Sünden von einst. Elisa Scheer

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Название Sünden von einst
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737562799



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Gier nach seiner Villa im Monat davor – als ob ich mich nach einem schwarz getäfelten Mausoleum verzehrte! Und davor... wenn mich nicht alles täuschte, sein Wehklagen darüber, dass er seinen einzigen Sohn verloren hatte und nur nutzloses Weibsvolk übrig geblieben war.

      Immer das Gleiche: ein halbstündiger Vortrag, ich dachte an etwas anderes und sagte an den richtigen Stellen Ja, Vater, dann fragte er, ob ich dazu nichts zu sagen hätte, ich sagte Nein, Vater und wurde des Hauses verwiesen. Draußen pflegte ich erst einmal tief einzuatmen: frische Luft! Warum machte ich das eigentlich immer noch mit? Aus Mitleid, weil er ein einsamer alter Mann war?

      Ach was, er war ein alter Arsch, wenn ich ehrlich war. Und Nathalie würde mir da sofort zustimmen. Und auf jeden Fall war er es nicht wert, dass ich mir seinetwegen noch die Nacht um die Ohren schlug. Ich fegte die Karte vom Tisch, zog mich aus, ließ meine Klamotten auf dem Weg zum Bad fallen und machte mich bettfertig.

       2

      Sobald die Konferenz überstanden war, schickte ich Nathalie eine E-Mail, dass sie mich sofort anrufen sollte. Ich war noch dabei, meine Notizen von der Konferenz in einen Online-Ordner zu übertragen, schließlich betraf mich die Konzeption einer neuen Ratgeber-Reihe auch, wenn auch nur im Hinblick auf die Finanzierung, als sie anrief. „Was gibt´s denn? Ich hab in zehn Minuten eine total wichtige Übung. Stochastik II.“

      Klang ja oberwichtig, aber leider wusste ich noch, was Stochastik war, ich hatte auch mal in Mathe Abitur gemacht. Entsprechend wenig war ich beeindruckt. „Schaffst du schon noch. Hat unser Erzeuger dich auch einbestellt?“

      „Nö, warum – dich?“

      „Ja, für heute. Mist, wir wollten doch in den Wittelsbacher Garten gehen.“

      „Na und? Gehen wir eben eine halbe Stunde später. Länger als eine halbe Stunde dauern seine Vorträge doch eh nie. Was will er denn?“

      „Keine Ahnung. Enterbung? Vorwürfe, weil wir Töchter sind? Allgemeiner Undank?“

      „Gejammer wegen der Rezession“, schlug Nathalie vor und lachte spöttisch. „Vielleicht ist er pleite und will das Geld von damals zurück.“

      „Das kann er vergessen“, antwortete ich, „erst abspeisen und dann wiederhaben wollen? Kommt gar nicht in Frage. Okay, treffen wir uns um sieben im Biergarten, ja? Am Brotzeithäusl, wie immer.“

      „Super. Ich muss dir den Hardy vorführen, der gefällt dir bestimmt auch.“

      „Ich weiß nicht – wenn einer schon Hardy heißt... Na gut, troll dich in deine megawichtige Übung und denk dran, keine Wahrscheinlichkeit über eins!“

      „Peanuts! Also, ciao.“

      Ich wandte mich wieder der Konzeption zu und überschlug den Finanzbedarf. Bei der gegenwärtigen Wirtschaftslage sollten wir das Anzeigenaufkommen wohl lieber etwas bescheidener kalkulieren...

      Ein perfekt in dunkelgraues Kammgarn gekleidetes Bein baumelte plötzlich von meiner Tischkante. „Na, schon in Wochenendstimmung?“

      Ich sah auf und musterte das dazugehörige Gesicht streng: Max schon wieder! „Kaum“, entgegnete ich dann so kalt ich konnte. Jetzt bloß nicht lachen, sonst kriegte er wieder Oberwasser!

      „Warum so deprimiert, an einem strahlend schönen Freitag?“ Er grinste auf mich herunter, selbstsicher und von seiner Wirkung überzeugt. Er war ja auch ein netter Kerl, aber ein Hallodri. Und verheiratet. Da halfen die schönsten weißen Zähne, die nettesten Grübchen und der schickste Haarschnitt nichts. Und das graue Kammgarn auch nicht, obwohl ich durchaus Sinn für gut gekleidete Männer hatte.

      „Ich bin nicht deprimiert, ich habe zu arbeiten. Das kennst du nicht, das bedeutet, dass man das tut, wofür man eigentlich bezahlt wird. Oder hat man dich nur eingestellt, um die Belegschaft bei Laune zu halten?“

      „Die weibliche Belegschaft“, verbesserte er zwinkernd, „oder hast du mich schon mal bei Mayring auf dem Schreibtisch sitzen gesehen?“

      „Nein. Der Glückliche, der muss auch nie seine Unterlagen wieder glattstreichen. Du sitzt auf meinem Finanzplan, geh da mal runter.“

      Er hob lediglich einen Oberschenkel an und ließ mich das Blatt herausziehen. Immerhin gelang es mir, ohne ihn dabei zu berühren. Er guckte enttäuscht.

