Das Erbe. Helmut H. Schulz

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Название Das Erbe
Автор произведения Helmut H. Schulz
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847660040



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du nicht mal einen Unfall gebaut?», fragte Ernst.

      «Na, Mann, ich werde doch wenigstens noch mal auf was hoffen dürfen.» Bleuel wich zurück. «Willst du so werden wie die alten Säcke da drüben?»

      Hier formten sich Träume und zerrannen Hoffnungen und Neumann sagte: «Erst mal werden wir schuften, daß uns die Schwarte knackt. Was nach der Baustelle kommt, wird sich schon finden.»

      Neumann verschmähte es, sich aus Bleuels Zigarettenpackung zu bedienen, seine knochigen Finger fischten Pfeife und Tabak aus den Taschen. Neumann war lang wie ein Pfahl und hatte ein unsymmetrisches Gesicht. Der eine Mundwinkel senkte sich, dafür hob sich das gegenüberstehende Auge. Diese drei Jungen bildeten schon eine Gruppe für sich an dem Achtertisch, sie waren auf dem Bahnhof und im Lkw auch die Wortführer gewesen. Die übrigen fünf, Franseg, Becker, Vogt, John und Herold, glichen einander sehr, was vielleicht daran lag, daß sie, eben aus der Armee entlassen, noch die Zeichen militärischer Gleichheit trugen. Haarschnitt, Gesichter und Haltungen drückten wenig Individualität aus. Alle fünf hatten eine gemeinsame Bindung an disziplinierende Lebensformen und fügten sich im Übrigen auch rasch unter die Autorität Bleuels, obgleich Vogt leise sagte: «Der haut ganz schön auf den Käse, Männer.»

      Der wachsame Bleuel fing den Satz auf und fragte herausfordernd: «Was Interessantes an mir entdeckt?»

      Der lange Neumann beugte sich so weit vor, daß er von allen fünf gesehen werden konnte, und sagte aggressiv: «Haltet man lieber eure Schnauzen, ja?»

      «Schon gut», sagte Vogt, und es war offensichtlich, daß er weder Bleuel noch Neumann fürchtete, sich aber auch auf keinen Krach einlassen wollte.

      In dem Gefühl, daß sie über einige Jahre zusammen leben mußten, verwischten sie die aufgekommene Mißstimmung, rauchten, tranken Bier und begannen sich leise zu unterhalten.

       4

      An dem schrägstehenden Tisch saßen drei ältere Männer. Bewußt hielten sich Schulz, Hermann und Pauli abseits von den Bauarbeitern. Schulz leitete die Mechanik oder sollte sie leiten. Pauli und Hermann waren Schlosser, die ihm unterstanden, strukturmäßig, wie Schulz sagte. Diese Drei waren gelassene Grauköpfe, die lieber zu Hause geblieben wären.

      Hermann, der Keks aß und aus einer Thermosflasche Tee trank, weil er an einer Gastritis litt, stellte sich eine Prognose: «Ich werde das nicht durchhalten. Meine Alte hat mich für verrückt erklärt, als ich ihr sagte, ich geh mit meinem kaputten Magen rauf in das Kaff hier, und sie hat ja recht. Ich muß ja wirklich nicht alle beisammen haben», er schluckte den säuerlichen Speichel hinunter, «wenn man wenigstens was Ordentliches essen könnte.»

      «Was hast du eigentlich», fragte Pauli.

      «'ne Entzündung inwendig im Magen, wenn du was merkst, ist es schon zu spät.»

      «Vielleicht ist das Krebs», sagte Pauli.

      Schulz bestellte Kaffee und einen Weinbrand, von dem Weinbrand trank er zuerst, schüttete den Rest in den Kaffee und bemerkte: «Wenn deine Magengeschichte nicht besser wird, fährste nach Hause.»

      «Wann?»

      Diese Frage war bedeutend heikler als die noble Anordnung. Diplomatisch sagte Schulz: «Zu einem langen Wochenende.»

      «Sicher hängt es mit den Nerven zusammen», überlegte Pauli, «reg dich nicht soviel auf, dann wird es schon besser.»

      Hermann nickte zustimmend, sah hinüber zur Schleuse, dann zu den Männern an den Tischen. «Die haben sich schon fein säuberlich getrennt. Es ist ja immer dasselbe, kennen wir nun schon seit vielen Jahren. Die wollen was erleben, vor allem wollen sie Geld verdienen. Hier ist zum Wochenende Mord und Totschlag, in diesem Nest mit einer einzigen Kneipe. Eins weiß ich, Freitag bin ich weg wie Schmidts Katze.»

      Schulz lachte meckernd. «Waren wir anders? Galli wird die schon einspannen.»

