Schatten und Licht. Gerhard Kunit

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Название Schatten und Licht
Автор произведения Gerhard Kunit
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738021592



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ANRADA sei Dank. Auch im Erdgeschoß erklangen jetzt die Rufe der erwachenden Dienerschaft. Der Schurke, der schon fast unten war, machte kehrt. Esperanzio wollte seine Waffe heben, doch sein rechter Arm gehorchte ihm nicht mehr. Sein Dolch fiel zu Boden und schepperte die Stufen hinab, während er auf den blutgetränkten Ärmel seines Wamses starrte.

      Der Lausaner stieß ihn zur Seite und hob die Rechte zum Wurf. Das Messer zischte Horatio entgegen, der am oberen Absatz der Treppe auftauchte und traf dessen Brust. Esperanzio erwischte die Jacke des Schurken mit seiner Linken, krallte sich fest. Der Lausaner schlug der Länge nach auf die brennenden Stufen. Vom Schmerz getrieben zog er vorwärts, doch Esperanzio ließ nicht locker. Für ihn war es zu spät, da machte er sich nichts vor, aber er musste Horatios Familie beschützen.

      Plötzlich ragte eine Gestalt vor ihm auf. Ein Degen blitzte, stieß vor und der Lausaner zog nicht mehr. Still lag er neben Horatio, der sich ebenfalls nicht mehr regte. Esperanzio hob den Blick und erkannte Rhiannon, die mit blanker Waffe über ihm stand.

      “Warum?“ Mehr kam nicht über ihre Lippen.

      Er stemmte sich hoch und streckte seine Linke nach dem Kinderzimmer, doch der flackernde Schein zeigte ihm, dass es zu spät war. Einmal mehr hatte er versagt.

       Vergib mir, Bruder.

      JANARA, die Göttin des Todes, reichte ihm die Hand.

       Vergib mir, Rhiannon.

      Das Rauschen in seinen Ohren mochte von den Schwingen des schwarzen Falken rühren, der die Seelen der Sterblichen nach Hause holt, und die Berührung seiner unerbittlichen Klauen war unerwartet sanft und leicht.

       * * *

       Baronin Rhiannon DaCalva

      Rhiannons Blick folgte dem Arm ihres sterbenden Schwagers. Binnen Bruchteilen eines Augenblicks erkannte sie die Gefahr, in der ihre Kinder schwebten. Es waren keine zehn Schritte bis zu dem brennenden Zimmer, aber selbst das war zu weit. Die Baronin hatte gerade einmal die Hälfte des Wegs geschafft, als eine Stichflamme durch den Raum pfauchte. Hitze schlug der Mutter entgegen. Sie riss die Arme schützend vor das Gesicht, holte Luft und rannte weiter, bis sich ihr jemand in den Weg stellte und ihre Arme packte. „Haltet ein! Es hat keinen Sinn!“

      „Keinen Sinn?!“ Sie kämpfte gegen den Griff des Hausdieners an. „Ich muss zu ihnen!“ Martak wollte ihr etwas sagen, doch die Baronin sah nur das Feuer.

      „Holt Eimer! Bildet eine Kette!“ Die Stimmen drangen wie aus weiter Ferne an ihr Ohr, während sie in mit dem halsstarrigen Diener rang. Hilflos musste sie mit ansehen, wie auch die zweite Wiege vollends in Flammen aufging. Schluchzend brach sie in Martaks Armen zusammen.

      Dominus stellte eine Eimerkette zusammen und die Löscharbeiten nahmen ihren Anfang. Der Baronin war es einerlei. Binnen weniger Augenblicke hatte sie alles verloren, was ihr an diesem Haus etwas bedeutet hatte. Horatio war tot. Ihre Kinder waren tot.

      „Lass mich!“, schrie sie. „Warum hast Du mich nicht zu ihnen gelassen?!“ Mit leeren Augen verfolgte sie den Kampf der Dienerschaft gegen das Feuer. Langsam gewannen die Menschen die Oberhand über das tobende Element.

      Das Haus war gerettet, doch das Kinderzimmer war vollständig ausgebrannt. Ungeachtet der schwelenden Glutnester stürzte Rhiannon in den raucherfüllten Raum, doch schon der erste Blick offenbarte ihr das Ausmaß der Zerstörung. Hier konnte niemand überlebt haben. Schreiend brach sie zusammen, bis sie irgendjemand aus den Ruinen ihres Glücks führte.

      Ein Gesicht schob sich vor das ihre: Sara, ihre Dienerin und Vertraute. In ihren Zügen tobte ein verzweifelter Kampf. „Verdammt, ich kann das nicht“, flüsterte sie. „Möge ERU mir verzeihen. Kommt mit.“

      Rhiannon wusste nicht, worauf sie hinauswollte und es war ihr auch einerlei. Ergeben folgte sie Sara in einen wenig genutzten Seitentrakt zu einem kleinen Gemach. „Ich dürfte Euch das hier gar nicht zeigen“, flüsterte die Dienerin.

