Название | Schlussakt |
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Автор произведения | Joana Goede |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783738086560 |
Es dauerte eine Weile bis ich genug Vertrauen zu meinem Gefühl entwickelte, dass mir von Stärke und Kraft erzählte, die angeblich in meinen Körper zurückgeflossen war. Da ich mich also nicht mehr an dem Leid anderer weiden wollte, flüsterte ich Constanze zu, ich wolle draußen auf sie warten, und erhob mich leicht schwankend. Sie hatte nur durch ein leichtes Nicken auf meine Bekundung reagiert und schenkte mir keinen weiteren Blick, als ich mich durch die vollbesetzte Reihe in Richtung Ausgang schob. Soviel also zur Schwesterliebe.
Es ging besser, als ich gedacht hatte, denn meine Beine hielten mich ohne übermäßig zu zittern und mir wurde auch nicht wieder so schwindelig.
Nachdem ich mich die Treppe hinauf gekämpft und die Tür geöffnet hatte, erschien mir die Welt des Lichtes nicht mehr wie der Alptraum aus greller Künstlichkeit und geistiger Leere, den ich vorhin mit Mühe und Not verlassen hatte, sondern wie der rettende Ausweg aus der traumatischen Erfahrung Horrorfilm, die mich lehren sollte, mich nicht noch einmal auf etwas einzulassen, von dem ich schon vorher wusste, dass ich mich davor fürchtete, und dass es mir eine Reihe schlafloser Nächte bescheren würde, aber gewiss kein Vergnügen.
In der Lichterwelt, die ich mit einem dankbaren Lächeln begrüßte, ließ ich mich auf einer Bank am Fenster nieder und starrte auf die vor Nässe glänzende Straße. Nur wenige Autos fuhren vorbei und es zeigten sich kaum Fußgänger in dem gelblichen Licht der Straßenlaternen.
Bekümmert dachte ich an meine kleinen Kätzchen zu Hause, die ich in den letzten Tagen etwas vernachlässigt hatte, obwohl ich es nicht hatte tun wollen. Ich war gefangen gewesen in meiner eigenen Welt des Grübelns, doch das sollte jetzt ein Ende haben. Schließlich wusste ich, was zu tun war. Ich musste mich nur für eine meiner beiden Optionen entschieden, und um das zu tun, blieben mir immerhin noch einige Monate. Wenn ich zwischen den beiden gewählt hatte, würde ich klarer sehen, doch dies war keine Entscheidung, die von heute auf Morgen getroffen werden konnte. Immerhin hatte ich mich schon dazu entschlossen, mich jemandem anzuvertrauen und zu diesem Zweck wollte ich morgen Nachmittag die Kirche aufsuchen um mit dem einzigen zu sprechen, der mich verstand und der mir zuhörte. Zu Ihm hatte ich ein unerschütterliches Vertrauen, auch wenn ich mir keine ertragreichen Ratschläge erhoffte. Auch, wenn ich es dankend angenommen hätte, hätte mir jemand diese schwere Entscheidung abgenommen, wusste ich doch, dass es eine war, die ich selbst fällen musste, da es nur mich etwas anging und sonst niemanden, in gewissem Sinne noch nicht einmal Gott. Er hatte schließlich Familie, zumindest einen Sohn. Außerdem war der ganze Himmel sicherlich bis zum Bersten gefüllt mit freundlichen Menschen, also fühlte man sich da oben gewiss nicht allein.
Ich betrachtete die vielen kleinen Regentropfen, die gegen das Fensterglas schlugen und die Erde mit einem feuchten Schleier bedeckten, der sich auf jeden legte, der ihn durchquerte. Der Schimmer der Laternen verblasste und wurde immer undurchsichtiger, je mehr Regen fiel und je dichter die Masse der sich herunterstürzenden kleinen Wassertropfen auch wurde. Ein Rinnsal hatte sich irgendwo über mir gebildet und rann nun auf der Scheibe an mir vorbei, wie ein kleiner Fluss, der sich seinen Weg durch ein Meer suchte. Ich folgte ihm mit den Augen so weit es ging, bis er am Fenstersims verschwand und seinen Weg außerhalb des für mir einsehbaren Bereichs fortsetzte, dem kürzesten Pfad zur nächsten Pfütze folgend, wo sich viele Rinnsale sammelten und sich zu einem großen See winziger Tröpfchen vereinten.
