Schatten und Licht. Gerhard Kunit

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Название Schatten und Licht
Автор произведения Gerhard Kunit
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738021592



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an. Finte von rechts, Unterlaufen der Deckung, seitliches Hineingehen in die Gegnerin, ein kurzer Druck auf den Stab der Kontrahentin, ein leichten Schlag auf das linke Handgelenk und der Zauberstab der Novizin flog zur Seite. Ardana sprang ihren Gegner an und versuchte einen Würgegriff, doch angesichts Rans körperlicher Überlegenheit war der Angriff zum Scheitern verurteilt. Schließlich ergab sie sich kichernd seinem Festhaltegriff.

      Magister Likandros beendete die Balgerei. „Mehr Ernsthaftigkeit bitte, wir machen das hier nicht zum Spaß. Ardana, das war erbärmlich. Im Ernstfall wär’s jetzt um Dich geschehen.“

      „Das ist es auch so“, bemerkte jemand. Unter dem folgenden Gelächter lief die Novizin lief rot an wie eine Tomate.

      Einer nach dem Anderen versuchte, sich gegen die Entwaffnung zu verteidigen, aber selten gelang es Einem, auch nur dem ersten Angriff zu widerstehen.

      Schließlich unterbrach Magister Likandros die fruchtlosen Bemühungen. „Danke, Ran, sehr gut. Wie wir gesehen haben, sind unsere Aussichten gegen einen erfahrenen Kämpfer schlecht. Das wird mit zunehmender Übung zwar besser, aber Euren grundlegenden Nachteil, die fehlende Kraft, könnt Ihr damit nicht ausgleichen. Im Ernstfall sind wir daher auf unsere magischen Fähigkeiten angewiesen. Dabei stehen uns viele Optionen zur Verfügung, einen Kampf zu unseren Gunsten zu beeinflussen. Lasst Eure Phantasie spielen. Da Ihr während des Kampfes keine Zeit zum Nachdenken haben werdet, solltet Ihr Euch vorher Strategien überlegen, die Ihr anschließend erproben könnt.“

      Magister Geron trat heran, der seine Klasse suchte. Die Mädchen und Jungen versuchten, ihn davon zu überzeugen, wie wichtig praktische Erfahrung im Kampf wäre, wenn es darum ginge sich den verachteten Schwarzen zu stellen. Lächelnd gab der Professor nach und setzte sich zu seinen Schülern ins Gras. Es konnte nicht schaden, den herrlichen Spätsommertag ausnahmsweise außerhalb der Studierstube zu genießen.

      Hinrik war der Erste, der sich Ran stellte. „Schildwand“, murmelte er, während seine Linke eine flächige Bewegung vor seinem Körper vollführte. Die Finten und Entwaffnungsversuche seines Gegners wurden von der magischen Wand abgefangen und liefen ins Leere. Er konnte sogar einen eigenen Angriff einleiten, doch dann stellte sich Ran auf die Situation ein. Mit wenigen, wuchtig geführten Schlägen zertrümmerte er die unsichtbare Barriere. Als sie plötzlich nachgab, konnte er seinen letzten Hieb nur mit Mühe abfangen.

      „Sehr gut, Hinrik.“ Magister Likandros klatschte Beifall. „Die Schildwand ist gut als kurzfristige Verteidigung geeignet und verschafft Euch Zeit, Euer Vorgehen zu überdenken. Ran hat Erfahrung im Kampf gegen Magier und konnte sich rasch auf Deine Abwehr einstellen, aber andere Gegner brauchen dafür länger. Wie Ihr gesehen habt, bricht die magische Schutzwand schlagartig ein. Mit etwas Erfahrung könnt Ihr dieses Nachgeben rechtzeitig spüren, damit Ihr nicht davon überrascht werdet, wie Hinrik eben. Der Nächste bitte.“

      Ardana wollte es diesmal besonders gut machen. „Können wir noch einmal die Entwaffnung üben?“ fragte sie Ran. Als er nickte, murmelte sie: „Festkleben“.

      Er setzte das gleiche Manöver an wie zuvor, und diesmal ließ sie nicht locker. Stattdessen verlor sie aber ihr Gleichgewicht und konnte sich gerade noch abfangen. Ran setzte mehrere Kombinationen an, aber da ihre Hände am Stab klebten, konnte sie weder umgreifen noch parieren und mehrmals stoppte er seinen Stab knapp vor ihrem Körper. Viele der Hiebe und Stöße hätten im Kampf kritische Verletzungen verursacht. Als er schließlich von ihr abließ, flackerte leises Kichern auf, während sie betreten zu Boden sah.

