Vater und Klon. Wolf Buchinger

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Название Vater und Klon
Автор произведения Wolf Buchinger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742780416



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denn wirklich werden sollte und schwankte hin und her zwischen Formeln und Jazzmusik, ein begabter Kontrabassist, der es ohne Konservatorium bis ins Radioorchester geschafft hatte. Und dann hat ihn das Schicksal hart getroffen: Im selben Monat ist er von der Uni ausgeschlossen worden, weil er zu oft schwänzte und gleichzeitig wurde das Orchester aus finanziellen Gründen aufgelöst. Er hat es dann mit Nachhilfe und eigenen Musikformationen probiert. Frustrierend erfolglos. Und wo Musik gemacht wird, ist der Alkohol vorprogrammiert, ein Absturz nach dem anderen.

      Und dann sind wir uns zufällig eines Abends begegnet, ich habe ihn kaum erkannt, so mager und heruntergekommen war er. Sein Leben schien schon vorbei, er dachte nur noch von heute auf morgen, keine Visionen mehr. Tja, und dann haben wir ihm geholfen, ein kleines eigenes Restaurant zu eröffnen mit damals aus der Mode gekommenen echten sächsischen Spezialitäten. Der Erfolg war mäßig, aber er hielt seine Linie und fand zum Leben zurück. Bis genau auf den Tag, als wir uns entschieden haben, nach China zu gehen, das Haus an eine Modekette vermietet wurde und er wieder auf der Straße saß. Und jetzt ist er bei uns und begeistert die Chinesen mit seiner Kochkunst. Wir leihen ihn sogar einmal im Monat ins Regierungscasino aus, so etwas erhält die Freundschaft.

      Wir sind oben. Lassen Sie sich überraschen!“

      „Ich ahne: Broiler mit Sauerkraut und Schwarzbier.“

      „Lassen Sie sich überraschen! Wir sind da! Michael, darf ich vorstellen: Mister Paul, Paul, darf ich vorstellen: Michael, der beste Koch Chinas!“

      „Danke für die Blumen, Elisabeth! Ich habe Ihnen wie immer einen Tisch in der „Sachsen-Stube“ reserviert.“

      „Sehr schön. Paul, Sie sollten wissen, dass wir diesen Teil des Restaurants mitgenommen haben, es ist das Original aus Dresden, Nostalgie pur, es ist ein Stück Heimat geworden. Und heute werden wir wahrscheinlich ganz alleine hier sein, es ist irgendein Feiertag, an dem unten alle jubeln müssen. Das hat noch einen Vorteil, wir können offen reden.“

      „Darf ich erst einmal die Aussicht genießen?“

      „Aber gerne, viel werden Sie nicht sehen, wir sind auf dem Land und die Paraden sind in der Stadt, dreißig Kilometer nach Westen.

      „Oh ja, ich sehe den Lichtschein. Und der Rest sind kleine Dörfer und viel Ackerland. Das sieht extrem friedlich aus von hier oben.“

      „Oh ja, das ist es auch. Meistens. Aber lassen wir die Politik aus dem Spiel. Michael, was gibt es heute?“

      „Das Spezialmenü für unseren Stargast: Der Gruß aus der Küche ist ein feines, kleines Süppchen aus vergorenem Chinakohl, lecker, lecker, dann geröstete Zikadenleber auf blauen Tiefseealgen, extrem lecker. Als Hauptspeise in Anlehnung an unsere sächsische Heimat: Eisbein vom Pandabären mit Glasspagetti vom Ei des Teufelsrochens, phantastisch lecker, und als Nachspeise Süßkartoffelgrütze mit geeisten Papayaknospen. Das wird so lecker, dass ich am besten große Portionen zubereite. Dazu serviere ich Ihnen einen original lauwarmen Reiswein aus der Region in selten gewordenen Meeresschildkrötenpanzern. Ist das so okay für Sie?“

      Elisabeth, ich sehe an Ihren Augen und dem Lächeln, dass Sie sich riesig darauf freuen!“

      „Michael, Sie überraschen mich immer wieder, und das nach so vielen Jahren! Und Paul, was meinen Sie?“

      „Gibt es unten im Dorf eine Pizzeria oder einen echten chinesischen Imbissstand für die Einheimischen?“

      „Leider nein, wir sind hier mitten auf dem Land, wir müssten schon in die Stadt fahren. Sorry Paul, wir wollten Ihnen einen besonders persönlichen Empfang bieten mit allem Charme und der Freude der Sachsen. Michael geruhte zu scherzen. Da die Chinesen überhaupt keinen Spaß verstehen und schon bei der geringsten doppeldeutigen Bemerkung beleidigt sind, hebt Michael seinen Humor für die wenigen europäischen Gäste auf. Der Höhepunkt mit fatalen Folgen war seine Ankündigung beim Besuch des sächsischen Kulturministers. Er hat frisch geschlachtete Nieren vom Hund auf Katzengras angekündigt. Sofort ist Frau Minister aufs Klo gerannt und hat sich danach in ihr Zimmer eingesperrt. Sie hat die ganze Zeit hier von Chips und Wasser gelebt. Man sieht, nicht nur der Chinese hat keinen Humor. Michael, was gibt’s denn nun wirklich?“