      Er kannte Gallas recht gut, denn sie arbeiteten seit Langem im selben Baubetrieb, der auch hier als Auftragnehmer fungierte. Schulz, mit rundem Gesicht, hinter faltenreichen Lidern liegenden grauen Augen, von behäbiger Statur, suchte immer nach einem Ausgleich. Pauli, vielleicht Mitte Fünfzig, war klein, wendig und besaß als hervorstechende Eigenschaft eine durch nichts zu stillende Neugier. Hermann war groß, hager, und hatte ein langes Gesicht von kränklichem Aussehen.

      «Die ältesten Dackel schicken sie hierher», sagte Pauli. «Deine Alte hat dich ohne Weiteres gehen lassen?»

      Diese an Schulz gerichtete. Frage interessierte auch Hermann. «Meine hat mich glatt für verrückt erklärt», wiederholte er.

      «Was brauchen wir denn? Ums Geld? Das verdien ich auch so daheim.» Mit beiden Händen winkte Schulz ab.

      «Ohne Parteiauftrag wärst du doch auch nicht gegangen», stichelte Pauli weiter.

      «Schon wieder ein Grund für mich, nicht drin zu sein», bemerkte Hermann, übersehend, daß er selbst auch ohne Auftrag gekommen war.

      Seiner Aktentasche entnahm Schulz ein Bündel Papiere, eine Mappe und die Telefonkartei, was bedeutete, er gehe jetzt zur Tagesordnung über. Vorher winkte er noch den Wirt heran und bestellte eine Runde Schnaps.

      «Für mich nicht», sagte Hermann, «dann kannste mich schon jetzt begraben. Was haben wir denn für Technik?»

      «'ne ganze Menge.» Schulz stellte Teller und Tassen zusammen, brachte sie zum Nebentisch, um Platz für seine Listen zu haben, und setzte sich wieder auf den Stuhl am Fenster: «Wir werden die erste Zeit wahrscheinlich bloß hin und her fahren und Ersatzteile ranschaffen müssen. Dafür haben wir zwei Fahrzeuge, damit müssen wir auskommen. Ich hab gleich gesagt, mit drei Mann hier raufzugehen hat keinen Zweck, aber ihr kennt ja unseren Saftladen. Nicht mal 'ne Grube ist da.»

      «Ich denke», sagte Pauli, «die wollen hier ein mächtiges Kraftwerk bauen? Es sollte ja auch eine unheimliche Ehre sein, hier raufzugehen. Die Besten in die vorderste Linie?»

      «Nun will ich euch mal meine Meinung sagen», Hermann schaltete sich wieder ein, «wenn sich das hier nicht einigermaßen einspielt und bald einspielt, dann hau ich ein den Sack. Ich bin ja nicht verrückt, daß ich meine Gesundheit ganz ruiniere. Was ist das überhaupt für eine Scheißgegend? Habt ihr den Mülldreck gesehen? Und die Baustelle? Seht euch mal die Kneipe hier an, könnt ihr euch vorstellen, was hier übers Wochenende los ist?»

      «Null», sagte Schulz bedrückt, «wir müssen eben sehen, daß wir bald in die Wohnbaracke kommen.»

      «Ist auch nicht besser.»

      «Seid mal still», sagte Pauli «der Alte will was erzählen.»

       5

      Der Leitertisch bot gleichsam einen Altersquerschnitt vom jüngsten Sprinter bis zum abgebrühten Profi. Doktor Koblenz, Oberbauleiter, hatte noch vor dem Essen seine Armbanduhr abgenommen und auf den Tisch vor sich gelegt. Pünktlich um halb zwölf, wie mit dem Wirt der «Schleuse» vereinbart, stand das Mittagessen auf dem Tisch. Jetzt ging es auf halb eins. Mit einem Blick rundum stellte Koblenz fest, daß die Leute der Vorausabteilung vom Essen zum Trinken übergegangen waren.

      Koblenz war keine stattliche Erscheinung, selbst hinter seinem Schreibtisch wirkte er meist wie ein kleiner Referent, übergenau in der Arbeit und lächerlich korrekt in Kleinigkeiten. Im Gehen zog er den linken Fuß etwas nach. Freilich sah man Koblenz selten gehen, er bevorzugte selbst für ganz kurze Strecken das Auto, fuhr stets die neuesten Modelle und schreckte vor keiner Geldausgabe zurück, falls ein schnellerer Wagen auf den Markt kam. «Machen Sie sich mal klar, daß Treibstoff fast so teuer wie Kaffee ist», mit diesem Satz überraschte er seinen Zuhörer, der sich dann auch häufig in düstere Berechnungen vertiefte.

      Hinter der randlosen Brille funkelten blaue Augen, über der Stirn war der Haarwuchs so spärlich, daß die rosige Kopfhaut hindurchschimmerte. Feste, energische Lippen schlossen sich über vorstehende Zähne.

      «Wir wollen in fünf Minuten anfangen»

      Koblenz