Schatten und Licht. Gerhard Kunit

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Название Schatten und Licht
Автор произведения Gerhard Kunit
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738021592



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zu bringen. Diesmal parierte sie unentschlossen und sein Stock prallte hart auf ihr Handgelenk. Sie sprang zurück und nahm eine Abwehrposition ein, aber Torin ließ den Stab sinken.

      „Hab’ ich Dir wehgetan?“

      „Es geht“, antwortete sie gepresst.

      „Nein, tut es nicht“, meinte Torin, dem ihre schmerzverzerrte Miene nicht entging. „Lass mal sehen.“ Er sah sich ihr Handgelenk an, das eine tiefblaue Färbung annahm und rasch anschwoll.

      „Ist nicht schlimmer, als eine Schreibstunde bei der Südfahrer“, grinste Sylva, zuckte bei seiner Berührung aber zusammen.

      „Kannst Du so etwas, wie Dein Lehrer? Diesen Heilzauber?“

      „Ein wenig, aber wir dürfen ihn nur unter Aufsicht anwenden. Ist nicht schön, wenn der schief geht.“

      „Die sollen sich auf jeden Fall anschauen, ob der Knochen in Ordnung ist, hast Du mich verstanden?“ Eindringlich musterte Torin die Freundin. Ihre Sturheit, oder, wie sie es ausdrückte Beharrlichkeit, kannte er zur Genüge. „Du könntest die Heilung an Dir selbst üben, mit einem Lehrer dabei meine ich.“

      „Gut, mach ich. Aber es wird schon dunkel und ich muss sowieso gehen.“

      Der Junge fasste das Mädchen an den Oberarmen und sah ihr ins Gesicht. „Ich muss auch los. Pass auf Dich auf.“

      „Du auch.“

      Sie drehte sich um, huschte davon und verschwand in der Menge. Torin machte sich auf den Weg zum Kupferkrug. Sein Vater und etliche durstige Gäste würden schon auf eine zusätzliche Schankhilfe warten.

       * * *

      Gefährliche Bücher und blanker Stahl

      Jahr 23 des Kaisers Polanas, Frühsommer

       Semira

      Magister Gerons Unterricht nahm kein Ende. Wieder und wieder mussten die Schüler die vier großen Weißen Akademien rezitieren. Zwar kannten sie die Schulen und deren Ausbildungsschwerpunkte schon beinahe auswendig, aber eben nur beinahe.

      Gerade war Fenrik an der Reihe: „Die Akademie zu Rand unterrichtet Verzauberung und Verwandlung. Unter Verzauberung verstehen wir die magische Veränderung von Lebewesen und Pflanzen. Die Verwandlung lehrt die Beeinflussung von nicht lebender Materie.“ Der Junge sah den Lehrer erwartungsvoll an, und der bedeutete ihm fortzufahren. „Die Akademie zu Bethan lehrt Kampf und Feuer.“

      „Kampf und magisches Feuer“, unterbrach der Magister. Sein grauer, spitzer Kinnbart wippte herausfordernd.

      Die Unterbrechung brachte Fenrik aus dem Konzept. „Kampf und magisches Feuer“, berichtigte er sich. „Die Anwendung darf nur ….“ Er stockte und sah sich unsicher um. Anjas Handbewegung sollte ihn auf die geradlinige, offene Ausübung der Kampfmagie hinweisen, half ihm aber wenig. „…. darf nur gerade erfolgen!“, platzte er heraus.

      Magister Geron verdrehte theatralisch die Augen und ließ sich von den hilfesuchenden Gesten seiner Schüler nicht beirren. „Also noch einmal ganz von vorne: Die älteste und zugleich bedeutendste Schule Arans ist die Akademie zu Hesgard. Sie lehrt Verständigung, Gegen- und Antimagie, Bannzauberei und Kampf und hat damit den breitesten Lehrplan. Die Akademie zu Rand unterrichtet Verzauberung und Verwandlung. Bethan blickt auf eine lange Tradition zurück und lehrt Kampf und magisches Feuer. Deren Absolventen sind hoch spezialisiert, lassen aber einen Mangel an breit gefächertem Grundlagenwissen erkennen. Dies wird euch hier in Rand nicht passieren.“

      Stolz schwang in seiner Stimme mit, und er legte eine kunstvolle Pause ein, um die Bedeutung seiner Akademie zu unterstreichen.

