Sünden von einst. Elisa Scheer

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Название Sünden von einst
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737562799



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keinen Grund, oder?“

      „Meinst du?“ Sie grinste schon wieder. Mit ihrem Lausbubenmund und den funkelnden blauen Augen sah sie einfach entzückend aus.

      „Weißt du was, was ich nicht weiß?“ Nathalie hörte öfter mal das Gras wachsen, und ich kriegte öfter mal was nicht mit, das war schon immer so gewesen. „Nein. Nur dass er ein unangenehmer Kerl war. Wenn er sich schon als Rabenvater aufgespielt hat, glaubst du, er war als Chef und Geschäftspartner angenehmer? Oder als Nachbar? Vielleicht war der Kerl, den du gesehen hast, einer aus der Nachbarschaft und Vater hatte sich beschwert, weil dessen Kinder es gewagt haben, beim Spielen zu lachen oder so. Erinnerst du dich noch an diese geheiligte Mittagsruhe?“

      „Ungern“, wehrte ich ab und bestellte Wurstsalat und ein großes Wasser. Von eins bis vier hatten wir uns absolut ruhig zu verhalten, egal, ob er im Haus war oder nicht. Stilles Lernen war angesagt; telefonieren, Musik hören, fernsehen, spielen – das war alles streng verboten, und Frau Zittels Vorgängerin (ebenso ein Besen) wachte streng über die Einhaltung und darüber, dass wir unsere Zimmer nicht verließen. Ja, wenn das seine Vorstellungen von Pädagogik waren, konnte ich mir vorstellen, dass ein junger Familienvater austickte.

      Familienvater... ein irgendwie störender Gedanke. Wieso das denn nun?

      „Aber gegrinst habe ich eigentlich, weil du so nett von diesem geheimnisvollen Unbekannten abgelenkt hast. Gaanz unauffällig. Nina, du musst noch viel üben.“

      „Was soll das heißen?“, fragte ich missvergnügt. „Wieso abgelenkt?“

      „Ich denke mal, du hast doch mehr gesehen als du gesagt hast, aber aus irgendeinem Grund willst du es nicht sagen... war er niedlich?“

      „Keine Ahnung“, fauchte ich, „ich hab ihn wirklich nicht länger als einen Moment gesehen, und er war ziemlich grün im Gesicht. Du hörst wieder mal das Gras wachsen.“

      „Wenn ich das Gras wachsen höre, wächst es im Allgemeinen auch“, entgegnete Nathalie und verzog ihren Lausbubenmund vergnügt.

      „Pietätloses Weib“, brummte ich, aber dieser Tiefschlag funktionierte auch nicht. „Weil du so ernsthaft trauerst, ja? Wir sollten selbst mal mit diesem Kastner sprechen, was Vater eigentlich so getrieben hat. War das Arbeitszimmer eigentlich durchwühlt oder so? Ich war ja nicht mal im Haus.“

      „Ist mir nicht aufgefallen, aber ich hab auch fast sofort gesehen, dass er – naja, also, dass er -“

      „- tot war. Sorry, ihn zu finden war wohl schon ziemlich hart, oder?“

      Ich nickte. „Komisch, er war´s natürlich, aber er hat schon ganz anders gewirkt. Unwirklich irgendwie – ach, ich kann´s nicht erklären. Jedenfalls hab ich mich kaum umgeschaut. Aber ich musste um den Schreibtisch herum, weil sein Gesicht – naja. Und ich bin eigentlich nicht über Bücher oder ausgeleerte Schubladen oder so was gestolpert. Wenn da einer was gesucht hat, dann diskret.“

      Nathalie nickte nachdenklich.

      „Bloß was?“, fuhr ich fort. „Man könnte ja meinen, er hätte was mit Geheimdienst und Wirtschaftsverbrechen und so zu tun gehabt.“

      „Weiß man´s?“, fragte Nathalie. „Nina, seien wir doch mal ehrlich, wir wissen überhaupt nichts über ihn. Wir kennen bloß diese dämlichen Besuche im Arbeitszimmer, sonst nichts, er könnte hundert ukrainische Zwangsprostituierte im oberen Stock haben und wir wüssten es nicht.“

      Ich legte den Kopf schief. „Und Frau Zittel als Puffmutter?“

      „Okay, das übersteigt meine Phantasie. Na gut, er könnte Giftgas nach Libyen oder Plutonium in den Iran oder sonst was exportiert haben. Russenmafia, Triaden, was weiß ich.“

      „Ich möchte nicht wissen, was du dir so im Fernsehen reinziehst“, stöhnte ich. „Ist ja grausig! Nathalie, er war ein stinknormaler Langweiler und als Vater ein Totalausfall, mehr war da nicht.“

      „Nicht mal ein bisschen Aktienschwindel?“, fragte sie hoffnungsvoll.

