Killertime. Charlie Meyer

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Название Killertime
Автор произведения Charlie Meyer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738001198



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waren doch auch da.«

      Ein Hauch von Aufsässigkeit schwang in seiner Stimme mit, und plötzlich wusste ich auch, an wen er mich erinnerte: Decksmann Piet. Bremersson war längst nicht so schüchtern und unterwürfig, wie er den Anschein zu erwecken versuchte. Beide gaben sich alle Mühe, einen mit ihrem devoten Gehabe einzulullen, während hinter der Fassade Unzufriedenheit und Frust leise vor sich hinköchelten.

      »Ich? Ach du meine Güte, ich habe nur Schwärme dicker fetter Schmeißfliegen gesehen. Sie sind der Polizist. Also los.«

      »Ich … ich kann das nicht, tut mir leid.«

      »Moment mal. Wir sprechen hier von einem brutalen Doppelmord. Sie sind Polizist, Sie waren am Tatort, Sie sind den Opfern und den Eltern der Opfer gegenüber verpflichtet, alles zu geben, um die Tat aufzuklären, und doch fühlen Sie sich nicht einmal in der Lage, mir Ihre Eindrücke vom Tatort zu schildern?« Ich lachte ungläubig, wippte mit dem Stuhl wieder nach vorn und wies auf die Tür. »Suchen Sie sich um Himmels willen einen anderen Beruf aus.«

      Bläulich angehauchte Röte stieg ihm aus dem weißen Kragen seines Uniformhemdes Hals und Wangen hoch. Er schnappte ein paar Mal nach Luft, ob aus Scham oder Wut vermochte ich nicht zu sagen. Doch meine Provokation wirkte, obgleich ich es nicht einmal provokant, sondern tatsächlich ernst gemeint hatte.

      Bremersson fing an zu reden. Schnell und verbissen.

      »Das Zelt war mit einem Messer aufgeschlitzt. Die Leichen lagen in der Mitte der Lichtung. Ihre … Ihre Genitalien waren weg. Ich meine, richtig weg. Es stank nach Verwesung, und von den Körpern stoben Schwärme von Schweißfliegen auf.«

      Ich lehnte mich wieder zurück, schloss die Augen und hörte einfach nur zu.

      Seine Stimme klang gepresst, und jedes seiner Worte verursachte ihm Unwohlsein, was mich nicht wunderte. Gleichzeitig schummelte sich nach einer Weile ein Hauch von Erregung dazu, den ich als Ausdruck unterschwelligen Voyeurismus wertete. Die Art, die Autofahrer bewegt, schreckliche Unfallstellen im Schritttempo zu passieren, obgleich ihnen das Grauen schon im Nacken hockt.

      Es gibt unterschiedliche Beweggründe, zur Polizei zu gehen: Macht ausüben, Verbrechen aufklären, die Welt besser machen, irgendetwas tun müssen, um seine Miete zu bezahlen, grausige Dinge zu sehen bekommen, die anderen verwehrt bleiben und noch Dutzend anderer Gründe. Was Bremersson bewogen haben mochte, konnte ich nicht sagen, mein Bauchgefühl tendierte allerdings zu einer Fehlentscheidung in seiner Berufswahl, und das lag nicht an der ersten Antwort auf meine Frage.

      Auf der anderen Seite war er ein junger Mann, der sich die Ecken erst noch abscheuern musste. All zu viele Leichen hatte er bestimmt noch nicht gesehen, und wenn, dann klemmten sie in irgendwelchen Autowracks. Mit Sicherheit war er gestern nach Hause gegangen und hatte seinen Freunden oder seiner Freundin von all den grausigen Dingen auf der Lichtung erzählt.

      »Weiter. Wonach sah es aus? War der Täter wütend?«

      h wandte mich um, vermied aber den Blickkontakt und beobachtete stattdessen eine Spinne, die sich von der Deckenlampe abseilte und vielleicht noch zehn Zentimeter bis zu seinem roten Schopf brauchte.

      Er dachte einen Moment lang schweigend nach.

      »Nein, ich glaubte nicht. Keine Wut, sondern nur kalte Berechnung. Er muss den Ablauf akribisch geplant haben. Zelt aufschlitzen, Mann bewusstlos geschlagen. Dann ist er nach vorn, hat ihn an den Beinen herausgezerrt, in der Mitte der Lichtung festgebunden und dann …«, er schluckte, »… hat er ihn verstümmelt und getötet.«

      »Und das Mädchen?«

      Die Spinne landete dicht neben seinem Scheitel, kappte ihr Seil und verschwand im Rot seiner Haare.