      „Die mit knapp vierhundert Jahren noch junge Schule in Lausan hat sich die Erforschung der Grundlagen der Magie und ihres Wesens auf die Fahnen geheftet – eine Anmaßung, die nicht von jedem Weißmagier gut geheißen wird, wie ich betonen muss. Überdies unterhält sie einen Lehrstuhl für Beherrschung – ein Grenzbereich, der allzu oft Versuchungen eröffnet, den geraden Weg der weißen Magie zu verlassen. Gibt es dazu Fragen?“

      Semiras Hand schoss in die Höhe. „Gibt es noch weitere Schulen?“

      Der Lehrer sah sie abschätzig an, bevor er sich zu einer Antwort herab ließ: „Es gibt kleinere Schulen, oft nur von einzelnen Zauberern unterhalten. Ein typisches Beispiel ist jene von Magister Farnion in Chur. Er hält sich an den Codex Alburium der Weißen Gilde, aber mit einer fundierten Ausbildung könnt ihr dort nicht rechnen.“

      „Was ist mit den anderen Gilden?“, platzte Anja heraus.

      Magister Geron musterte sie unwillig. Sein Blick wanderte zum Fenster und es schien, als wollte er das Thema vermeiden. Plötzlich wandte er sich wieder den Schülern zu und in seinen Augen flackerte ein wildes Feuer. „Ihr wollt wissen, was mit den anderen Gilden ist! Das kann ich euch sagen: Die Grauen betreiben zwei unbedeutende Schulen. Ein geregelter Lehrbetrieb verträgt sich schlecht mit ihrem unsteten Wesen und der mangelnden Bereitschaft zur Disziplin. Windon beschäftigt sich mit Verständigung und Wachstum, und Rusin lehrt ‚Freie Forschung‘, was immer das heißen mag, sowie ein wenig Bann- und Schutzmagie. Nach eigener Definition verfolgt die graue Gilde einen Mittelweg zwischen ethisch korrekter Magieausübung und freier Lehre.“

      Semira verfolgte, wie sich der Lehrer in Rage redete. Sobald jemand das Gespräch auf die anderen Gilden brachte, war das vorhersehbar. Sie warf einen kurzen Seitenblick zur älteren Anja, die ihr Grinsen verschwörerisch erwiderte.

      „Ich würde es eher so formulieren, dass sie sich nicht dazu durchringen können – oder wollen – dem Irrweg der Schwarzen Magie gänzlich abzuschwören. Bei den Grauen geht es derart chaotisch zu, dass sie sogar eine ihrer Schulen vermissen, mitsamt der dazugehörigen Stadt.“

      Triumphierend glitt der Blick des Professors über die Schüler, deren fragende Blicke ihn zu näheren Ausführungen veranlassten. „Angeblich gab es eine dritte Graue Akademie. Schenkt man den spärlichen Aufzeichnungen Glauben in einer Stadt namens Ralland. Die Schule soll sich mit der Beeinflussung der Zeit beschäftigt haben, was zeigt, wie abwegig die Gedanken der Grauen sind. Die Zeit unterliegt ehernen göttlichen Gesetzen, in deren Gefüge der Mensch weder eingreifen kann noch darf.“

      Wieder beobachtete Magister Geron die Wirkung seiner Worte auf die gespannt lauschenden Schüler, und so manch einer schüttelte den Kopf über die Zustände bei den Grauen. Da heftete sich Gerons Blick auf Semira. Wieso schaut er immer mich so an?, dachte sie. Was hat er gegen mich? Sie hielt seinem Blick stand, bis er es war, der zwinkern musste.

      Unwirsch wandte er sich ab und fuhr fort. „Die Schulen der Schwarzen Gilde, falls dieser zerstrittene und nach eigenem Vorteil strebende Haufen überhaupt so genannt werden darf, wurden nach heftigen Auseinandersetzungen aus dem Kaiserreich verbannt. Zuflucht fanden die Verbrecher in den dekadenten Sklavenstädten des Nordens, wo sie heute die Reichen und Mächtigen stützen. Ihre Motive reichen von der Steigerung persönlicher Macht bis zur Gier nach Reichtum. Leider konnte sich die Obrigkeit nicht zu einem vollständigen Verbot durchringen, weshalb sich Schwarze Magier noch heute ungestraft im Reich bewegen dürfen. Angehörige der Weißen Gilde sind deshalb immer wieder Provokationen ausgesetzt. Ich möchte ausdrücklich betonen, dass im Umgang mit solchen Subjekten äußerste Vorsicht geboten ist.“

      Wann atmet er eigentlich, fragte sich Semira, während Magister Geron in seiner Predigt gegen die dunkle Magie aufging.

      „Trotz ihrer Skrupellosigkeit – oder vielmehr gerade deswegen – sind die Schwarzen einem aufrechten und selbstsicheren Weißmagier nicht gewachsen, sofern er die Kraft der Götter hinter sich weiß und aus innerer Überzeugung für das Gute eintritt. Das jüngste Beispiel dieser intellektuellen Überlegenheit lieferte Magister Fion Enartion, als er beim magischen Duell seinen Gegenspieler nicht nur klar besiegte, sondern regelrecht deklassierte.“

      Ein Raunen ging durch die Klasse. Viele hatten von den legendären magischen Duellen schon gehört, aber kaum