      „Wir beginnen mit dem Gruß aus der Küche und dem blutig klingenden Namen ‚Hackepeter‘. Nein, das ist kein geschlachteter Europäer, sondern mageres Schweinehack mit Eigelb, Bautzner Senf und ganz normalen chinesischen Zwiebeln aufbereitet. Dazu gibt es ein kleines, Garley-Bier, natürlich aus … Sachsen. Na, Herr Paul, wie schmeckt Ihnen das?“

      „Hervorragend, hervorragend! Nur die Portionen sind etwas klein.“

      „Ja, das ist Absicht! Ihr Körper braucht morgen viel Kraft und keine Ablenkung durch mühsame Verdauung. Essen Sie kleine Portionen, denn große Mengen schwächen Ihren Körper!“

      „Zu Befehl, Herr Essensgeneral! Ich folge!“

      „Und hier nun die Vorspeise: Süßsaure Linsensuppe mit Blutwursteinlage. Das Rezept stammt von meiner Großmutter, ich habe es aber deutlich leichter gemacht, Sie wissen, warum.“

      „Ziemlich blutrünstig, Ihr Sachsen!“

      „Ja, wir sind bodenständig geblieben und haben nie den Kontakt zur Ursprünglichkeit des Essens verloren. Noch heute haben viele ein Schwein neben oder in der Garage, das handzahm ist und die kurze Zeit seines Lebens verwöhnt wird mit allerlei Leckereien, da sind wir den Chinesen ein wenig ähnlich, dort laufen die Hühner manchmal noch in der Küche rum. Und wenn das Schwein geschlachtet ist, - oh, ich hoffe, dass ich Ihnen jetzt nicht den Appetit verderbe, - streiten sich vor allem die Frauen um die kleinen noch zuckenden, lauwarmen Muskelfasern, die überall im Inneren zu finden sind. Sie zupfen sie direkt von dem an der Decke hängenden Tier ab und hoffen damit auf besondere Kraft, Abwehrstoffe und … und vornehm ausgedrückt, eine aphrodisierende Wirkung.

      „Jetzt räume ich ab und bringe Ihnen einen hervorragenden Riesling von der Saale-Unstrut, dort hat meine Cousine einen Familienbetrieb. Es gibt dort zwar auch Rotweine, aber abgesehen davon, dass die Weißen viel, viel besser schmecken, sind sie vor allem süffiger, und an einen Madi-ran kommen die Roten sowieso nie und nimmer ran. Also dann, zum Wohl, ich lasse Sie jetzt alleine und entschuldige mich, wenn ich zu viel gequatscht habe, das ist halt auch typisch sächsisch.“

      „Kein Problem, Michael, ich habe Paul noch viel zu erzählen, praktisch den ganzen Ablauf von morgen, lass dir ruhig Zeit!“

      „Danke, ich verschwinde hinter die Töpfe, um den Panda zu schlachten …

      Elisabeth und Paul, ganz nahe, sehr nahe

      „Lieber Herr Paul, das Schicksal hat uns nun sehr eng miteinander verbunden! Ich mache Gebrauch von einem ungeschriebenen Gesetz, bei dem ich das Vorrecht habe dank der drei Monate, die ich älter bin: Lass uns ohne Champagner, aber mit einem Glas Saale-Unstrut auf ein gutes Gelingen all unserer Ideen anstoßen! Ich bin die Elisabeth, ich schlage das vertrautere Du vor.“

      „Ich zittere ein wenig, das ist fast zu viel der Ehre. Danke

      Frau … äh … Elisabeth, ich bin der Paul.“

      „Ein Kuss in Freundschaft?“

      „Oder lieber drei?“

      „Sie … äh … du gehst ja ganz schön ran!“

      „Oh ja, wenn schon, denn schon. Ich muss ein paar Jahrzehnte verpasster Chancen nachholen, es ist nie zu spät. Auch oder gerade in unserem Alter. Wenn wir auf Kreuzfahrt wären, würde ich jetzt nach deiner Kabinennummer fragen …“

      „Ich möchte dich noch über ein paar Details informieren, die du wissen solltest oder zu denen du noch eine Entscheidung treffen musst.“

      „Och, lieber nicht, ich lege mein Schicksal ganz in deine Hände. Du wirst es schon richten und alles richtigmachen.“

      „Du musst aber trotzdem in grobem Zügen wissen, was mit dir passiert, nicht dass du plötzlich in Panik gerätst, weil du in einer für dich unerklärlichen Situation bist.