Schatten und Licht. Gerhard Kunit

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Название Schatten und Licht
Автор произведения Gerhard Kunit
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738021592



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sich von dem bunten Treiben am Kai abhob. Sie winkte ihm und beschleunigte ihre Schritte. Flink wie eine Eidechse kletterte sie die rissige Steinwand hinauf.

      Torin streckte ihr seinen Arm entgegen, um sie hochzuziehen. „Du bist spät. Ich dachte schon, Du würdest nicht mehr kommen.“

      „Ich musste nachsitzen. Zarif, die alte Magiersprache, trockenes Zeug und ziemlich verstaubt.“ Sylvas Atem beruhigte sich nur langsam, da sie den größten Teil des Weges von der Akademie gerannt war.

      „Schön, dass Du es noch geschafft hast. Ich muss Dir was erzählen.“

      „Leg’ los.“ Erwartungsvoll sah sie ihn an.

      „Ich will zur Stadtgarde“, platzte er heraus. „Stark genug bin ich, und es ist ein gutes Auskommen.“

      Lange hatte er über seinem Entschluss gegrübelt. Seit er denken konnte, war klar, dass er das Wirtshaus seines Vaters übernehmen würde, aber jetzt wusste er es besser. Obwohl Bethan als sichere Stadt galt, gab es im Hafenviertel, in dem auch der Kupferkrug stand, genügend Zwischenfälle, bei denen das Recht des Stärkeren entschied. Er hatte das immer als natürlichen Bestandteil seiner Welt akzeptiert, aber Sylva hatte ihm gezeigt, dass man nicht alles hinnehmen musste.

      Sie legte ihre Hand auf seinen Arm. „Wieso?“

      „Deinetwegen. Du hast Dich für mich eingesetzt. Du weißt immer, was Du willst.“

      „Ich weiß nicht einmal, wer ich bin“, sagte Sylva nachdenklich und fischte das Amulett hervor, dass sie Zeitlebens um den Hals trug. „Vielleicht sagt mir dieses Ding irgendwann, wo ich herkomme oder wer meine Eltern waren.“ Ihre Finger glitten über die einfachen und zugleich verwirrend verschlungenen Verzierungen des Schmuckstückes.

      „Darf ich mal?“ Torin streckte die Hand aus.

      „Kannst es Dir gerne ansehen, aber ich kann es nicht abnehmen.“ Sylva neigte sich ihm entgegen, damit er einen Blick darauf werfen konnte.

      „Wie, es lässt sich nicht abnehmen?“

      „Magisches Zeugs“, lachte die Freundin. „Geht vielleicht an meinem einundzwanzigsten Geburtstag auf, hat die Vorsteherin gesagt. Was drinnen ist, weiß sie auch nicht, und ich soll’s nicht jedem zeigen. Aber Du bist ja nicht Jeder. Ich glaube, sie hätten es sogar aufbekommen, die Lehrer, aber das wäre wohl kaum der Sinn gewesen.“

      „Du weißt nichts über Deine Eltern?“

      „Wahrscheinlich sind sie tot, aber nicht einmal das ist sicher.“

      Torin spürte das Zittern in ihrer Stimme und ergriff ihre Hand. „Du gehst auf eine gute Schule. Sie haben für Dich gesorgt“, versuchte er sie zu trösten.

       * * *

      Eine gute Zehntelstunde saßen sie schweigend nebeneinander und sahen in den Abendhimmel. „Möchtest Du denn eine Zauberin werden?“, brach Torin das Schweigen.

      Sylva sah ihn irritiert an. Die Frage war ihr noch nie in den Sinn gekommen. Magisch Begabte mussten sich einer Ausbildung unterziehen, wenn sie nicht zu einer Gefahr für sich selbst und ihre Umgebung werden wollten. Die Lehrer wiesen regelmäßig darauf hin, wie wichtig es war, die Gabe der Magie rechtzeitig zu erkennen und zu formen, ehe sie sich entfaltete.

      „Diese alten Formeln und Schriften zu lernen ist schon langweilig. Thesen, Lehrsätze und Axiome können ordentlich nerven, aber nichts ist aufregender, als das Zaubern. Wenn sich die magischen Flüsse nach deinem Willen formen, wenn du spürst, wie die Elemente gehorchen und den Strom der Wirklichkeit verändern, fühlst du eine Kraft in dir, die mit nichts zu vergleichen ist.“

      Er verstand nur wenig, doch in Ihren Augen leuchtete Begeisterung. „Ja, ich werde gerne Magierin“, brachte sie die Sache auf den Punkt.

      „Was machst Du, wenn Du fertig bist?“, wollte er wissen.

