte er einen Hecht, nicht zu reden von dem Kleinzeug. Der Hecht war vielleicht nicht so groß, wie die Mutter zeigt, aber der Junge schweigt, immer ist er der Größte. Der Bruder: Der Kleene hat dir doch neulich mit dem Maurerhammer gespielt, ich sag dir, Vater, der schlägt jetzt schon einen Daumenbreit glatt ab. Ganz so glatt war der Schlag wohl nicht, aber Bernhard gewöhnt sich an seine Rolle, überall der Erste, der Beste zu sein. Die Mutter: Du ersetzt mir jetzt den Mann. Du mußt ein Mann werden.

      Das alles geht so über die ersten Kriegsjahre weg, da spüren sie keine Not, zumindest der kleine Bernhard spürt nichts davon, nichts von der Sorge um das Leben der älteren Jungen, nichts von der abnehmenden Kraft des Vaters. Der eine der älteren Söhne gerät in Gefangenschaft, für den ist der Krieg zu Ende, ist jetzt in Amerika. Der andere verliert einen Arm und wird entlassen. Der Krieg nähert sich. Die wasser- und sumpfreiche Gegend, im Südosten Berlins gelegen, eignet sich nicht für den Krieg. Größere Truppenverbände können sich hier nicht entfalten. Zwar müssen Vater und der einarmige Bruder zum Volkssturm in die Kreisstadt, da sind die Würfel jedoch längst gefallen. Die Schlacht auf den Seelower Höhen ist geschlagen, der Kessel bei Halbe südwärts geschlossen. Die Stadt Berlin ist kapitulationsreif.

      Der zwölfjährige Bernhard entdeckt die fremden Soldaten zuerst: Die Russen kommen. Eine Panzerpatrouille rollt durch das Dorf, kein Schuß fällt, obschon sich die Leute in Keller und Verstecke geflüchtet haben. Auf den Panzern hocken die fremden Soldaten, die Dorfjugend betrachtet sie. Noch ist Krieg, die Panzer rollen weiter. Neue Züge kommen, Infanterie zieht durch das Dorf zwischen dem Fluß und der Landstraße. Jetzt ist der Krieg zu Ende.

      In der Bürgermeisterei liegt ein Kommando Soldaten, ein flacher Zaun wird gebaut, rote Fahne aufgezogen, ein Wachtposten steht vor dem Eingang zur Kommandantur. Manchmal setzt sich der Soldat auf eine Holzbank, manchmal radebrechen er und die Dorfjungen in Russisch und Deutsch ein Kauderwelsch zusammen, aus dem niemand klug werden kann, dann helfen die Hände. Lungere mir nicht so viel bei den Iwans rum, Junge.

      Die Schule beginnt wieder. Nach gar nicht langer Zeit verschwindet die Kommandantur, ein Bürgermeister wird eingesetzt. Es folgt eine Zeit der äußeren Not, jedes Stück Vieh wird erfaßt, jedes Ei wird gezählt. Ein schlimmes Ereignis, der Bürgermeister wird eines Nachts, es ist eine Dezembernacht, in einem Waldstück ermordet. Dieser Bürgermeister faßte die Leute hart an, es wurde gesagt, ein Russenknecht. Die Untersuchung des Falles verläuft ergebnislos, keiner hat etwas gesehen. Ein neuer Bürgermeister kommt. Vorher noch wird das Dorf von einer Invasion heimgesucht, Aussiedler, Umsiedler, Flüchtlinge, sie liegen im Saal des «Kruges», in den Scheunen, müssen zwangsweise eingewiesen werden, sie hungern. Das Dorf steht gegen die Fremden zusammen. Weiter, aus den Gerüchten um eine Landreform wird eine Verordnung. Junkerland ist nicht da, nur zwei größere Höfe, die sollen aufgeteilt werden, aber die Hofbesitzer handeln rasch, aus einer Hofstelle werden zwei, die Anteile auf Familienangehörige übertragen. Das Dorf, das vom Krieg wenig erlebt hat, gerät erst jetzt in den, Strudel von Kämpfen, Kämpfe, die bis in die Familien hineingetragen werden. Der einarmige Bruder sieht eine Gelegenheit, Bauer zu werden. Immer schwankte das zwischen Handwerk und Landwirtschaft, Eigentümerdenken. Der alte Gallas: Vergreif dich man an fremdes Eigentum, das mach mal, und wenn es anders kommt? Aber der Bruder nimmt doch eine Siedlerstelle, heiratet. Das muß man sich vorstellen, ein einarmiger Bauer auf Sandböden, ohne Wald, ohne Vieh, ohne Gerät, ohne Maschinen. Gallas und die beiden Söhne, Bernhard nun schon dreizehn, bauen ein Haus, gedeckt wird es mit Schilfrohr, Schilf schneiden sie selbst. Täglich wird das Dorf von notleidenden Städtern heimgesucht, täglich wird getauscht und gehandelt.

