Schatten und Licht. Gerhard Kunit

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Название Schatten und Licht
Автор произведения Gerhard Kunit
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738021592



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Eure wird, könnt am Ende nur Ihr selbst entscheiden.“

      „Darauf lasse ich mich gerne ein“, sagte er. „Und das solltet Ihr auch tun.“ Gold blitzte zwischen seinen Fingern, und gleich darauf hielt sie die schimmernde Münze in der Hand.

      „Wo soll ich beginnen …“, überlegte sie. „Am besten bei der Familie DaCalva in Rand. Es war im Jahr Zehn des Kaisers Polanas ….“

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       * * *

      ERSTES BUCH – ERWACHEN

       * * *

      Familiäre Angelegenheiten

      Jahr 10 Kaiser Polanas, Frühling

       Esperanzio DaCalva

      Über den Samtpolstern des Kanapees hingen Schwaden von Rauchkraut. Der Blick des dicklichen Mittvierzigers wanderte über die Einrichtung, ehe er aussprach, was gesagt werden musste. „Mein lieber DaCalva. So sehr es mich betrübt, muss ich Euch doch darauf hinweisen: Die Geburt Eurer Nichten beeinträchtigt Eure Kreditwürdigkeit. Unsere Investition in Eure Person war namentlich von der Erbregelung Eurer Familienstatuten getragen.“

      Stille. Nach einem viel zu langen Augenblick trat eine hagere Gestalt aus dem Schatten eines Intarsienschrankes. Graue Augen blitzten unter einer dunkelblonden Haarmähne hervor. „Werter Don Jarago. Meine liebe Schwägerin …“, er zog das ‚liebe’ unangenehm in die Länge, „… ist schon Vierzig. Niemand konnte damit rechnen, dass mein Bruder noch Erben bekommt.“

      „Das gestehe ich Euch ja zu. Unangenehm für mich, da nicht jedes Mitglied unseres Konsortiums so verständnisvoll ist wie ich.“ Der Kaufmann genoss die wachsende Unruhe seines adligen Gegenübers. „In Anbetracht unserer Vereinbarung und der Höhe Eurer Verbindlichkeit besteht Handlungsbedarf. Besser gesagt: Es ist an Euch zu handeln.“

      Baronet Esperanzio DaCalva ertrug die neuerliche Stille nicht. Er begann im Zimmer auf und ab zu laufen wie ein Wolf im Käfig. Der Teppich schluckte den Klang seiner Schritte, was seine Anspannung nur noch steigerte. „Was, stellt Ihr Euch vor, soll ich denn tun?“, stieß er schließlich hervor.

      „Liebster DaCalva, Ihr seid ein kluger Mann. Sonst hätten wir Euch nicht – sagen wir – gefördert. Ich denke, Ihr wisst selbst, was das Beste für Euch ist. Ihr zögert? Lasst uns rekapitulieren: Nach den Statuten Eures Hauses ist die Erbschaft für Euch – und für uns – verloren, sobald die Bälger Eures Bruders den fünfzehnten Sonnenlauf vollenden. Aber gewisse Leute sind jetzt schon beunruhigt, und glaubt mir: Das wollt Ihr nicht. Es wäre besser für Euch, wenn Euren Nichten ein Missgeschick widerfährt.“

      Esperanzio ließ sich in einen Ohrensessel fallen. Hatte ihm der schmierige Pfeffersack soeben nahe gelegt, seine Nichten zu ermorden?

      „Wenn ich es recht bedenke“, fuhr Don Jarago ungerührt fort, „wäre es für Euch noch sicherer, wenn die Baronin von dem gleichen Missgeschick betroffen wäre. Eine umgestoßene Kerze, eine verzweifelte Mutter, die ihre Kinder aus den Flammen retten will: Ihr könnt Euch vorstellen, wie schnell so etwas geht.“

      Die Welt des Baronets begann sich zu drehen. Er sah das Gesicht seiner Schwägerin vor sich, doch ihr feines Lächeln wurde ausgelöscht von Don Jaragos Grinsen. „Geht in die grüne Kogge im Hafen und fragt nach dem Lausaner. Er hat Erfahrung mit Unfällen dieser Art.“

       * * *

      Karina hieß die glutäugige Schönheit, die Esperanzio zwei Jahre zuvor in das Hinterzimmer lockte. Berauscht von prickelndem Schaumwein und den Blicken der Tänzerin ließ er sich auf viel zu hohe Einsätze ein und verlor nach einer anfänglichen Glückssträhne Alles.

