Luca - Zwischen Nichts und Allem. Billy Remie

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Название Luca - Zwischen Nichts und Allem
Автор произведения Billy Remie
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742727954



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einer gealterten Diva aus dem Raum.

      Echt empfindlich und zickig diese Heten, ehrlich.

      Obwohl, es hatte mal eine Zeit gegeben, da hatte Chris mich beschützt. Mehr oder weniger. Als er noch auf meine Schule ging, und ich mein Outing hatte – das ganz offizielle Outing – verbot er allen, mich deshalb zu verarschen. Aber, und das betonte er für mich ganz deutlich, nur weil es sein ganz eigenes Privileg als Bruder war, mich deshalb aufzuziehen.

      Ich hatte es ihm wohl zu verdanken, dass mir Sticheleien, Ignoranz und Hass nichts mehr ausmachten, weil ich durch ihn und seine Übergriffe abgehärtet worden war. Es kümmerte mich einfach nicht, falls und wenn sich irgendjemand einen Spruch über mich erlaubte. Schlimmer als Chris, der mich morgens weckte, indem er mir ins Gesicht rülpste, konnte es nicht werden.

      Als es dunkel geworden war, klingelte es an der Tür. Chris machte auf, ich ignorierte Besucher genauso kontinuierlich wie Anrufer. Wer was von mir wollte, konnte mich auf dem Handy erreichen.

      Ich vergaß in jenem Moment, dass ich es ja gar nicht hatte.

      Als es klingelte, stand ich am Fenster und rauchte. Nachdem er mir das Brot und die Pizza leergefuttert hatte, dachte ich, es wäre nur gerecht, ihm ein paar Kippen zu stibitzen, obwohl ich eigentlich nicht so der große Raucher war. Höchstens auf Partys und wenn mir wirklich sehr langweilig wurde, manchmal auch nach einem Orgasmus, je nachdem wie gut er sich angefühlt hatte. Ansonsten brauchte ich kein Nikotin, vielleicht war ich Suchtresistent. Nun rauchte ich rein aus Trotz, nicht etwa, weil ich es nötig hatte.

      Um so erstaunter war ich über die Türklingel, denn ich blickte von meinem Fenster aus direkt auf die Straße. Genau in jenem Moment beobachtete ich sogar einen Schatten, der gegenüber an einem Zaun lehnte und scheinbar zu mir hinauf starrte.

      Für mich war das nicht gruselig. Ich wusste nicht, ob es sich um einen Nachbarn handelte, jemanden, den ich kannte, aber ich fand es irgendwie prickelnd, dass mich er beobachten könnte.

      Ob der gesichtslose Schatten wusste, dass seine bloße Anwesenheit mich steif werden ließ? Ich hätte vor ihm gewichst, keine Frage, wenn ich sicher gewesen wäre, dass er mich deshalb anstarrte. Aber das Risiko war zu hoch, dass es sich nur um einen zu neugierigen Nachbarn handelte, der meiner Mutter davon erzählen würde, dass ich vor dem offenen Fenster wie ein Geisteskranker onanierte.

      Wie dem auch sei, der Besucher an der Tür musste an mir vorbeigekommen sein, und ich hatte ihn nicht bemerkt, weil ich den gesichtslosen Unbekannten angestarrt hatte.

      »Ey, Arschficker!« Chris tauchte im Türrahmen auf, und ich drehte mich zu ihm um. Er deutete über seine breite Schulter, hielt aber inne, als er sah, wie ich an einer Zigarette zog. Er riss die Augen auf. »Rauchst du meine Kippen?«

       Frisst du meine Pizza, Arschloch?

      Ich schüttelte dreist den Kopf. »Nö.« Lügen konnte ich schon immer wie gedruckt. »Und woher willst du wissen, dass ich Ärsche ficke?«, fragte ich ihn. »Spannst du etwa, Kackbratze?«

      »Schwuchtel«, schoss er zurück und schnaubte dann herablassend. »Na ich glaub kaum, dass die halbe Portion deinen breiten Arsch besteigen kann.«

      »Wer trägt hier die XXL-Shorts?« Aber Moment mal, von welcher halben Portion spricht er da? »Mica?«, fragte ich und sah ihn verwundert an. Wie kam er denn auf meinen Ex?

      »Der steht vor der Tür.«

      Ich blinzelte ihn irritiert an. »Wie bitte, was? Warum hast du ihn nicht rein gelassen?«, schnauzte ich aufgebracht.

      Er zuckte mit einem gehässigen Lächeln die Schultern. »Ich wollte ihn rein lassen. Hab gesagt, für Schwanzlutscher kost der Eintritt fünf Euro, aber er hat kein Geld dabei, also hab ich gemeint, er muss draußen warten. Haha.«

      »Du mieser …« Ich wollte auf ihn losgehen, und hechtete ihm hinterher, als er lachend davonrauschte.

