Schatten und Licht. Gerhard Kunit

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Название Schatten und Licht
Автор произведения Gerhard Kunit
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738021592



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dem untergehenden Mond sank auch Orimas Mut. Der Streifen über den östlichen Berggipfeln nahm bereits eine rötliche Färbung an. In einer Stunde war es hell genug für den Kampf, doch Eberherz war noch nicht zurück. „Blast zum Wecken!“, befahl sie dem Hornisten. „Die Leute sollen sich bereit machen.“

      Reinalf trabte heran. Er wollte Tatkraft ausstrahlen, aber das gelang ihm nicht recht. „Was machen wir jetzt?“, fragte er.

      „Warten“, antwortete Orima. „Stell die Leute zur Verteidigung auf. Doppelter Schildwall zum Talgrund, dahinter die Bogner. Mehr können wir nicht tun.“

      „Was, wenn sie vom Hang herab angreifen? Oder von allen Seiten?“, wandte der Ritter ein. Sie zuckte die Achseln.

      „Der König!“, erscholl da ein Ruf. „Der König ist zurück!“, wurde er von trockenen Kehlen aufgenommen und weitergetragen.

      „Männer und Frauen, meine tapferen Getreuen!“, übertönte Eberherz‘ kräftige Stimme das überraschte Gemurmel. „Wir greifen an! Richtet Euch zum Kampf! Gebt Euer Bestes und wir werden siegen! Wollt ihr mit mir gehen?!“ Einzelne Rufe der Zustimmung flackerten auf, doch die Mehrzahl zögerte.

      „Wir greifen ihre Hauptstellung am Ausgang des Tals an.“, wies der König Reinalf an. „Wir werden sie überrumpeln und schlagen.“

      Jetzt war auch Orima irritiert. Alleine die Hauptstreitmacht der Zwerge war ihnen drei zu eins überlegen. Hinzu kämen Attacken gegen ihre offenen Flanken und unzählige Armbrustbolzen in den ungeschützten Rücken. Will er mit einem sinnlosen Opfer in die Legenden eingehen? Orima bezweifelte das. Legenden wurden von den Siegern erzählt. Oder ist er verrückt geworden? Wer weiß, was der Drache mit ihm gemacht hat.

      Das Signal zum Angriff beendete ihr Grübeln. Der König befahl und sie folgte. Obwohl es dafür eigentlich zu spät war, überprüfte sie noch einmal den Sitz ihrer Schulterpanzerung, ehe sie den Schild ergriff und Samring zog. Dann setzte sie sich in Bewegung. Zunächst trabten sie langsam, fast gemächlich, doch bald beschleunigten sich ihre Schritte, während die Erregung der bevorstehenden Schlacht von ihr Besitz ergriff.

      Linkerhand, auf einer Erhebung, gingen feindliche Armbrustschützen in Stellung. Links ist gut, dachte sie mit jener seltsamen Distanz, die sich bei jedem ihrer Kämpfe einstellte. Das ist die Schildseite. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie die Zwerge ihre Waffen hoben, um Tod und Verderben in ihre Reihen zu tragen.

      Orimas Kopf zuckte herum, als die Schützen von einer gewaltigen Feuerlohe erfasst wurden. Gedrungene Gestalten taumelten aus der Flammenwand und fielen, bevor sie reglos liegenblieben. Ein Schatten glitt über die baelischen Truppen hinweg zur anderen Seite hinüber.

      Der Soldat neben Orima taumelte, fiel aus dem Schritt und stürzte. Sie sah sich um und erkannte zwergische Plänkler, die ihre rechte Flanke angriffen. Das waren unangenehme Gegner, deren Schleudern böse Wunden verursachten. Sobald der Feind jedoch Schwäche zeigte oder Einzelne verletzt zurückblieben, brächten sie es mit ihren kurzen, krummen Dolchen auch zu Ende. Noch schlimmer waren aber die Hammerträger, die sich hinter den Plänklern zum Sturm bereitstellten.

      Ein Feuerstoß erfasste jetzt auch die ersten Reihen der Schleuderer und hinderte die Übrigen am Vorrücken. Der Drache, begriff Orima und neue Zuversicht erfüllte sie. Deshalb war sich Eberherz seiner Sache so sicher.

      Nur noch wenige Schritte trennten sie von der Schlachtreihe der Zwerge. „Mal sehen, wie stark ihr jetzt seid“, knurrte Orima. „Nur Mann gegen Frau, Front gegen Front.“ Ein vielfaches Hurra erscholl aus den Kehlen der Baeler, als sie in die wankenden Reihen ihrer Gegner einbrachen.

      Samring schnitt durch geflochtene Schilde, leichte Rüstungen und weite Gewänder, während die krummen Säbel Orimas Panzer kaum etwas anhaben konnten. Wie eine Heldin aus alter Zeit focht sie an der Seite des Königs und Samring hielt eine blutige Ernte, bis auch der Letzte ihrer Gefolgsleute gerächt war.

