Vater und Klon. Wolf Buchinger

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Название Vater und Klon
Автор произведения Wolf Buchinger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742780416



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Sie von außen gesteuert?“

      „Eine ganz ehrliche Antwort …“

      „Was denn sonst, ich denke, Sie sind eine echte Christin?“

      „Oh ja, ich habe auch diese Aktion ganz allein vorgedacht und ausgeführt.“

      „Was heißt ‚auch diese Aktion‘?“

      „Vielleicht sage ich jetzt zu viel: Ich bin schon ein paar Mal vorgeprescht und habe kirchliches Denken anders umgesetzt, als die da oben sich vorstellen.“

      „… die da oben?“

      „Ja, das Übliche. Ich bin jung und will aktiv christliches Denken verbreiten und umsetzen, aber unsere Führung predigt je länger je mehr, dass Christsein auch Geduld, Kompromissbereitschaft und Zurückhaltung bedeutet. Die haben gut reden, kaum einer ist unter siebzig, da sieht die Welt halt anders aus. Und manchmal gehen meine inneren Gäule gegen alle Disziplin und Versprechen von Gehorsam mit mir durch. Dann schreibe ich schon mal einen Leserbrief über die Langsamkeit der Entscheidungsfin-dung von ‚denen da oben‘ oder ich gehe ohne Manuskript aus einem inneren Drang heraus, vieles besser machen zu können, an einer Synode ans Rednerpult und schimpfe über die fehlende Gleichberechtigung von Frau und Mann auch bei uns. Dann muss ich mich schriftlich entschuldigen, werde in ein langatmiges Coaching gezwungen und fühle mich monatelang sauelend.“

      „Und was geschähe, wenn ich jetzt bei der Polizei Anzeige erstatten würde?“

      „Dann? Dann bekäme ich wohl ein Kirchenausschlussverfahren, denn dann wäre ich kriminell.“

      „Das haben Sie sich nicht vorher überlegt?“

      „Doch, doch, aber der innere Drang, ein Zeichen zu setzen, war stärker. Von unserer Führung aus wird nämlich dazu nichts geschehen, noch nicht einmal eine Thematisierung des Themas auf den Kanzeln, wie ich es vorgeschlagen hatte. Der einzige Kommentar war: „Abgelehnt!“ Und dann hat sich meine Wut ins Unendliche gesteigert, tja und dann habe ich halt gesprayt und das Foto bewusst mit meiner Mailadresse an die Zeitung geschickt, damit man auch schnell herausfindet, wer das war. Alles andere wäre unchristlich, weil nicht ehrlich und feige.“

      „Bravo! Das gefällt mir!“

      „Sie überraschen mich, das hätte ich niemals von Ihnen gedacht. Sie machen eher den Eindruck eines sturen Alten, der nichts anderes als seine Prinzipien kennt. Sehen Sie, das hätte ich auch nicht sagen dürfen. Ich freue mich wirklich auf den Moment, wo ich mich endlich immer im Griff habe, kein Coaching hat bisher etwas bewirkt.“

      „Darf ich Sie trösten? Ihrem sturen Alten geht es auch heute noch manchmal so. Genauso unüberlegt, nur weil ich begeistert war, habe ich mich zum Klonen angemeldet.“

      „Sehen Sie, so kann man sich täuschen. Vielen Dank für Ihre Ehrlichkeit! Tief in Ihrem Herzen sind Sie doch ein echter Christ. Das finde ich prima. Darf ich vielleicht gleich schon wieder etwas Spontanes und wenig Überlegtes rauslassen?“

      „Sie können mich kaum noch überraschen!“

      „Okay, dann wage ich es! Trauen Sie es sich zu, bei uns an einem Themennachmittag ein Referat über das Klonen zu halten und sich anschließend einer Diskussion zu stellen?“

      „Und Sie machen die Moderation?“

      „Ja, gerne!“

      „Dann komme ich, machen Sie mir Terminvorschläge, mein Sekretär wird Ihnen antworten.“

      „Supi! Ich mag Sie, weil ich einen Kompagnon im Denken und Fühlen gefunden habe. Dann bis bald, der Kirchgemeindesaal ist nur dreihundert Meter von hier entfernt.“

      Liebe Mitchristen, bitte tief durchatmen!

      „Sehr verehrte Damen und Herren, liebe Mitchristen! Es ist mir eine Ehre, so viele Menschen hier in unserem schönen Kirchgemeindesaal begrüßen zu dürfen. Das Thema brennt offensichtlich auf den Nägeln, denn noch nie sind so viele Zuhörer zu unserer Diskussionsreihe „Christsein aktuell“ hierhergekommen.

      Ich darf die Presse begrüßen, Herrn Vikar Hieronymus Kaspar vom naheliegenden Kloster und ganz besonders das chinesische Fernsehteam.

      Noch nie hatten wir hier eine TV-Aufzeichnung, entsprechend nervös bin ich und hoffe, dass ich mein Outfit richtig gewählt habe und die Würde des Christentums weltweit vertreten kann.