      Er warf mir seine Tür vor der Nase zu. »Wichser!« Ich trat dagegen, aber das brachte nichts, außer, dass er noch mehr lachte. Also wandte ich mich ab und ging nachsehen, ob mein Ex noch vor der Tür stand.

      Das tat er. Eingeschüchtert und mit traurigem Dackelblick in seinen bernsteinfarbenen Augen stand er vor mir, als ich die Tür öffnete.

      »Hey.«

      »Hallo«, gab er verlegen zurück und rieb sich den Arm, kratzte sich, wie er es immer tat, wenn er nervös wurde.

      »Warum lässt du dir das von ihm gefallen?«, fragte ich ihn und trat so gleich zur Seite, ich konnte ihn ja nicht so vor den Kopf gestoßen auf meiner Schwelle stehen lassen. »Du weißt doch, wie er ist. Du musst ihn einfach nur ignorieren.«

      Er nickte mit gesenktem Blick. »Weiß ich. Trotzdem macht er mir Angst. Kann ich reinkommen?«

      Ich nickte und winkte ihn herein. Was dachte er, weshalb ich zur Seite getreten war?

      Aber so war Mica eben. Er gehörte zu diesen kleinen, schüchternen Menschen, die dich bereits bei der ersten Begegnung dazu brachten, sie beschützen zu wollen. Er war einer von diesen ganz romantischen, kleinlauten, verträumten Kerlchen, die man einfach liebhaben musste. Anhänglich und treudoof wie ein Hund, den man vor dem Ersaufen gerettet hatte.

      Eine halbe Portion, genau wie Chris sagte, noch kleiner als ich, noch dürrer als ich, maisblondes Haar, feminines Gesicht, Longsleeve-Shirts, enge Stoffhosen, winziger, süßer Knackarsch, glattrasierte Wangen, wenig bis gar kein Haarwuchs, helle Stimme, eingezogener Kopf, irgendwie immer ein trauriger Blick, lange Wimpern, Hang zum Klammern und tief romantisch veranlagt, aber ebenso ängstlich, sodass er sich in der Öffentlichkeit immer hinter mir versteckte.

      Genauso würde ich ihn beschreiben, aber ich hörte bereits Mr. Olssons Stimme: Das ist wieder nur eine Stichpunktliste.

      Jedenfalls, ich mag Mica, und er tat mir leid, weil ich ihn abgeschossen hatte. Ich war sein erster Freund gewesen, sein erster in allem, er verband etwas mit mir. Ich könnte ihn niemals einfach vor die Tür setzen, und ich hatte ihm versprochen, er könnte immer vorbeikommen.

      Ich war nicht gut im Schluss machen. Vermutlich wäre es besser für ihn gewesen, hätte ich einen klaren Schnitt gemacht, damit er darüber hinwegkam. Aber ich konnte ihn nicht so allein lassen.

      »Komm mit«, forderte ich und schob ihn in mein Zimmer, wo wir ungestört waren.

      Wir lernten uns vor einem halben Jahr über einen Chat kennen, und außer mir kannte er keine Schwulen, er war nicht einmal in seinen Kreisen geoutet, traute sich nicht, es zuzugeben. Er war also, wie ich es nannte, schamschwul. Und weil er außer mir sonst niemanden zum Reden hatte, wollte ich ihn nicht einfach absägen.

      Außerdem mochte ich ihn ja trotzdem, nur liebte ich ihn nicht so, wie er es verdiente.

      »Ich wollte noch mal mit dir reden«, begann er schüchtern.

      »Reden«, wiederholte ich, als müsste ich darüber nachdenken. Ich setzte mich auf mein schmales Einmannbett und griff nach meinem Teddy, um meinen Fingern und Augen etwas zu tun zu geben. Erst als er mich vertraut anlächelte, erinnerte ich mich wieder, dass ich den Bären von ihm bekommen hatte.

      Wie gesagt, er war sehr romantisch. Das genaue Gegenteil von mir, ich hatte seine Liebesbotschaften immer nur halbherzig zur Kenntnis genommen, weil sie mir nichts bedeuteten. Aber als er mich so anlächelte, tat es mir leid, denn ich wusste plötzlich, dass es ihm viel bedeutete, mir solche Sachen zu schenken. Vom Teddybären bis zum noch so kleinsten Zettel mit süßen Botschaften, mit alledem hatte er mir seine ganze Liebe geschenkt, und ich hatte es einfach ignoriert.

      »Dann rede.« Ich lehnte mich zurück, weiterhin mit dem Teddy spielend. Ich bog seine Arme nach unten und bewegte sie auf und ab, bis es aussah, als würde er sich einen runterholen.

      Ich war eben nicht romantisch.

      »Ich hab über das nachgedacht, was du gesagt hast.«

      »Aha.«