      »Der Mörder muss auf der Lauer gelegen haben. Er hat gewartet, bis die Kleine das Zelt verlassen hat, um … na ja, Sie wissen schon.«

      »Pipi machen zu gehen? Sind Sie nicht mit Schwestern aufgewachsen?«

      »Doch zwei, aber ich meine, na ja, wir haben nie im Zelt übernachtet. Oder im Wald. Wenn eine von ihnen … Pipi machen musste, ist sie in eins der Badezimmer gegangen.«

      In eins der Badezimmer? Wie viele Badezimmer nannte seine Familie denn ihr eigen? Drei? Vier?

      »Okay. Er verstümmelt und tötet also den Mann, während das Mädchen irgendwo hinter einem Baum hockt. Und dann?«

      Ich deutete auf den Stuhl vor meinem Schreibtisch und Bremersson setzte sich, wobei er gewissermaßen wieder in sich zusammenfiel. Die Schultern sackten nach vorn, er beugte sich vor, stützte sich mit den Unterarmen auf den Oberschenkeln auf und faltete zwischen den Knien seine Hände. Sein Blick fokussierte sich auf den Stapel Ausdrucke, der vor mir auf dem Schreibtisch lag, als er stockend weitersprach.

      »Dann holt er sich das Mädchen und bringt es ebenfalls um, aber möglicherweise hat er dabei weniger Spaß als bei dem Mann.«

      Ich starrte ihn überrascht an, bekam aber keinen Blickkontakt. »Warum? Er nimmt sich alle Zeit der Welt, er quält sie und weidet sich an ihren Schmerzen. Warum sollte es ihm weniger Spaß machen als bei dem Mann?«

      »Es sieht keiner zu. Als er den Mann quälte und tötete, hat wahrscheinlich die Frau zugesehen. Jetzt quält er die Frau, aber der Mann kann nicht zusehen, weil er schon tot ist.«

      Ich war wider Willen beeindruckt darüber, dass er dieselben Schlussfolgerungen zog wie ich selbst, und fragte mich erneut, was ich hier eigentlich sollte. Wenn schon Polizeianwärter Profile erstellen konnten, wozu brauchten sie dann mich. Die Antwort war simpel. Für nichts, außer natürlich Maik Willem, der meinen fragwürdigen Ruf als Entlarver eines Kindermörders als Sprungbrett benötigte.

      »Okay, eine interessante Annahme. Wie kommen Sie darauf, dass er die Morde geplant hat. Vielleicht stieß er ganz zufällig auf das Liebespaar am See?«

      Bremersson runzelte die Stirn und sah mich an wie den letzten Vollidioten.

      »Irgendetwas muss er geplant haben. Er hatte Angelschnur, Zeltheringe und ein Rasiermesser oder so etwas dabei.«

      »Dieser Waldsee liegt sehr abseits. Ich schwimme dort ab und zu. Vielleicht einmal in der Woche, aber gesehen habe ich dort nur zweimal jemanden. Das erste Mal einen Pilzsammler, der sich verlaufen hatte, das zweite Mal einen Förster auf der Suche nach einer angeschossenen Bache.« Ich kratzte mich nachdenklich am Kopf. »Der Mörder muss den beiden gefolgt sein, aber wie haben die den See gefunden?«

      »Der rumänische Junge und seine Mutter waren doch auch da.«

      Das stimmte natürlich. So wie es aussah, war der See ganz plötzlich in den Mittelpunkt des allgemeinen Interesses gerückt.

      »Sie haben irgendwelche Beeren gesucht und sind wohl eher zufällig dort gelandet. Die Opfer haben dort aber gezielt gezeltet. Einer von ihnen muss das Gelände gekannt haben. Würden Sie für mich ein paar Dinge recherchieren?«

      »Was denn?«

      »Ich möchte alles über den Wald wissen, den See, die Zuwegung, die Dörfer ringsherum. Internet, Facebook, Twitter, alles, was Sie an Einträgen finden.«

      Der rothaarige Polizeianwärter schaute skeptisch aus der Wäsche.

      »Ich kenne ja nicht mal den Namen dieses verdammten Teichs. Falls er überhaupt einen hat.«

      »Finden Sie’s raus. Man hat in der Nähe des Tatortes kein verwaistes Auto gefunden und keine Reifenspuren. Die Opfer werden wohl kaum ihre Campingsachen getragen haben. Wie sind sie dorthin gekommen, wo sie getötet wurden. Wie ist der Täter an den See gelangt?« Ich stand auf und streckte mich. »Okay, das sind Ihre Hausaufgaben für morgen. Punkt zwei in dieser Besenkammer, und ich will Resultate sehen.« Ich stockte. »Natürlich nur, wenn Ihr Chef Sie nicht dringender braucht.«

      »Nein, nein, schon okay«, log er tapfer und sah enttäuscht aus, während sein Blick, aus dem die Hoffnung schon fast verschwunden war, meinen Stapel Computerausdrucke streifte. Sein Chef würde nicht begeistert sein, er kam mit leeren Händen zurück. »Hier ist ja nicht viel los außer gelegentlich einem Einbruch