      Spontan, spontaner - Mister Paul. Erst vor kurzem haben wir uns kennengelernt und er hat sofort und ohne Vorbedingungen zugesagt, uns seine Erfahrungen, Wünsche, Gedanken und Hoffnungen zum Thema Klonen vorzutragen. Begrüßen Sie ihn mit einem herzlichen Applaus! Danke. Nach seinem Referat haben Sie die Möglichkeit, direkt mit ihm zu diskutieren.

      Und vorweg wird unser verehrter Herr Präsident Sie noch sachlich-methodisch auf das Thema „Klonen“ vorbereiten. Herr Pfarrer, darf ich Sie ans Mikrofon bitten!“

      „Danke, meine Liebe. Tja, liebe Freunde, die Welt hat ein neues Thema: Nicht Krieg oder Mord- und Totschlag, nein, es ist wohl zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit, dass wir uns nicht gegenseitig umbringen, sondern uns friedlich mit modernsten medizinischen Mitteln vermehren. Erlauben Sie mir, Ihnen einiges über die Grundlagen des Klonens näher zu bringen, damit wir alle eine Vorstellung davon bekommen, von demselben reden und denken und nachher unserem Referenten besser folgen können.

      Der Begriff ‚Klonen‘ stammt aus dem Altgriechischen und bedeutet so viel wie ‚Zweig‘ oder ‚Schössling‘. Der einfache biologische Begriff hat sich verändert. Heute versteht man darunter die Erzeugung eines genetisch identischen Individuums. Wir müssen ein neues Wort lernen: Das Erzeugen von identischen genetischen Kopien, der sogenannten DNA, wird ‚Klonieren‘ genannt. Alle Pflanzen haben die Möglichkeit des natürlichen Klonens, doch wir meinen ab sofort das künstliche Klonieren, um neue, erbgleiche Nachkommen zu erhalten. Sie alle haben sich wahrscheinlich, wie auch ich, erschrocken, als Sie die Bilder des wohl bisher berühmtesten Klons gesehen haben, dem schottischen Schaf Dolly. Die Unersättlichkeit des Menschen an dieser neuen Technik hat vor fast keinem Lebewesen Halt gemacht. Geklont worden sind bisher Hausmaus, Kuh, Schwein, Katze, Ratte, Pferd, Wolf und auch ein Affe.

      Und nun, quasi als Krönung der Schöpfung, wird Herr Paul diese Liste vervollständigen. Zum allerersten Mal wird der Mensch Gott spielen und Wesen seinesgleichen eins zu eins in allen Facetten herstellen. Bald wird nicht nur ein Paul hier stehen, sondern wie zwei natürlich gezeugte eineiige Zwillinge Paul und sein Klon Raoul. Und wenn sie nicht zwei verschiedenfarbige Krawatten tragen werden, können wir nicht feststellen, wer das Original ist. Ihr Aussehen wird das gleiche sein, ihre Stimme, ihre Mimik, ihre Gestik. Die Forscher sind sich noch nicht sicher, ob sie auch gleich denken, bei Schafen und Ratten kann man so etwas ja nicht feststellen. In jedem Fall wird es ab sofort einen neuen Menschentypen geben, der uns vor gewaltige emotionale Probleme stellt: Ist dies dann überhaupt ein richtiger Mensch? Wen geben wir als Erzeuger an? Kann er eine Seele haben? Fragen über Fragen, Unsicherheiten über Unsicherheiten. Die Gesetzeslage ist weltweit gleich: Das Klonen von Menschen ist verboten und zu ächten. - Danke für Ihren wohlgemeinten Beifall! Doch was wäre die Welt ohne China! Dort gelten offensichtlich andere Regeln - oder vielleicht auch gar keine. Denn wie kann eine europäische Ärztin diesen großen Schritt wagen? Wir können es nicht beantworten. Begibt sich unser Nachbar, Herr Paul, nicht ins Ungewisse oder riskiert er sogar alles, wenn er als Versuchstier benutzt wird? Er hat sich selbst in der Presse mit Kolumbus verglichen, der nach Westen fuhr in der Hoffnung, eine kürzere Route nach Indien zu finden und hat stattdessen unwissentlich einen neuen Kontinent entdeckt? Herr Paul fliegt bald nach Osten und was er dort finden wird, ist die totale Finsternis des menschlichen und christlichen Daseins, keine Moral, keine Achtung vor dem Leben und damit keine Anerkennung von Gott. Er wird wie Kolumbus leiden müssen, er wird sein Ziel verfluchen, weil es elendig lang dauern wird, bis er etwas Greifbares haben wird. Er weiß hoffentlich, was ihm dort blüht! Ich habe mich bei einem befreundeten Arzt erkundigt, selbst ihm lief kalter Schweiß über’s Gesicht, als er schilderte, wie heute technisch kloniert wird. Sorry, Herr Paul, ich möchte es allen schildern, damit wir alle