Das Erbe. Helmut H. Schulz

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Название Das Erbe
Автор произведения Helmut H. Schulz
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847660040



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Welt wegen eines Bankkontos zu schlagen.

      Koblenz hätte diesem Bild gern zugestimmt, wäre nicht die Frage nach dem Wofür unbeantwortet geblieben. Es ging doch wohl um Profit. Dieser Straßburger und das Konsortium werden wahrscheinlich heilfroh gewesen sein, einen jungen Kerl gefunden zu haben, der ihnen die Kohlen aus dem Feuer holte, mehr Unternehmer als Architekt, der hoffte, ja worauf? Ein Ingenieur, ein Antibürger?

      «Eine Frage hätte ich aber doch», sagte Koblenz, das Album zurückreichend.

      «Ich wollte durch Arbeit frei werden», sagte der alte Herr, die Frage vorwegnehmend, «was glauben Sie, wie oft ich schon nach dem Warum gefragt wurde. Mir graute davor, nach Logau zurück zu müssen. Es ging mir wie so vielen damals, ich fühlte mich in dieser trostlosen Stadt mit ihrem großmäuligen Volk und seinem rohen, ätzenden Witz, in dieser Skepsis und Resignation wie zu Hause. Ich war ein Berliner geworden. Alle Städte haben eine Ausstrahlung, Berlin hatte keine, Berlin war Strich, bestenfalls. In streng abgeschlossenen Vierteln wohnten die besitzenden Klassen, aber mir war klar, daß sich diese Struktur nicht erhalten lassen würde. In diese vornehmen Viertel schoben sich jetzt unsere neuen Straßenzüge. Wissen Sie, Berlin glich einem öffentlichen Haus, in das gehen konnte, wer Lust hatte. Drinnen empfing einen schaler Dunst, erwartete einen die Freundschaft von Zuhältern, Dirnen, Junkern und Soldaten, Studenten und Dienstboten. Hier war immer Karneval, Berlin war so leicht zu erobern, daß sich die Eroberung gar nicht lohnte. Man blieb einfach kleben, Berlin machte frech und bequem. Ich kannte doch manche Stadt, aber keine, in der man so leicht Anschluß fand. Man durfte sich die Gesellschaft, in die man geraten war, allerdings nicht näher ansehen. Hier wollte ich nicht mehr weg.»

      «Würden Sie Ihrem Enkel raten, nach Theerberg zu gehen», fragte Koblenz.

      «Wem kann man schon raten», sagte der alte Herr, «ich kann Ihnen meine Meinung sagen. Lab kommt nach seinem Vater, aber ihm fehlt, was mein Sohn in hohem Maße besaß, Angriffslust. Lab wurde alles zu leicht gemacht. Sie wissen wohl, wovon ich rede. Die Baustellen dürften heute genauso chaotisch sein wie zu meiner Zeit, da kann Lab sich kaum behaupten. Darauf ist er nicht vorbereitet.»

      Koblenz schüttelte den Kopf. «Waren Sie vorbereitet?»

      «Nein, mit einem wichtigen Unterschied, ich kämpfte, um zu überleben, Lab kann immer zurück, gut bezahlte und leichte Arbeit ist ihm sicher. Verstehen Sie, er gehört zu einer Schicht, die nie dem Wind ausgesetzt worden ist. Fachlich könnte er wohl mitkommen. Soweit ich das noch beurteilen kann, hat er einen sicheren Blick für Architektur. Seine Arbeit kann er auch organisieren»

      «Das würde mir erst mal genügen, ich habe Leute mit weniger guten Voraussetzungen auf verantwortungsvollen Stellen»

      «Ich sagte seine Arbeit, nicht die anderer Leute, Herr Doktor. - Mein Enkel muß das selbst entscheiden.»

      Und Lab entschied, als sie um den Schreibtisch des alten Herrn saßen, Kaffee tranken und Toastbrot mit Butter aßen, als die Frage gestellt wurde, wie seine Antwort denn nun ausfalle. Koblenz war sich bewußt, daß er einem bloßen Gefühl folgte, wenn er den jungen Pilgramer nach Theerberg holte, wenn er ihm mehr zutraute als dem Durchschnitt.

      «Wie weit seid ihr denn», fragte der junge Pilgramer, «läuft die erste Turbine schon?» «Wir reisen in diesen Tagen an. Es geht los», sagte Koblenz. «Die Semperoper wird schon seit Jahren wiederaufgebaut, das Institut läuft dir nicht weg, zehn Jahre Praxis auf einer Baustelle, und du hast sicheren Grund unter den Füßen.»

      «Das eben ist das Verrückte, nie kann man machen, was man will. Da wird jemand Zootechniker mit der Vorstellung, er werde einmal Elefanten in Afrika vermehren oder Löwen in der Kalahari. Zuletzt züchtet er Schweinen eine neue Rippe an oder erfindet Rinder mit zwei Eutern», Lab.

      «Nicht übel», bemerkte Koblenz.

      «Also gut, ich versuch es», sagte der junge Pilgramer, «aber nicht Hals über Kopf. Ich muß mich hier erst freimachen.»

