Schlussakt. Joana Goede

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Название Schlussakt
Автор произведения Joana Goede
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738086560



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Ziel.

      Nach einiger Zeit fühlte ich mich am Arm gepackt und in eine Reihe gezogen, die mir gänzlich unbekannt erschien, fand mich aber schließlich auf einem Platz neben Constanze wieder, die es wohl nicht mehr hatte mit ansehen können, wie ich ziellos hin und her lief, wie ein kleines Kind auf der Suche nach seiner Mama. „Wo warst du?“, zischte sie ungehalten, doch, wie mir schien, auch ein wenig besorgt, da selbst für mich ein so anormales Verhalten untypisch war. Ich war nur froh, endlich auf meinem Platz zu sitzen und mich nicht mehr auf Bewegungen konzentrieren zu müssen, die meine Grenzen des Machbaren bei weitem überstiegen. Nun starrte ich auf die immer noch schwarze Leinwand, auf der nun wohl die Namen der Darsteller abliefen, untermalt von einer schaurigen Musik, die schon allein ausgereicht hätte, um mich zu vertreiben, wäre es mir denn möglich gewesen, den Weg von gerade zum wiederholten Male zurückzulegen.

      Zwar verließ mich im Sitzen nicht das Gefühl der Schwäche, doch immerhin konnte ich den Schwindel etwas aus meinem Körper verbannen, so dass ich mich etwas gefestigt und ermutigt fühlte, den Weg zum Auto, in zwei Stunden, vielleicht doch noch zu schaffen. Ich hoffte nur, dass ich nicht wieder diese Migräne kriegen würde, denn das würde mich mit Sicherheit ganz umwerfen und dann hätte ich keine Chance mehr, unbeschadet mein Bett zu erreichen. Außerdem wollte ich Constanze nicht den Abend verderben, denn ich hätte es nicht ertragen können, wenn sie wieder angefangen hätte, mich zu hassen. Auf das Bisschen frisch gewonnene Zuneigung wollte er dann doch nicht gleich wieder verzichten. Eigentlich war es so ganz nett.

      Meine Befürchtungen, was den Film betraf, wurden zu meinem Ärgernis bei weitem überboten.

      Schon die erste Szene konnte ich kaum mit geöffneten Augen ertragen. Die Leinwand triefte förmlich vor Blut und Grusel, so dass ich meine Kraftlosigkeit beinahe vergaß. Constanze starrte wie gebannt auf das Geschehen, ohne einmal zusammen zu zucken oder weg zu gucken, während ich aus dem Erschrecken und Ekeln gar nicht hinaus kam. Selbst, wenn ich die Augen geschlossen hielt und ich nur die Musik und die Geräusche hörte, spielte mir meine gut ausgebildete Fantasie den bitterbösen Streich, dass sie mir Bilder in den Kopf malte, die fast noch grausiger und Furcht einflößender waren, als das Original, sofern das denn möglich war. Ich achtete erst nach etwa einer halben Stunde wieder auf meinen eigenen körperlichen Zustand und stellte fest, dass ich mich nicht nur besser fühlte, sondern auch kräftiger. Ob ich mich nun allein durch das Sitzen erholte oder auch durch die Ablenkung durch den widerlichen Film, der meine eigenen Probleme tonlos in den Schatten stellte, lassen wir mal offen, doch mir wurde klar, dass ich noch nie so viele fürchterliche Bilder auf einmal gesehen hatte. Ich konnte mir auch beim besten Willen nicht vorstellen, dass sich Menschen so etwas nicht nur freiwillig, sondern auch noch gern ansahen. Das war für mich noch grotesker, als die öffentlichen Hinrichtungen, die es zum Glück bei uns nicht mehr gab. Dieser Film war auf jeden Fall darauf angelegt, möglichst authentisch und grausam zu wirken und ob das der Zweck der Unterhaltungsindustrie war, stellte ich sehr in Frage.

      Nach einer weiteren halben Stunde, bemerkte ich, dass ich mich mit den Fingern am Sitz festklammerte und meine Hände sich völlig verkrampft hatten, so dass es mich Mühe und Zeit kostete, meinen Griff zu lockern. Mir wurde klar, dass ich nicht die nötige Erfahrung und die Veranlagung dazu besaß, diesen Film mit der unabdingbaren Distanz eines normalen Kinobesuchers zu betrachten, um den Abstand zu gewinnen, der es mir ermöglicht hätte, nicht jedes Mal vor Angst und Schrecken zu erstarren, wenn irgendetwas Bösartiges geschah. Die Handlung des Films war ohnehin ohne Belang, was für das Publikum zählte, waren die modernen Spezialeffekte und die Intensität der Brutalität.

      Ich betrachtete Constanze, die sich genießerisch weit zurückgelehnt hatte und jede Sequenz gierig einsog, während sie die letzten Krümel aus der Popcorntüte pulte und sie sich auch noch in den Mund stopfte. Hätte ich Popcorn gemocht, wäre ich sicherlich beleidigt gewesen, aber so war es mir egal, dass sie mich nicht ein einziges Mal gefragt hatte, ob ich nicht auch etwas wolle. Sie war eben ein unverbesserlicher Egoist.