      Die Baronin starrte auf den Reisekorb, in dem die beiden Mädchen schlummerten. Die Beine versagten ihr den Dienst und die Tränen bahnten sich ihren Weg, während sie in einem Chaos von Gefühlen versank.

      Es dauerte eine geraume Weile, ehe sie der warnenden Stimme ihres Verstandes Gehör schenkte. Zu Vieles passte nicht zusammen. Sie straffte sich und wandte sich an die Dienerin. „Ich hoffe, Du kannst mir das hier erklären.“

      Sara nickte, brachte aber kein Wort heraus.

      „Ich warte.“

      Die Dienerin zuckte unter ihrer schneidenden Stimme zusammen. Ihre Antwort kam kaum hörbar über ihre Lippen. „Ihr müsst die Kinder weggeben, Herrin.“

      Wie kalter Stahl trafen ihre Worte in Rhiannons Herz. Sie hatte gedacht, die Mädchen wären in den Flammen umgekommen. Nun hatte sie sie wieder – und sollte sie weggeben? Was wusste Sara? „Warum?“

      Die Dienerin hielt ihrem Blick nicht stand. „Sie sind hier nicht sicher, Herrin. Wir könnten auf sie aufpassen.“

      Rhiannon war überrascht, wie heftig ihre Ohrfeige Saras Kopf zur Seite fegte. „Du weißt, dass wir in Gefahr sind und sagst nichts? Du siehst zu, wie mein Mann ermordet und unser Haus angezündet wird und hältst es nicht für nötig uns zu warnen?“

      „Ich hab’s doch nicht gewusst“, stammelte Sara mit tränenerstickter Stimme.

      Der nächste Schlag traf ihre andere Wange. „Wer bist Du? Was weißt Du? Wer in aller Götter Namen ist Wir?“, zischte Rhiannon der treulosen Dienerin entgegen.

      „Das darf ich Euch nicht sagen Herrin“, schluchzte diese. „Aber glaubt mir: Ich will das Beste für Euch und die Mädchen.“

      „Deshalb willst Du ihnen nach dem Vater auch die Mutter nehmen?!“ Rhiannons Stimme überschlug sich vor Zorn und Verzweiflung.

      „Nein!“, schrie Sara gequält. „Das will ich nicht! Aber sie sind mächtig. Sobald sie wissen, dass die Zwillinge das Feuer überlebt haben, können wir sie nicht mehr schützen, und Ihr könnt das auch nicht.“

      „Und ob ich das kann“, zischte die Baronin. „Aber das geht Dich nichts mehr an!“

      Die Augen der Dienerin weiteten sich, aber Rhiannon wollte nie mehr auf ihr falsches Getue hereinfallen. „Geh mir aus den Augen! Lass Dich hier nie wieder blicken! Wenn ich Dich noch ein einziges Mal in der Nähe meiner Kinder erwische, bringe ich Dich um, das schwöre ich.“

       * * *

      Die Baronin wusste nicht, wie lange sie auf die Tür gestarrt hatte, durch die Sara verschwunden war. Ihre Gedanken drehten sich im Kreis. Das Feuer war kein Zufall gewesen, doch sie hatte keine Ahnung, wer dahinter stecken mochte. Einen nach dem Anderen ging sie die Dienerschaft durch, auf der Suche nach jemandem, dem sie noch vertrauen konnte.

      Sara hatte sie vertraut, aber Sara hatte ein falsches Spiel getrieben.

      Ein leises Greinen holte sie aus ihrem Grübeln. „Imena, meine Süße“, flüsterte sie und hob das Kind an ihre Brust. Die vertraute Berührung half ihr, klare Gedanken zu fassen. Nachdem auch Dareia gestillt war, wusste Rhiannon, was zu tun war. Sie musste Saras Rat folgen und die Kinder in fremde Obhut geben. Die Mädchen durften nicht als Zwillinge aufwachsen und sie brauchten neue Namen, Namen, die nicht einmal sie selbst wissen durfte. Nur wenn Alle glaubten, sie wären tot, hatten sie eine Chance.

      Sie musste rasch handeln, und sie durfte niemandem vertrauen. Und sie würde Sorge tragen, dass sie die Mädchen mit UNAs Hilfe wiederfände.

       * * *

      Disziplin, Ausdauer, Regeln, Strenge

      Jahr 18 Kaiser Polanas, Sommer

       Sylva, Schülerin an der Akademie des Hohen Magischen Kampfes zu Bethan

      „Werte