      «Über Termine können wir immer noch reden», sagte der hartnäckige Doktor erleichtert.

      Der alte Herr Pilgramer lächelte skeptisch.

      Zweites Kapitel

       1

      Im Aprillicht erweckte das Terrain die Vorstellung eines großen Buddelkastens, über den ein Panzerangriff hinweggerollt war.

      Auf der gesamten Fläche standen weder Baum noch Strauch. Zwischen den von Planierraupen aufgehäuften Erdwällen ragten noch vereinzelt Hausruinen empor; sie erinnerten an das Dorf Theerberg, das sich mit seinen Ausbauten bis hierher erstreckt hatte. Der lehmgelbe Boden zeigte die Abdrücke von Ketten und die Reifenprofile hochachsiger Transportfahrzeuge. Über die Ebene verteilten sich Bagger, Raupen und Kräne.

      Menschen gab es, verglichen mit diesem Aufwand an Maschinen, nur wenig, aber die Vorstellung drängte sich auf, daß der Angriff irgendwo strategisch geleitet wurde. Planlos lief das Unternehmen nicht ab. Das Fehlen von Menschen irritierte, ließ Fragen aufkommen. Wozu diente diese Flurbereinigung? Hinzu kamen die Stille und das Fehlen intensiven Sonnenlichtes. Das blasse Aprilwetter mit dem trügerisch glasigen Himmel verhieß Regen oder Graupelschauer. Die Atmosphäre schien wie elektrisch geladen, und es war schwer, die Temperatur zu bestimmen. Von Zeit zu Zeit strich ein eisiger Wind über das Land. Fehlte er, so herrschte eine ermüdende Schwüle.

      Begrenzt wurde das Feld von einem flachen Streifen Wald; was sich an den Seiten befinden mochte, verbarg der Frühdunst. Eine Bahnlinie berührte die Ebene. Hin und wieder rollte ein Zug auf den Geleisen in diese oder in die andere Richtung.

      Auf einer mit Schlaglöchern übersäten Straße arbeitete sich eine Lastwagenkolonne in Richtung der Ebene vor. Rechts des Weges fiel die Böschung steil ab. Sie gab den Blick auf eine große Geländesenke frei, die von einem breiten Wassergraben durchschnitten wurde. Er erweiterte sich an zwei Stellen seenartig. Längs der Straße standen schiefe Lichtmaste mit durchhängenden Leitungen; etwa auf der Mitte der Senke zweigte ein Fahrweg zur Mülldeponie ab. Diese schob sich zwanzig Meter hoch von der Böschung aus zum Graben vor, sie hatte den Graben fast erreicht.

      An den Straßenbäumen lösten sich die Rinden. Darunter glänzte das Holz gelblich wie Elfenbein. Durch dieses Spalier vergifteter Bäume wand sich die Autoschlange. In dem leeren schwarzen Geäst der toten Bäume hockten Tausende von Krähen und Möwen. Über der ganzen Deponie hoben und senkten sich Schwärme krächzender Aasvögel.

      Weiter oben, wo der Wind stärker die Luft bewegte, brannte es. Fetter schwarzer Qualm lagerte über der städtischen Mülldeponie. Hinter dem Graben stieg das Gelände wieder an. Es war nicht schwer, sich vorzustellen, wo die Kippe einmal enden würde. In nicht sehr ferner Zukunft mußte sie den gegenüberliegenden Rand der Senke erreicht haben und diese samt dem Graben zu einer Fläche vereinen. Noch weiter jenseits des Grabens zog sich ein flacher Höhenzug hin mit einem Aussichtsturm, der trotz des Dunstes gut zu erkennen war. Wie zum Hohn hatte sich ein Holzschild erhalten, Naturschutzgebiet, die Eule als Wahrzeichen darüber; es verschwand allmählich unter dem Müll der Zivilisation. Die Luft war mit dem Pesthauch verwesender organischer Stoffe erfüllt. Hin und wieder hatten die Räder der Wagen Ratten erfaßt. Ihre Kadaver bildeten einen schlüpfrigen Belag auf der Straße.

      Dicht gedrängt saßen die Männer auf den Pritschen der Lastwagen. Einige rauchten und warfen die Kippen durch die hinten geöffnete Plane. Mit großem Sicherheitsabstand quälten sich die Wagen durch die Schlaglöcher. Es wäre zwecklos gewesen, den Aufbrüchen auszuweichen. Schon der Versuch führte die Wagen in ein anderes Loch, das vielleicht noch schlimmer war. Die Fahrer, die den Weg schon kannten, fuhren mit niedrigen Gängen. Ihre Hände umklammerten die Lenkräder, bereit herunter- oder heraufzuschalten.

      Nicht alle Wagen transportierten Menschen, sogar die Mehrzahl nicht. Der größte Teil war mit Zelten und Ausrüstungsgegenständen beladen. Auf einem, am Schluß der Kolonne fahrenden, Tieflader war ein Kran festgekeilt. Das gelbe Warnlicht, das auf dem Dach des Transportfahrzeuges rotierte, zeigte auch das Ende der Kolonne an.

      Nur schwer