Luca - Zwischen Nichts und Allem. Billy Remie

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Название Luca - Zwischen Nichts und Allem
Автор произведения Billy Remie
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742727954



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unter seinem Lächeln warm glühte, als hätte ich einen Schluck Alkohol genommen.

      Schließlich sah er sich das Blatt noch einmal an und seufzte schwer. »Gut, ich lass es durchgehen.«

      »Echt jetzt?« Ich war überrascht.

      Er schmunzelte wieder. »Echt jetzt«, äffte er mich nach, und ich grinste breit.

      »Dann mach jetzt die anderen.«

      Mein Lächeln verschwand. »Wie?«

      »Die Hausaufgaben für die anderen Fächer«, erklärte er mir. »Deutsch. Mathe. Los, setz dich dran. Und mach auch die, die du für Morgen brauchst.«

      »Die kann ich doch zu Hause machen!«, warf ich ein. »Sport ist übrigens auch wichtig!«

      Er musterte mich plötzlich. Was sollte dieser grübelnde Blick bedeuten? War ich ihm nicht sportlich genug? Nicht muskulös genug?

      »Ich mache gerne Sport!«, protestierte ich und verschränkte trotzig die Arme vor der Brust. Mein herausfordernder Blick sprühte Blitze zu ihm rauf.

      Mr. Olsson lächelte nachsichtig. »Gewiss. Aber das Vergnügen kommt nach der Arbeit.«

      So einer ist er also. Das ist ja langweilig … und enttäuschend.

      »Außerdem wissen wir beide, dass du zu Hause gar nichts machen wirst. Jetzt setz dich ran, dann kannst du die zweite Stunde vielleicht noch mitmachen.«

      Er wurde abgelenkt, weil sich zwei meiner Mitschüler wegen eines angeblichen Fouls rauften. Ich sah ihm böse nach, gehorchte aber und ging wieder zurück an meinem Platz.

      Ich wollte mich natürlich beeilen, doch bereits bei Deutsch verzweifelte ich. Wir sollten eine Personenbeschreibung formulieren. Doch es frustrierte mich zunehmend, dass ich die Schreibweise der Wörter, die ich in meinem Kopf hatte, nicht kannte, dass ich es sein ließ. Meine alte Deutsch-Lehrerin in der Grundschule sagte immer, ich hätte eine Rechtschreibschwäche. Keine Ahnung, was das ist, und ob sie recht hatte. Meine Mutter hatte dazu immer nur gesagt: »Ach so ein Quatsch, der Junge ist einfach nur faul.«

      Faul. Das war ich immer. Wenn mich jemand beschrieb, war ich immer nur der Faule. Insgeheim gefiel mir es nicht.

      Ich seufzte und setzte mich an Mathe. Da ich nicht aufgepasst hatte, kamen mir die Formeln vor, als würde ich versuchen, ägyptische Grabinschriften zu entziffern. Warum sind da so viele Buchstaben? Das ist doch Mathe, kein Deutsch!

      Verdammt. Ich schmiss den Bleistift hin und schlug die Stirn auf die Tischkante. »Ich bin so dumm«, klagte ich leise. Ich musste schniefen, weil mir meine geringe Intelligenz Tränen in die Augen trieb. Frusttränen. Schamtränen.

      »Klappt es nicht?«

      Mir gefror das Blut in den Adern zu Eis, als ich seine Stimme hörte. Schnell rieb ich meine Augen trocken und hob den Kopf.

      »Ich hab mich nur kurz ausgeruht«, gab ich zurück. Ich wollte mir keine Blöße geben, weder vor ihm noch vor sonst jemanden, nicht einmal vor mir. Ich wollte meine Gefühle unter einer eiskalten Schicht Coolness verbergen. Mir doch egal, ob ich es kann oder nicht. Mir ist einfach alles egal.

      Doch das stimmte nicht.

      »Woran liegts denn?« Er kam in den Raum, zog einen rollbaren Hocker von der Krankenliege zu mir herüber und setzte sich neben mich.

      Kaffee und Leder. Er roch wieder danach. Und er war mir so nahe, dass ich sehen konnte, wie die Stoppeln auf seinen Wangen nachwuchsen.

      »Ich bin nur müde«, log ich, als er sich zu mir hinüber über das Buch beugte. Jeder andere Schüler wäre vermutlich ausgewichen, wenigstens ein Stück. Ich nicht, ich blieb sitzen, und hätte mich am liebsten ihm entgegen gelehnt.

      Ob er mich auch roch? Was nahm er wohl wahr? Den Moschusgeruch meines Duschbades, die Amberhölzer mit Vanille meines Deos? Meinen Schweiß, der mir auf der Oberlippe stand?