      „Du bist lieblos“, klagte er dann und rutschte von der Tischplatte. Ich fing die Maus ein, die mitrutschen wollte und sah ihn dann großäugig an. „Wieso? Wenn ich jemanden liebe, bin ich nicht lieblos – aber bei dir?“

      „Herzloses Biest“, grinste er und schlenderte davon – hoffentlich zu seinem eigenen Schreibtisch, denn heute Nachmittag hatten wir beide mit Mayring noch ein anderes Projekt zu bearbeiten, und wenn er seinen Teil nicht erledigt hatte, gerieten wir ernsthaft in Verzug. Nein, das war unfair, Max Körner baggerte zwar als Pausenvergnügen herum, aber seine Arbeit machte er, wenn mir auch ein Rätsel war, wann.

      Jetzt ging er Karin auf die Nerven, ich hörte sie vom anderen Ende des Raums abwehrend lachen. Und bei ihr saß er nicht auf dem Schreibtisch: Sollte ich mich jetzt geschmeichelt fühlen, weil mir diese Ehre zuteil geworden war?

      Was ging mich dieser Depp an! Blödeln und arbeiten konnte man mit ihm ganz gut, und mehr wollte ich nicht von ihm, obwohl Karin mich manchmal so wissend ansah, wofür ich mich umgehend zu revanchieren pflegte.

      War ich wirklich lieblos? Blöde Frage, vor allem, wenn man eigentlich über die neuen Anzeigenpreise nachdenken sollte. Ich rechnete lustlos etwas herum, aber die Frage Wie können wir die Preise attraktiv senken und dabei mehr einnehmen als vorher? war ohnehin nicht so einfach lösbar. Leider wurde der Chef ziemlich böse, wenn wir allen Schwund auf die Wirtschaftslage schoben, also sollte ich mir wohl doch etwas einfallen lassen...

      Lieblos, so was Blödes! Zu Nathalie war ich nicht lieblos. Und zu – ja, zu wem denn noch? Bernie und Julia? Naja, manchmal schon, wenn Bernie wieder nichts geregelt kriegte und Julia ihr Hausfrauengetue übertrieb. Dafür nannten sie mich ja auch Streberin, so what?

      Wir konnten vielleicht an den Abo-Preisen etwas drehen... Ich schrieb eifrig, rechnete und entwarf dafür geeignete Bedingungen, schließlich wollten wir unsere kostbaren Seiten ja auch nicht verschenken.

      Lieblos? Wen liebte ich denn eigentlich? Nathalie eben, schließlich war sie ja meine kleine Schwester. Und sonst?

      „Haben Sie die Übersicht wegen der Steuersoftware gesehen?“

      Ich schob die Mappe in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war, ohne aufzusehen. Mayring eben.

      „Nein, die andere.“ Jetzt sah ich doch auf. „Welche andere?“

      „Na, wegen der Restposten vom letzten Jahr!“ Mayring sah mich strafend an. Ich fischte einen Zettel aus meinem Ablagekorb. „Hier. Hätte das nicht bis nachher Zeit gehabt?“

      Er schnaufte und wandte sich ab. Wie immer eben. Ich starrte ihm giftig hinterher und vertiefte mich dann wieder in meine Unterlagen. Vielleicht gestaffelt, ab zweimal pro Vierteljahr günstiger, ab viermal noch günstiger... Quatsch, einfach einen Daueraborabatt mit verlängerten Kündigungsfristen!

      Wen liebte ich außer Nathalie? Ja, wen sollte ich denn lieben? Unseren Vater womöglich? Der konnte uns doch auch nicht leiden! Und Mama – warum sollte ich ihr jetzt noch nachtrauern, sie war seit zwanzig Jahren tot, und meine vagen Erinnerungen bestanden mehr aus Jetzt nicht, Nina, du siehst doch, dass ich telefoniere und Kannst du denn nicht einmal alleine spielen? Ach ja, und Hörst du nicht, dass deine kleine Schwester schreit? An Geknuddeltwerden oder Ausflüge oder einfach nur mütterliches Getue konnte ich mich wirklich nicht erinnern. Der Bruder, dem unser Vater so nachzutrauern pflegte, war meinen eher vagen Erinnerungen nach etwa vier Jahre nach meiner Geburt tot zur Welt gekommen – und mehr Familie hatten wir nicht.

      Es gäbe natürlich immer noch Männer...

      Zum Lieben? Da lachten ja die Hühner!

      Obwohl,