      „Die Besten kommen zur Garde und werden Kaiser Polanas direkt unterstellt. Das ist eine Ehrenposition für jeden Magier, aber ich muss mich anstrengen, wenn ich das schaffen will.“

      „Warum? Du schlägst doch jeden Deines Jahrgangs.“

      „Nur bei der Kampfzauberei. Da fühl ich mich sicher und das kann ich gut. Aber es gibt so Vieles, womit ich mich schwer tue. Analysen und Hellsicht zum Beispiel, da fehlt mir die Geduld. Die Theorie ist wichtig, aber ich kann mich nur schwer darauf konzentrieren.“

      Sylva legte eine Pause ein, aber Torin schwieg, bis sie fortfuhr: „Ich werde wohl als Begleitschutz für Kaufleute meinen Unterhalt verdienen, bei den großen Karawanen oder auf einem Handelsschiff. Da komme ich herum und werde viel von unserer Welt sehen. Magister Reimer hat das ähnlich gemacht, bevor er Lehrer wurde.“

      Torin sah einem besonders schönen Zweimaster nach, dessen modern wirkende Takelung von der Abendsonne in unwirkliches Licht getaucht wurde. Wo der wohl hinfährt?

      „Weiß es Dein Vater schon?“

      „Was?“

      „Das mit der Stadtgarde.“

      Der Junge schüttelte den Kopf. Seine Eltern wären nicht begeistert, aber sie würden seinen Entschluss verstehen. Er hatte drei jüngere Geschwister, die den Kupferkrug fortführen konnten. „Nein, ich wollte zuerst mit Dir darüber reden.“

      „Ich find’s gut. Schadet nicht, wenn hier ein richtiger Mann für Ordnung sorgt.“

      Torin musterte die Freundin, doch sie starrte unverwandt über das Hafenbecken. Vergeblich versuchte er herauszufinden, ob der richtige Mann spöttisch gemeint war. Sie sah ihn an und prustete los.

      „Was?“, fragte er genervt.

      Sie strahlte ihn an. „Schon gut. Ich meine das ernst, und ich freu mich für Dich.“

      Torins Gedanken wanderten zum Hof der gräflichen Residenz. Oder zu dem, was er sich darunter vorstellte. Als Sohn eines Gastwirtes hatte er das Schloss noch nie von innen gesehen, doch er sah sich schon in gräflicher Uniform mit blankem Säbel und blitzendem Harnisch, wie er den Morgenappell der Wache abnahm. In seiner Stadt hätte das Gesindel nichts mehr zu melden, das war klar.

      „Steht Dir sicher gut“, unterbrach Sylva seine Träumerei.

      „Was?“

      „Die Uniform. Das Grün passt gut zu Deinen braunen Haaren.“ Sie strich ihm das Haar aus dem Gesicht und musterte ihn.

      „Typisch Mädchen, immer nur Äußerlichkeiten im hübschen Kopf.“

      Ein spitzer Ellbogen traf seine Rippen, aber ehe er reagieren konnte, sprang sie mit einem eleganten Satz in die Tiefe.

      Na toll, dachte er, als er an das unebene Pflaster fast fünf Schritt unter seinen Füßen dachte. Sitzenbleiben wie ein Feigling kam ebenso wenig in Frage, wie langsam hinterher zu klettern.

      Kaum war er unten gelandet, hörte er „Fang!“ Instinktiv griff nach der fast körperlangen Stange, die auf ihn zuflog. Es war der Teil einer abgebrochenen Außenrah, deren Abmessungen einem Kampfstab ähnelten. „Dir werde ich ein paar Äußerlichkeiten zeigen“, rief Sylva und ließ ihren eigenen Stecken kreisen.

      Das Mädchen war im letzten Jahr gewachsen und nur noch ein wenig kleiner als er, aber er war zwei Jahre älter und deutlich stärker. Bisher hatte sie in den Übungskämpfen wenige Chancen gehabt, doch in den letzten Wochen war sie gewandter und schneller geworden.

      Er kannte seine Freundin gut und ihr entschlossener Gesichtsausdruck warnte ihn vor ihrem Angriff. Er parierte und antwortete mit einer Serie von Gegenschlägen. So leicht kriegst Du mich nicht, dachte er und stieß den Stab mehrmals gerade vor, bis er sie in eine ungünstige Position drängte. Mit einer flinken Drehung seines Stocks ließ er das andere Ende von unten vorschnellen, doch sie konterte mit einer Parade, die ihm beinahe das Holz aus der Hand prellte.

       Holla, schon wieder so ein Trick aus der Akademie.

      Noch