      Roch er mich genauso gerne wie ich ihn?

      Mr. Olsson verzog unglücklich die Miene. »Mathe war auch nie meine Stärke.«

      Ich blinzelte ihn überrascht an. Konnte es wirklich sein, dass wir etwas gemeinsam hatten? Dass wir beide Mathenieten waren, die an der Supermarktkasse übers Ohr gehauen wurden? War ich doch nicht der einzige, der diese Hieroglyphen nicht entziffern konnte?

      »Lass mal sehen.« Er zog das Buch zu sich heran und grübelte, während er sich langsam über den langen Kinnbart strich.

      Er hat was von einem Piraten, ging es mir durch den Kopf. Seine Tattoos, sein lässiges Hemd, sein Bart, alles schrie nach Freibeuter. Ich wäre gern ein paar Monate allein mit ihm auf See. Dann, wenn sogar Delphine für ihn zu Meerjungfrauen wurden, würde ich bestimmt nicht von seiner Bettkante geworfen werden.

      »Du musst …«, er sah mich an und stockte, zuckte beinahe ein Stück zurück. »Hörst du zu?«

      Ich blinzelte meine Trance fort, denn sein Tonfall klang streng. »Sicher«, bestätigte ich, konnte meine Augen aber nicht von seinen losreißen.

      Er blickte mir noch einen Herzschlag lang unergründlich in die Augen, Gott weiß, was er in jener Sekunde dachte.

      Schließlich sah er auf die aufgeschlagene Buchseite hinab, als wäre nichts gewesen, während mir der Atem im Halse stecken geblieben war und mein Schwanz in der Hose wuchs.

      »Das wird so gemacht …«, begann er und versuchte, mir den Rechenweg zu erklären. Die ersten beiden Formeln rechnete er mir aus, um es mir deutlich zu zeigen. Ich konnte Dinge besser verstehen, wenn man sie mir vormachte, statt nur zu erklären. Und er war geduldig, obwohl ich anfangs zu schüchtern und beschämt war, Fragen zu stellen. Ich nickte einfach, wenn er nachhakte, ob ich es verstanden hätte, und gab mich trotzig, wenn er wollte, dass ich es ihm vor machte.

      Er wurde nicht wütend, auch nicht genervt, er sagte keine herabwürdigenden Dinge wie: »Das ist doch ganz einfach, Luca.« Sondern er verwendete Worte wie: »Du musst dich nicht schämen, ich habe mich viel dümmer angestellt als du.«

      Hatte er das? Vermutlich manipulierte er mich. Vielleicht aber auch nicht. Es bestand zumindest die Möglichkeit, dass wir etwas gemein hatten. Dass er wie ich war. Dass wir uns vermutlich zu seiner Schulzeit ganz ähnlich gewesen wären.

      Ich ließ mich darauf ein, dass er mir half. Und plötzlich war Sport auch nicht mehr so wichtig. Das hier war viel besser. So nahe würde ich ihm vermutlich nie mehr wieder kommen.

      Mathe war viel zu schnell erledigt.

      »Deutsch klappt auch nicht so«, sagte ich, meine Würde vergessend, weil ich wollte, dass er bei mir sitzen blieb.

      »Zeig mal«, forderte er mich auf.

      Und ich zeigte es ihm.

      Plötzlich verstand ich, was es mit der Relativitätstheorie auf sich hatte. Wir waren fast durch, aber es kam mir so vor, als hätte er sich gerade erst neben mich gesetzt.

      Verdammt, warum musste er denn auch mein Lehrer sein!

      Wobei, wenn ich ehrlich bin, machte dies einen Teil seiner Faszination aus.

      Ich wollte schlichtweg meinen Lehrer verführen.

      War es nicht seltsam, dass, wäre es anders herum, er sich strafbar machen würde, ich aber einfach so damit durchkam, weil ich der Schüler war. Ich könnte mich nackt in seine Umkleide stellen und auf ihn warten, ihn mit mir dort einsperren, ihn bedrängen, ohne von der Schule zu fliegen. Allerhöchstens würde ich einige ernste Gespräche über mich ergehen lassen müssen, aber ein Rausschmiss wäre erst dann fällig, wenn er sich wegen mir ernsthaft bedroht fühlte. Es brauchte deutlich mehr als einen einzigen Verführungsversuch meiner Seite aus, um eine echte Strafe heraufzubeschwören. Aber würde er es auch nur wagen, jetzt seine Hand ganz unschuldig auf mein Knie zu legen, wäre er der Perverse.

      Als mir die Vorstellung kam, starrte ich unwillkürlich