      Die Zwerge hielten nicht stand. Ihre Linie zerbrach unter dem Ansturm der entfesselten Menschen und sie flohen Hals über Kopf. Die Wenigen, die dem Gemetzel entkamen, rannten und würden nicht haltmachen, ehe sie leblose Wüste erreichten, aus der sie gekommen waren.

       * * *

      An diesem Morgen erfocht Eberherz einen gewaltigen Sieg. Die Baeler reckten ihre Schwerter in den Himmel und jubelten ihm zu, doch einen Schrecken hielt der Tag noch für sie bereit – der Drache kehrte zurück.

      „König!“, dröhnte seine Stimme in Orimas Kopf. „Mein Teil des Pakts ist erfüllt!“ Diesmal hörten alle seine Stimme, wie ihre Mienen verrieten.

      König Eberherz beugte sein Haupt, als Zeichen, dass er Wort hielte. Er sprach lange mit seiner Tochter, bevor er von ihr Abschied nahm.

      „Für Bael!“, rief Prinzessin Rian mit schwankender Stimme. „Für Bael und für den König!“ Erhobenen Hauptes und furchtlos schritt sie dem Untier entgegen, mit Tränen in den Augen und dennoch lächelnd, wissend, dass sie ihren treuen Untertanen Leben und Freiheit erkaufte.

      Der Drache verschlang das stolze Mädchen mit einem Bissen. Sein mächtiges Haupt neigte sich grüßend vor Eberherz und den erstarrten Soldaten, ehe er mit einem Satz in den Himmel sprang und von dannen flog.

      Nur langsam erfassten sie, welches Opfer ihr König auf sich genommen hatte, um sie vor dem Untergang zu bewahren, und sie huldigten ihm, wie es einem großen König und Sieger gebührte, doch Jubel wollte nicht aufkommen.

       * * *

      „So und nicht anders ist es geschehen!“, rief Orima von Graueneck, als sich der bittere Sieg zum ersten Mal jährte. „Und so frage ich Euch, Ihr Edlen von Bael: Wollt Ihr zurückstehen, hinter Eurem König, der dieses Opfer für Euch auf sich genommen hat?! Und ich frage Euch Ihr Gemeinen: Denkt Ihr, das Blut Eurer Töchter sei wertvoller, als jenes der tapferen Rian, die für Euch in den Tod gegangen ist?!“

      Da lief ein zustimmendes Raunen durch die Menge. Eine nach der anderen traten die Jungfrauen vor und warfen ihr Los in die Waagschale, denn keine wollte hinter der Prinzessin zurückstehen. Die Menschen jubelten den Mädchen zu, deren Mut ihnen Sicherheit und Freiheit erkaufte: Eine musste sterben, um den Pakt zu erneuern. Die Anderen durften weiterleben, bis die Sonne erneut ihren Lauf erfüllte – bis zum nächsten Drachenfest.

       * * *

       Franka, die Bardin

      „Das war sie, die Legende von König Eberherz und dem Drachen von Bael“, beendete Franka ihre Erzählung. „So hat es sich vor mehr als sechshundert Sonnenläufen zugetragen, und noch heute feiert man in Bael das Drachenfest.“

      Ihr Blick wanderte von einem adretten Bürger über eine Zofe zu einem Fuhrmann, ehe sie mit gesenkter Stimme fortfuhr. „Noch heute wird in Bael Jahr für Jahr eine Jungfrau als Opfer für den Drachen bestimmt.“

      Stille legte sich über die bis zum letzten Platz gefüllte Schenke, ehe ein erster Zuhörer auf den Tisch klopfte und andere begeistert einfielen. Ein Kupferstück klimperte in den Hut und weitere folgten. Während Franka von dem kleinen Podest stieg, schielte sie zum Wirt hinüber, auf dessen Gesicht ein Lächeln stand, und ein zufriedener Wirt bedeutete einen vollen Magen.

      „Darf ich mich zu Euch setzen?“

      Franka sah von ihrem duftenden Braten auf und erkannte einen alten Mann in der Robe der Weißen Magier. Der schnucklige Händler, der ihr gerade eben ein Krüglein Wein spendiert hatte, räumte seinen Platz. Während ihm die Bardin bedauernd nachsah, deutete sie auf den leeren Stuhl, ohne ihr Kauen zu unterbrechen.

      „Das ist eine schöne Legende, aber Ihr habt nicht Alles erzählt.“

      „Da habt Ihr recht“, gestand sie widerwillig zu. „Doch so wollen es die Leute hören.“

      „Ich will mehr wissen“, drängte der Magier. „Ich will die Wahrheit.“

      „Die Wahrheit?“ Franka lachte, ehe ihre Miene ernst wurde.