      In diesen Jahren prägt sich der Charakter Bernhards weiter aus. Bernhard kann alles, weiß alles, braucht nichts mehr zu lernen. Der sehnige kräftige Junge erträgt keinen Widerspruch, und der alte Gallas bestärkt seinen Jüngsten noch: Laß dir nischt gefallen, Junge, schlag zurück oder schlag zuerst. In der Schule lernt Bernhard schlecht, schuld sind die neuen Lehrer: Die wissen ja auch nicht viel mehr als die Bengels.

      Unter den Jungen gilt Bernhard unumstritten als Anführer. Anfang 1948 kehrt der älteste Bruder zurück, in olivgrünen Sachen, mit einem amerikanischen Seesack. Er sitzt in Vaters Küche, pellt einen Kaugummi aus dem bunten Papier, schiebt ihn in den Mund, reißt eine Packung Camel an, raucht, sieht sich in der Küche um. Sein Kopf ist bis auf einige Zentimeter geschoren, ein Ami.

      Ja, mein Junge, an deiner Stelle wär ich gar nicht mehr hergekommen. Es sieht nicht so aus, als ob die Iwans bald abhauen. Die haben hier abmontiert, was nicht niet- und nagelfest war. Macht einer das Maul auf, wandert er nach Sibirien. Den Krieg hätten wir nicht anfangen sollen, oder wir hätten ihn gewinnen müssen. Ach, Scheiße.

      Der Sohn, vier Jahre Arizona: Schlecht ist es uns nicht gegangen, wir hatten genug zu fressen, aber vier Jahre, die machen einen fertig.

      Was willst du denn nun anfangen? Dein Bruder hat sich einwickeln lassen mit der Neubauernstelle - wenn es mal anders kommt.

      Erst mal hierbleiben, Vater.

      Diese Hunde bluten uns weiß, mein Junge. Alles. Schwindel von den Lagern und den Juden, das haben die nachher aufgebaut.

      Na, na, wir haben ja auch was gesehen, nicht?

      Dieser Sohn kommt nicht nur aus einer anderen Welt, er ist auch anders geworden. Zunächst tut er nichts, gibt sich aber viel mit dem jüngeren Bruder ab, geht auch zu dem Einarmigen, hört sich das an, sieht sich das an, sagt nichts dagegen, schweigt. Schließlich sagt er: Laß dich nicht scheu machen, Boy. That's so. Und zu Bernhard: Hör mal, Kleener, noch ist Zeit zum Lernen. Maurer willst du werden, gut, ist nicht schlechter als anderes. Der Alte, er meint den alten Gallas, setzt dir mit seinem Rochus auf die Iwans einen verdammten Floh ins Ohr, fürchte ich. Vielleicht ist hier nicht alles schlecht, vielleicht doch. Jedenfalls mußt du hier leben.

      Wie ist das denn nun mit den Cowboys?

      Alles Quatsch, Kleener, ich will dir mal was sagen, so was hat es vielleicht mal gegeben, jetzt nicht mehr. Was ist überhaupt mit dieser verdammten Kuhbläke hier los? Sind die alle verrückt geworden?

      Gallas Ältester bleibt nicht lange, er zieht nach Magdeburg, wieder als Bauarbeiter.

      Bernhard beendet die Schule mit vierzehn. Der alte Gallas arbeitet längst nicht mehr. Eines Tages fährt er mit seinem Jüngsten in die Kreisstadt, um Bernhard dem Besitzer des alten Baubetriebes vorzustellen: Du antwortest nur, wenn du gefragt bist, verstehst du? Herr Willich ist ein alter Bekannter von mir. Deine Zeugnisse sind nicht gerade die besten. Aber er wird dich nehmen.

      Herr Willich sitzt in einer kleinen Bude mit zwei Schreibtischen, einem Telefon; eine Schreibmaschine steht auf einem Tisch, an der Wand ein Aktenschrank. Auf dem Hof tuckert ein Lanz-Bulldog, lagert Baumaterial.

      Ja, Gallas, schön, Sie mal wiederzusehen. Nehmen