Название | Vom Hohen und Tiefen und dem Taumel dazwischen |
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Автор произведения | E. K. Busch |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783738078640 |
Lorenz schien eine sichtliche Freude daran zu haben, Elena mit seinen Einwänden aus dem Konzept zu bringen. Dabei schien er nicht einmal eine eigene Meinung zu vertreten. Er suchte lediglich nach logischen wie moralischen Ungereimtheiten und ging dabei ebenso spitzfindig wie unnachgiebig vor. Bald schon begann sich eine tiefe Furche in Elenas Stirn zu graben.
Offensichtlich war es Lorenz' Art, die Leute gegen sich aufzubringen. Er gewann nicht gerade an Sympathiepunkten dadurch und Toni wandte sich nun vollends ab von dieser leidigen Unterhaltung. Auch weil gerade ein Lied aus den Lautsprechern drang, das sie wirklich mochte. Sie kannte weder den Titel noch den Interpreten und im Grunde war es auch gar nichts Besonderes, hätte es da nicht diesen treibenden Rhythmus gegeben und diesen einen Tonwechsel im Refrain.
Sie hatte sich einen Platz in der Nähe des knisternd-pulsierenden Lautsprechers gesucht und summte unmerklich die anspruchslose aber eingängige Melodie. Ihr Blick galt ihren eignen Füßen und einigen neonfarbenen Strohhalmen, die auf den Boden gefallen waren und nun dalagen auf den schmutzigen Fliesen wie ein vergessenes Mikadospiel. Die Unordnung bereitete Toni Unbehagen und so bückte sie sich nach kurzem Zögern, um die Strohhalme aufzulesen. Sie war gerade dabei, auch den letzten unter dem Tisch hervorzuziehen, als ein fremder Fuß in das Bild rückte. Sie sah irritiert auf und blickte darauf ihn Lorenz' Gesicht. Zögerlich erhob sie sich und legte die Strohhalme ein wenig beschämt auf eine Fensterbank zu ein paar halbvollen und herrenlosen Plastikbechern.
Er bemerkte ungerührt: «Elena hat mir gerade erzählt, dass du ein Faible für schlechten Retro-Pop hast.»
Elena setzte im Hintergrund ein scheinheiliges Lächeln auf, grinste dann breit und liebenswert.
«Da ist diese eine Stelle, die wirklich gut ist.» Toni senkte ein wenig verlegen den Blick.
Lorenz wollte gerade etwas einwenden, als sie ihm zaghaft mit einem Handzeichen zu schweigen hieß. Er sah sie belustigt an, hielt jedoch tatsächlich einen Moment inne.
«Jetzt gleich», sagte sie. Als der Tonwechsel zu hören war, gab sie ihm ein unverkennbares Zeichen.
Er ließ sie die ganze Zeit über nicht aus den Augen, hob dann belustigt die Augenbraue. «Ich weiß jedenfalls, welche Stelle du meinst», bemerkte er. «Obwohl es ansonsten nicht gerade ein musikalisches Meisterwerk ist.»
Das Lied verklang leise im Hintergrund. Ein billiger Fade-Out.
«Ich mag es trotzdem», erwiderte Toni und bemerkte, dass sie in ihrer einen Hand noch immer ein paar Strohhalme hielt. Sie legte sie eilig zu den anderen.
«Es ehrt dich jedenfalls, dass du deine Geschmacksverfehlungen so freimütig zugibst. Elena hier zum Beispiel wollte mir gerade ernsthaft weismachen, dass sie daheim nur Klassik hört. Mozart, Beethoven und Konsorten.» Er grinste breit, während Elena aufgebracht einwandte, dass dies auch voll und ganz der Wahrheit entspräche. Er bräuchte nur Toni zu fragen.
Lorenz lachte auf und erst als Toni ihm mit einem Blick zu verstehen gab, dass ihre Mitbewohnerin es ganz ernst meinte, verstummte er zögerlich. Schließlich wechselte er das Thema.
«Ihr kennt doch dieses Märchen, oder? Von dem Kaiser, der sich ein prächtiges Seidengewand hat anfertigen lassen. Stolz spaziert es durch die ganze Stadt. Das Seidengewand aber ist dermaßen fein gewebt ist, das es niemand zu sehen vermag.»
Toni und Elena musterten ihn skeptisch.
«Ich muss jedenfalls sehr häufig an diese Geschichte denken, seit ich hier studiere.»
Einen Augenblick sagte keiner ein Wort, dann brach es unwirsch aus Elena hervor. «Was willst du damit sagen? Dass ich mich aufspielen will?»