Nun endete die Vorführung in einem anderen Kinosaal und der breite Flur, der als Empfangshalle diente und auch ungefähr solche Ausmaße hatte, dass er diese Bezeichnung verdiente, füllte sich schneller, als ich es nachvollziehen konnte. Die Menschen waren wie die Regentropfen, die nun alle gemeinsam die Treppe hinunterströmten um sich im Foyer zu sammeln. Das Gemurmel erhob sich, da Menschen zusammentrafen, die sich kannten, und natürlich sofort die Eindrücke austauschen mussten, die sie aus diesem Film gewonnen hatten. Von mir nahm niemand Notiz, als wäre ich unsichtbar. Das Getrappel der Füße auf dem Fußboden ergoss sich über mich wie ein Wasserfall und zusammen mit der Vielzahl an Stimmen erzeugte diese Menschenmasse ähnliche Geräusche, wie eine Gewitterwolke. Und auch sie zogen weiter und irgendwann waren nur noch einzelne da, die auf Freunde oder Familie warteten, die eine andere Vorstellung besuchten. Niemand setzte sich zu mir auf die Bank (sah ich wirklich so krank aus?), alle schienen froh zu sein, endlich stehen und die Glieder recken zu können, nach dem langen Sitzen. Ich dagegen verspürte überhaupt kein Verlangen dazu, mich zu bewegen. Am liebsten hätte ich mich sofort ins Bett gelegt und wäre eingeschlafen, auch wenn ich ahnte, dass mich die abschreckenden Bilder aus dem Film nicht loslassen und auch im Traum verfolgen würden. Trotzdem erschien mir der Schlaf jetzt wie ein lohnendes Unternehmen, denn ich hatte viel Kraft aufzuholen. Am besten war es wohl, wenn ich niemandem von meinem erneuten Schwächeanfall berichtete, am allerwenigsten Madeleine, die dann vermutlich sofort den Arzt rufen und sich schreckliche Vorwürfe machen würde, mich ins Kino geschickt zu haben.
Ich sah an mir herunter und registrierte zum ersten mal, dass ich noch immer Jacke und Schal trug, aber überhaupt nicht schwitzte. Wahrscheinlich lag es an dem dünnen Hemd, das ich darunter trug, und das die Funktion eines Kleidungsstücks, zu wärmen, offenbar nicht erfüllte. Ich lockerte den Schal um meinen Hals etwas und wischte mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht, die mich schon seit einer Weile störte. Mich an die Wand lehnend verharrte ich, auf Constanze wartend, deren Film allerdings nicht enden zu wollen schien.
Die aus den einzelnen Vorführräumen dringenden Geräusche der unterschiedlichen Filme, waren kaum zu hören. Ich konnte nicht feststellen, was für Filme sonst noch liefen, doch offenbar war der Horrorfilm der lauteste und meist besuchte, denn er wurde im größten Saal gezeigt und seine Töne waren am deutlichsten von den anderen zu unterscheiden. Ich fragte mich, wie ich es wohl solange bei diesem Lärm, eingepfercht mit unzähligen das grausame Schauspiel bewundernden Menschen, ausgehalten hatte, ohne wahnsinnig zu werden. Durch die ungeheure Lautstärke und die rasch wechselnden Bilder, mussten das Gehör und die Sehkraft doch innerhalb kürzester Zeit rapide Verschlechterungen erleiden und der Verstand stumpfte wahrscheinlich beim regelmäßigen Konsum solcher brutalen Filme immer mehr ab. Gut, dass ich mich dem rechtzeitig entzogen hatte. Meine Wahrnehmung funktionierte ja sowieso nicht gut.
Da überfiel mich ein vergessenes Gefühl. Zum ersten Mal in den letzten Tagen verspürte ich tatsächlich so etwas wie Hunger, denn mir fiel auf, dass ich den ganzen Tag über noch nichts gegessen hatte. Kein Wunder, dass ich mich so dünn und schwach fühlte und erstaunlich, dass ich nicht schon früher darauf gekommen war, etwas zu essen und dieses Gefühl zu verbessern. Ich wusste, dass es unten im Foyer etwas zu essen gab, auch andere Sachen als Popcorn. Allerdings hatte ich kein Geld dabei, für das ich mir etwas hätte kaufen können, ich musste also auf meine Schwester warten, damit sie mir etwas besorgte. Folglich verdrängte ich das mulmige Gefühl in der Magengegend und studierte stattdessen eines der Film-Poster, mit denen die Wände praktisch zugekleistert worden waren. Nach einigem Suchen fand ich eines, dass meine Aufmerksamkeit erregte. Es war das Poster, das wohl zu dem Horrorfilm gehörte, den ich soeben aus Protest verlassen hatte. Es zeigte unverkennbar den Hauptdarsteller, der mit weit aufgerissenen Augen ins Nichts starrte und dessen Gesicht einige blutige Kratzer zierten. Da hatte er wohl doch noch etwas abgekriegt. Im Hintergrund war ein düsterer Wald dargestellt, in dem man vereinzelt Gestalten zu erkennen glaubte, die aber auch nur besonders gespenstisch geformte Bäume sein konnten. Das fand ich nun wieder albern. Hatte ich mich vorhin noch vor eben diesem Wald auf der riesigen Leinwand gefürchtet, so wurde jetzt auf dem Bild überdeutlich, dass es sich nur um Computertechnik handelte, also um nichts, wovor man sich hätte fürchten müssen. Da war meine Fantasie wohl mal wieder mit mir durchgegangen und