      „Ruhe“, befahl Magister Likandros. „Genau deshalb üben wir das. Die Idee war nicht schlecht, aber die Wirkung war verheerend.“ Seine beiläufige Handbewegung beendete Ardanas Zauber. „Weitermachen.“

      Einige kopierten Hinriks Taktik, aber kaum einem gelang eine ausreichend widerstandsfähige Barriere. Andere probierten eigene Ideen und Bertan hatte schließlich Erfolg. Sein Zauber blockierte Rans Stab, sodass dieser keinen wirksamen Angriff führen konnte, aber auf Grund seiner fehlenden Kampferfahrung konnte er keine eigene Attacke einleiten. Als er es doch versuchte, ließ Ran seinen eigenen, nutzlosen Stab los, packte den seines Gegners und überwältigte den Novizen. Diesmal applaudierte sogar Ran. Alle waren sich einig, dass Bertan heute am besten abgeschnitten hatte.

      Die Stimmung bei den Übungsstunden war selten so gut, die Novizen hatten aktiv mitgemacht und Magister Likandros war guter Laune. Als er an den Jüngeren vorbeikam, lächelte er: „Habt ihr noch Ideen?“

      Die Frage war nicht ernst gemeint und so stutzte er, als sich tatsächlich eine Schülerin meldete: „Ich würde es gerne probieren.“

      Hübsches blondes Ding, dachte er, Semira oder so ähnlich. Er selbst unterrichtete die älteren Jahrgänge und kannte sie nur vom Sehen. Einige der Kollegen beschrieben sie als begabt und extrem ehrgeizig, aber sie konnte so gut wie keine Erfahrung im Kampf haben.

      „Vielleicht ein anderes Mal“, schlug er freundlich vor.

      „Nein, jetzt“, erwiderte sie entschlossen.

      Die Augen der Schüler und Novizen ruhten auf ihm und er konnte nur schwer zurück. Selbst Ran bleib neugierig stehen. „Na gut“, lenkte der Magier ein. „Soll Dir jemand seinen Stab borgen?“

      „Nein, es geht auch so.“ Sie musterte ihn aus klaren grünen Augen.

      Da komm ich nicht mehr aus, dachte er. „Tu ihr nicht weh“, flüsterte er Ran zu, als er den Kampfplatz freigab.

      Das Mädchen nahm eine unbeholfene Verteidigungsstellung ein und ermutigte ihren Gegner zum Angriff. „Hitze“, flüsterte sie, als er zustieß und das einzelne Wort hallte gespenstisch weit über den Platz. Mit einem Aufschrei ließ Ran seinen Kampfstab fallen und presste die Hände gegen seinen Körper. Eine plötzliche Bewegung ließ in hochfahren, doch Semiras spitzer Ellbogen stoppte eine Fingerbreite vor seiner Nase.

      „Darf ich?“ fragte die Kleine und begann mit der Heilung von Rans verbrannten Handflächen, ehe Romero auch nur den Mund aufbrachte.

       * * *

      Als die Sonne den westlichen Horizont berührte, standen die zwei Lehrer noch immer bei der Platane und stritten heftig. Lange schon saßen die Schüler beim Abendmahl, alle außer Semira, die Magister Geron zu einer Nacht Einzelarrest verdonnert hatte. „Sie ist eine verdammte Schwarzmagierin“, geiferte er. „Den verfluchten Zauber hat sie sicher nicht von mir gelernt.“

      „Sie ist ein Kind! Ihr hättet ihr zumindest erklären müssen, warum Ihr sie bestraft!“, brüllte Magister Likandros.

      „Das weiß sie ganz genau“, gab der Ältere stur zurück. „Aber ich treibe ihr die Flausen aus. Lasst Euch bloß nicht von ihrem unschuldigen Puppengesicht täuschen.“

      Das ging zu weit. Der unkonventionelle Einfall des Mädchens ließ sich zwar nicht auf dokumentierte Taktiken der Gilde zurückführen, hätte in einem ernsthaften Kampf aber gute Aussichten auf einen raschen Erfolg. Romero Likandros schluckte seine Entgegnung hinunter und ließ sein Gegenüber stehen. Was die Bedrohung durch unkontrollierte Zauberei und die Angehörigen der Schwarzen Gilde betraf, war Geron ein Fanatiker und jede Diskussion über dieses Thema war zwecklos. Romero hasste es, wenn ihm seine Laune so gründlich verdorben wurde.

       * * *

       Torin Kupferkrug, Schankbursche im Kupferkrug zu Bethan

      Die Mauer, auf der die Kinder saßen, hatte einst die Rückwand eines Lagerhauses gebildet, bis dieses einer Verbreiterung des Kais zum Opfer gefallen war. Heute diente das Mauerwerk als Stütze für den Hang, der die Ausbreitung des Hafens begrenzte. Neuerdings war sie aber auch jener Platz, an dem Torin Kupferkrug seine spärlichen freien Stunden verbrachte. Mit ihren fast fünf Schritt Höhe bot sie einen guten Überblick den Hafen. Von hier sah er, ob bei einem der Schiffe Helfer für Stauarbeiten benötigt wurden. Ein geschickter und kräftiger Junge wie Torin wurde gerne eingestellt und so verdiente er sich die eine oder andere Kupfermünze dazu.

      Heute wartete er auf Sylva. Seit jenem Nachmittag, an dem sie ihm zu Hilfe geeilt