      Als er am nächsten Tag mit brummendem Schädel erwachte, fehlte von Karina jede Spur. Stattdessen stellte sich ihm ein dicklicher Kaufmann mit rotem Gesicht und fettigem schwarzem Haar als Don Jarago vor und hielt ihm einen Schuldschein über achttausend Golddublonen unter die Nase. Anstatt gleich zu seinem älteren Bruder Horatio zu gehen, stieg er auf die riskanten Geschäfte ein, die ihm der Kaufmann als Ausweg präsentierte. Mittlerweile reichte das gesamte Familienvermögen nicht mehr aus, um seine Schulden zu tilgen.

      Das Zuschlagen einer Türe riss ihn aus seinen Gedanken. Er war allein. Wer immer hinter dem gerissenen Kaufmann steckte, war nicht nur an Geld interessiert. Esperanzio hatte keine Ahnung, worum es den Hintermännern ging, aber er wollte nicht mit durchschnittener Kehle in einer dunklen Gasse enden. Jäh stand er auf und lenkte seine Schritte zum Hafen.

       * * *

      Vorsichtig schlich Esperanzio die Treppe hinauf. Die ölgetränkten Lappen in seiner Umhängetasche verströmten einen penetranten Geruch. Der Schatten des Lausaners glitt nach rechts. „Dort hinüber“, flüsterte Esperanzio und wies nach der anderen Seite. Der Kloß in seinem Hals wurde dicker, aber es gab kein Zurück. Mit einem Schlucken schob er die Erinnerung an die lachenden Gesichter der Zwillingsmädchen beiseite und betrat das Kinderzimmer.

      Der Schurke benötigte erschreckend wenige Handgriffe für seine Vorbereitungen. Mit einer irrealen Mischung aus Abscheu und Faszination starrte Esperanzio auf die Kerze, deren Flamme sich in der Öllache spiegelte. Die aufgeschichteten Lappen würden das Feuer rasch ins Innere des Zimmers tragen und die Vorhänge der Wiegen in Brand setzen. Noch ehe man im Haus etwas bemerkte, wäre es für die Mädchen zu spät.

      „Komm schon!“ Der Baronet spürte ein Ziehen an seinem Arm und riss sich vom Anblick der Flamme los. Der Lausaner zerrte ihn hinter sich her, wie einen störrischen Knaben. „Reiß dich zusammen“, zischte er. „Wir müssen hier weg.“

      Esperanzio nickte. Teilnahmslos beobachtete er, wie der Schurke auf der halben Höhe der Treppe Halt machte und seine Tasche absetzte. „Was machst Du?“, fragte er, während der Lausaner die übrigen Lappen an den Stufen aufschichtete und das restliche Brandöl darüber verteilte.

      „Wonach sieht’s denn aus?“, gab der zurück.

      Esperanzio erbleichte. „Das war nicht abgemacht“, stammelte er. „Da kommt doch Keiner mehr raus.“

      „Reg dich nicht auf. Ich mach doch hier die Drecksarbeit, damit du an das Erbe kommst.“

      Mit geschickten Fingern setzte der Lausaner das Öl in Brand. Esperanzio starrte auf das bläulich züngelnde Flämmchen. Horatio, sein Bruder, würde in dem Feuer sterben. Horatio, der ihn aus dem Haus geworfen hatte. Der ihm die Unterstützung versagt hatte, als er sie gebraucht hätte. Horatio, mit dem er aufgewachsen war, mit dem er am Bach gespielt hatte. Sein großer Bruder, der ihn zum ersten Mal auf den Rücken eines Pferdes gesetzt hatte, der ihm in seiner Jugend zur Seite gestanden hatte.

      „Hilfe“, rief Esperanzio viel zu leise.

      Der Schurke sah erschrocken auf. „Spinnst du. Du weckst doch alle auf.“

      Aufwecken. Ja, das wollte er. Rhiannon, seine Schwägerin, die nie ein böses Wort über ihn verloren hatte. Rhiannon, die Horatio überredet hatte, dass er, allen Streitigkeiten zum Trotz, seine Nichten sehen durfte. Sie sollte aufwachen, sollte sich und ihre Kinder retten. „Hilfe!“, schrie er mit aller Kraft. „Feuer!“ Er sprang vor, trat die brennenden Lumpen auseinander und trampelte nach den Flammen, die das Treppengeländer erfassten.

      Etwas Hartes traf seinen Schädel. Er taumelte. Der Lausaner, schoss es ihm durch den Kopf. Natürlich sah der Schurke nicht tatenlos zu, wie er das ganze Haus zusammenbrüllte. Fluchend zog Esperanzio seinen Dolch und fuhr herum. Etwas blitzte im flackernden Schein auf und ein brennender Schmerz schoss durch seinen Arm. Sein eigener Stoß ging ins Leere.

      „Feuer!“, rief er, so laut er konnte. Der Stich konnte nicht tief sein. Er spürte ihn kaum. Wieder stach der Lausaner zu. Diesmal parierte Esperanzio, aber irgendwas stimmte nicht. Seine Finger waren klamm, und