      Als ich meine Aufmerksamkeit nach einem besonders Schrecken erregenden Geräusch wieder dem Film zuwandte, überlief mich ein kalter Schauer. Der Held des Films befand sich gerade auf einem verlassenen Schiff, das immer gern in neuen und alten Grusel-Filmen als Kulisse verwendet wird, und dieses Schiff bewegte sich durch tiefen Nebel, ohne dass es jemand steuerte. Einzelheiten des Schiffes waren nicht zu erkennen, nur die ungefähren Konturen auf dem schwarzen Wasser. Das Schrecken erregende Geräusch gehörte zu einem großen, kantigen Felsen, der wie aus dem Nichts direkt vor dem Schiff auftauchte, den Metall-Bug des Schiffes meterweit aufriss und alles zerschmetterte, als wäre es Glas. Es war nicht so, dass ich diese Szene besonders beunruhigend fand, denn im Gegenteil gehörte sie wohl zu den Harmlosesten im ganzen Film, doch das Unvorhersehbare und Erschreckende für mich, das mich hatte erschauern lassen, war, dass ich mit dieser Situation mitfühlte, als wäre ich dabei. Ich sah nicht nur das gerammte Schiff, nein, ich spürte die Erschütterung im ganzen Körper.

      Auf meiner Stirn brach der Schweiß aus. Was erlaubte sich meine Fantasie? War ich so übermüdet, dass sich die Fiktion mit der Realität vermischte? Auf dem Schiff setzte lautes Geschrei ein und alles rannte wild durcheinander, es entstand ein rücksichtsloser Kampf um die Rettungsboote, und ich schluckte bei diesem Anblick und hielt den Atem an. In diesem Moment, der nur einen winzigen Teil einer Sekunde dauerte, war ich mir sicher, dass ich genau diesen Augenblick miterlebte, nur der Zusammenhang war mir nicht klar. Selbstverständlich verschwand dieser Gedanke gleich wieder im Nichts, denn es war absolut utopisch, dass ich mich zugleich im Kino und bei einem so verheerenden Schiffsunglück befinden könnte, doch diesen Bruchteil der Sekunde war ich davon überzeugt, ich wäre es, wie und wo auch immer. Denn in dieser Zeit befand ich mich mitten in dem Geschehen auf der Leinwand, als hätte sie mich eingesogen und mir eine Rolle in dieser Geschichte gegeben, ohne mir die Möglichkeit zu lassen, abzulehnen.

      Zwar befand ich mich nicht wirklich körperlich in diesem Horrorszenario, doch mein Verstand schwitzte Blut und Wasser vor Angst, Todesangst. Ich spürte, wie ich von anderen flüchtenden Passagieren, die ihrem unglücklichen Tod entgegen rannten und sich verzweifelt in die Fluten stürzten, zur Seite gestoßen wurde und auf die harten Planken des Schiffes niederkrachte, was mir die Besinnung zu rauben drohte. Erstaunlich lange hielt ich mich zwischen Realität und Fiktion hängend in einem äußerst verwirrten Zustand, bis ich aus diesem Trauma erwachte und wieder in dem Kinosessel saß, einen Film anschauend, der mich nicht interessierte und den ich für ein Verbrechen an der Menschlichkeit hielt. Unwillkürlich tastete ich mit den Fingern meine Stirn nach einer Beule ab, von der ich überzeugt war, dass es sie geben müsse. Natürlich war sie nicht da. Wie sollte sie auch? Ich atmete schnell, wie nach schwerer, körperlicher Anstrengung und hätte meinen Kopf am liebsten auf die Sitzlehne vor mir fallen lassen. Müdigkeit ergriff von mir Besitz.

      Conclusio: Hier hatte meine Fantasie mir tatsächlich einen so mächtigen Streich gespielt, dessen Auswirkung auf meinen Körper ich mir nur durch den Schlafmangel erklären konnte. Ich konnte meiner Wahrnehmung folglich kein Vertrauen mehr schenken. Ohne meine Zustimmung war ich mit einer fiktionalen Welt kollidiert und ich hatte mich gerade noch aus ihr herausretten können, bevor sie mich verschluckte. Eine beängstigende Erfahrung, deren Erinnerung mich noch Wochen später in Alpträumen verfolgte.

      Die nächste Szene war um einiges grotesker, denn während ich mich dem Schiffsunglück unheilvoll und bedrohlich nahe gefühlt hatte, war der Angriff ganzer Armeen von skurrilen Seemonstern auf die verbliebenen Menschen auf dem Schiffswrack, die in abertausend Teile zerfetzt und zerrissen wurden, nur noch unglaubwürdig und in höchstem Maße abscheulich, so dass ich angewidert den Blick abwendete und stattdessen die Kinobesucher vor mir fixierte, oder besser gesagt, die Umrisse der Kinobesucher. Alle hatten ihren Blick auf die blutrünstigen Monster geheftet und schienen wie verzaubert von dem Anblick der zerfleischten Menschenmassen.

      Das war der Augenblick, in dem ich begann innerlich vor Wut und Unverständnis zu kochen. Diese absurde Aneinanderreihung von Ekel und Horror, die Mark und Bein erschütterte, verdiente nicht mehr meine Aufmerksamkeit. Dafür war ich mir zu fein. Constanze hin oder her, das konnte sie nicht von mir verlangen. Der Film war es weder wert, dass ich ihn anschaute, noch, dass ich auch nur einen Gedanken an ihn verschwendete. Ich warf einen Blick auf die Uhr und sah, der der Film in etwa einer dreiviertel Stunde enden würde. Eine Minute lang