      „Ach komm, das wäre beim Verkauf doch wohl rausgekommen, oder? Selbst wenn er uns nichts erzählt hat, hätten wir´s doch erfahren, wir sind doch beide in der Branche.“ Sie seufzte bedauernd und ich musste mir vor Augen halten, dass sie gerade erst zweiundzwanzig geworden war. In dem Alter wünschte man sich wohl ein aufregendes Leben, aber mit dreißig...? Gotteswillen!

      Andererseits war sie sonst die Nüchternere von uns beiden, sie hatte sich auch immer viel weniger über Vaters Allüren aufgeregt als ich. Na, das Thema dürfte jetzt ja wohl vom Tisch sein. „Wenn er in nichts verwickelt war, wieso sollte ihn dann jemand umgebracht haben?“, fragte Nathalie, und da hatte sie leider nicht so ganz Unrecht. „Ich weiß es doch auch nicht“, seufzte ich. „Und ich will jetzt was zu essen haben. Vielleicht wissen die morgen ja schon mehr.“

      „Glaubst du das?“, wollte Nathalie wissen.

      Nein. Vor allem nicht, wenn ich den schwarzen BMW und dieses Zuckerschnäuzchen unterschlug.

       6

      Sie wussten auch tatsächlich nicht viel Neues, als wir wie aufgefordert am Samstagmittag im Präsidium auftauchten und uns neugierig umsahen. Alles lief ab wie aus dem Fernsehen bekannt, nur die Räumlichkeiten waren schicker als bei Derrick, aber nicht halb so neuzeitlich wie bei Siska. Etwa wie bei Soko Leipzig. Die Gespräche (wir wurden sofort getrennt) wurden aufgezeichnet und ergaben eigentlich gar nichts.

      Wir wussten nicht mehr über Vater und Mutter als gestern; ich behauptete weiterhin, nicht mehr über den Unbekannten zu wissen, und hatte allmählich das Gefühl, dass man seine Existenz anzweifelte. Ich konnte ihn ja auch gut erfunden haben, um zu erklären, wie ich ohne Schlüssel ins Haus gelangt war. Vielleicht hatte ich in Wahrheit ja einen Schlüssel und war schon vorher aufgetaucht, um meinen unsympathischen Erzeuger zu ermorden? Die Waffe hätte ich in aller Ruhe entsorgt und dann mit hysterischem Unterton die Polizei gerufen... Solche Gedanken gingen diesem jungen Knackarsch – Grünbauer hieß er - garantiert durch den Kopf!

      Ich hätte vielleicht doch eine bessere Beschreibung abgeben sollen – aber was wusste ich denn wirklich? Nur an den entzückenden Mund konnte ich mich erinnern. Ansonsten sah der Typ bestimmt besser aus, wenn er nicht so kotzgrün im Gesicht war. Nein, für ein Fahndungsfoto reichte das garantiert nicht. Natürlich war da noch das Auto, wenn es denn seins war. Sicher, ich hätte von dem BMW reden sollen... aber jetzt? Wie sollte ich ihn denn jetzt noch ins Spiel bringen? Ach übrigens, da war doch gestern noch so ein Wagen vor der Tür... Und wieso fällt Ihnen das jetzt erst ein? Ja, äh – hm.

      Eben. Lieber nicht, die würden das ja wohl auch gerade noch so rauskriegen. Mussten die nicht auch die Nachbarn befragen? Ich erkundigte mich.

      „Natürlich“, antwortete Grünbauer. „Aber die Grundstücke sind ja leider recht groß, ob da jemand etwas gesehen hat... Kennen Sie die Nachbarn?“

      Ich zuckte die Achseln, was mir sofort einen Tadel einbrachte: „Bitte laut und deutlich, das Gerät kann nicht sehen.“

      „Ich weiß es nicht“, antwortete ich also laut und deutlich, „ich weiß nur, wer vor etwa zwölf Jahren links und rechts gewohnt hat. Aber ob das noch die gleichen Leute sind... Links waren es Dangels, ein älteres Ehepaar, mit denen Vater meistens verkracht war. Wegen so elementarer Probleme wie Löwenzahnsamen und Höhe der Hecke. Und rechts... das waren die Richards. Die fand ich als Teenie ganz toll, die hatten zwei kleine Kinder, ganz niedliche, und wirkten immer so vergnügt. Aber die haben sich absolut nicht um uns gekümmert, und um das Gekeife von Vater und Frau Rutz wegen des Kinderlärms schon gar nicht.“

      „Frau Rutz?“

      „Das war die Haushälterin vor Frau Zittel. Die konnte Nathalie und mich nicht leiden, weil wir immer nur Krach und Schmutz gemacht haben und ab und zu was zu essen wollten. Blöde alte Schnepfe.“

      „Nach einer schönen Kindheit klingt das nicht gerade.“ Hatte er das mitfühlend oder lauernd gesagt? Mitgefühl brauchte