Lorenz schüttelte den Kopf. «Nach unserer fünfminütigen Bekanntheit bin ich sicherlich nicht in der Position, dir irgendetwas zu unterstellen.»
Sie beäugte ihn trotz seines Lächelns misstrauisch, als glaube sie ihm kein Wort, und da setzte er auch schon hinzu: «Ich habe lediglich das Gefühl, dass einige Leute in dieser Stadt gar nicht mehr wissen, was sie mögen oder wollen, weil sie viel zu viel darüber nachdenken, ob sie es auch mögen oder wollen sollten. Und das ist ein bisschen wie in diesem Märchen, in dem die Leute zwar einen nackten Kaiser vor sich sehen, aber ihrem eigenen Urteil nicht trauen.»
Es herrschte ein frostiges Schweigen, dann hob Elena übertrieben gleichmütig die Schultern. Sie war noch immer eingeschnappt, auch wenn sie es sich nicht anmerken lassen wollte. Zögerlich schüttelte sie den Kopf, als wäre die ganze Unterhaltung völlig unsinnig. Dann schenkte sie Lorenz einen hochnäsigen Blick und meinte, dass sie sich jetzt nach Frida umsehen würde. Schon war sie verschwunden.
Einen Augenblick herrschte Schweigen.
«Vermutlich habe ich es mir jetzt endgültig mit ihr verscherzt, oder nicht?», erklärte Lorenz nachdenklich und runzelte die Stirn. «Sie war mir in ihrem hitzigen Temperament ja durchaus sympathisch.»
Toni starrte ihn ausdruckslos an. «Deine Bemerkung hätte wohl jeder als Provokation verstanden.»
«Als Provokation?»
Sie schüttelte den Kopf. «Du bist doch schon den gesamten Abend auf Konfrontationskurs. Angefangen mit diesem Klavierspieler.»
«Wenn ich auf Konfrontationskurs bin, ist es noch einmal anders.» Sein Lächeln ließ nicht erkennen, ob er es ernst meinte oder nicht.
«Jedenfalls brauchst du dich nicht wundern, wenn dir die Leute aus dem Weg gehen. Niemand mag es, wenn man sich über ihn amüsiert.»
Lorenz musterte sie einen Moment, dann erwiderte er ernst: «Es ist nicht meine Absicht, mich über die Leute zu amüsieren. - Aber sie lassen mir wohl keine Wahl, wenn sie sich dermaßen albern aufführen.» Ein spöttischer Ausdruck spielte um seine Mundwinkel.
«Was heißt schon albern?», erwiderte Toni missbilligend. «Glaub' doch nicht, dass du dich nicht genauso albern aufführst. Es ist nur niemand da, der es dir mit dieser bösartigen Freude vor Augen führt.»
Lorenz schien kurz nachzudenken, schüttelte dann den Kopf. «Das stimmt doch nicht, Toni. Du und ich würden uns niemals so aufführen. Weil wir uns selbst schon gar nicht so ernst nehmen.»
Sie verzog das Gesicht.«Du kennst mich überhaupt nicht. Wieso glaubst du also, das beurteilen zu können?» Dann blickte sie auf ihre Armbanduhr. «Ich werde jetzt nach Hause gehen», sagte sie und ließ ihn stehen.
II
Sie verabschiedete sich mit einer flüchtigen Umarmung von Frida und winkte kurz auch deren Freunden zu, die sie nicht näher kannte. Dann suchte sie Elena. Sie fand sie auf der Armlehne von Raphaels Ohrensessel, wo sie bereits zu Beginn der Party gesessen hatte. Der zweite Sessel war inzwischen verschwunden. Vermutlich hatte man ihn in einen andern Raum geschleppt.
Elena und Raphael schienen tief im Gespräch versunken. Toni zögerte noch einen Augenblick, wollte die beiden nicht unterbrechen. Doch da verstummte man bereits.
«Und? Magst du dich noch ein bisschen zu uns setzen? Da hinten steht noch ein freier Hocker.» Elenas Ton war herzlich , fast schon zu herzlich.
Toni schüttelte den Kopf. «Ich spiele eher mit dem Gedanken, heim zu gehen.» Sie hatte es freundlich ausdrücken wollen, doch der Satz war ihr dennoch ein wenig forsch über die Lippen gekommen.
Elena nickte Raphael entschuldigend zu und trat für einen Augenblick mit Toni beiseite in den Schatten einer vertrockneten Zimmerpflanze. Die Blätter waren gelb und spitz und stachen in Tonis Unterarme. Sie kam sich vor wie in einer albernen Komödie und drückte die Pflanze ärgerlich beiseite.
«Eigentlich würde ich gerne noch eine Weile bleiben, jetzt wo Raphael und ich uns gerade