HIPPIE TRAIL - BAND 2. Wolfgang Bendick

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Название HIPPIE TRAIL - BAND 2
Автор произведения Wolfgang Bendick
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742797063



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sie sortieren. Anfangs musste ich noch auf jedem ablesen, welche Größe er hatte. Bald sah ich auf einem Blick, wo er hingehörte. In jeden der Reifen musste ich serienweise zuerst einen aus dickem Gummi bestehenden Schlauch einlegen. Dieser war vom vorigen Gebrauch noch glühend heiß, soweit man das bei Gummi sagen kann. Dann setzte ich in den Reifen 4 bis 6 mondsichelartig geformte, gewölbte Aluminiumguss-stücke, die dann einen geschlossenen Ring bildeten, wie eine im Reifen liegende Felge. Diese schloss den Schlauch gewissermaßen ein. Der so ausgestattete Reifen ging dann zu einem Kollegen, der ihn drehbar einspannte, und mit einem dicken Gummistreifen belegte, den er von riesigen Rollen mit verschiedenen Breiten abwickelte. Dann wanderte er in eine an Dampfleitungen angeschlossene, aufklappbare Form, die innen ein Profilmuster besaß, worin er dann eine Weile unter Hochdruck und Hochtemperatur blieb. Diese Formen gab es mit allen gängigen Profilen, also auch Michelin oder Kleber. Darin wurde der Reifen regelrecht gekocht. Zu Anfang hatte ich nur zwei Kollegen zu versorgen, später dann drei. Wenn alle Formen gefüllt und angeschlossen waren, fingen die an, den ersten wieder heraus zu nehmen: Zuerst also den heißen Dampf ablassen, den Reifen aus der Form wuchten und zu mir rollen oder werfen, je nach der Größe des sich vor mir häufenden Reifenberges. Ich musste dann jeden einzeln auf eine Kante schlagen, damit sich der Aluring im Inneren öffnete, dann dessen einzelne Teile daraus entfernen, dann den Schlauch und erneut in andere einbauen. Und dasselbe immer wieder und immer schneller. Es war zwar 2 x 15 Minuten Pause vorgesehen, aber wie sollte das gehen, wo doch immer gerade was am Kochen war oder rausgenommen werden musste? Und die Kollegen arbeiteten nach Stückzahl! Da auch sie der neuen Religion angehörten, die daran glaubte, dass Zeit Geld sei, und nicht ein Augenblick der Ewigkeit, verzichteten sie lieber auf die Pause. Es gab einen Eiswasserhahn nicht weit vom Arbeitsplatz, das war unsere einzige Erholung. Mittags war dann eine Stunde Pause, die gerade reichte, zu einem Fischimbiss zu gehen und zurück, und zwischendrin schnell die Mahlzeit zu verschlingen. Die einzige Erholung war, wenn mal eine Maschine kurzzeitig ausfiel! Dann fluchten die Akkordler, weil sie nichts verdienten. Anfangs spürte ich nur Erschöpfung und Muskelschmerzen. Nach einer Woche fühlte ich sowas wie Stolz. Darüber, so eine harte Arbeit unter solchen Bedingungen zu machen und darüber, den Freunden und dem Wirt das schuldige Geld geben zu können.

      Ich hatte Brandblasen an den Händen, Quetschstellen an den Fingerkuppen und bald den Dreh raus, so dass ich mit den drei Kollegen eine Zigarette rauchen konnte, weil alle Formen voll waren und die Kochdauer eingehalten werden musste. Der Zigarettenrauch ließ uns den Gummigestank für eine kurze Weile vergessen. Nach drei Wochen bekam ich drei Dollar Lohnerhöhung. Die Stimmung in unserer Hallenecke wurde lockerer, man schrie sich Witze zu, die man vor lauter Lärm nur halb verstand aber dafür doppelt so laut belachte. Wir fanden sogar noch die Zeit, denen in den anderen Abteilungen kleine Streiche zu spielen, wie das Werkzeug, was sie rechts von sich abgelegt hatten, im Vorbeigehen auf die linke Seite zu legen. Wir versteckten uns dann und lachten uns halb tot, wenn wir sahen, wie sie nach dem Werkzeug tasteten und es nicht fanden, und sich dann am Kopf kratzten und sich überlegten, ob sie nicht urlaubsreif wären... Nach der Arbeit zusammen zwei, drei Bier in der Stehkneipe, das war unser größtes Vergnügen, bevor jeder sich ziemlich erledigt auf dem Heimweg machte. Es gab Tage, da übertrafen wir den Rekord von drei Tagen zuvor. Das wurde an einer Tafel angeschrieben und vor lauter Stolz darüber knüppelten wir noch mehr.

      Zum Glück arbeitete ich in der PKW-Reifenabteilung. Ich bemitleidete das arme Schwein, das meinen Job in der LKW Abteilung machte. Aber der hatte Arme so dick wie meine Beine. Am gigantischsten war die Abteilung, die die Reifen der Minen-LKW reparierte oder die der Schaufellader. Diese Reifen hatten bis zu drei Meter Außendurchmesser und man musste zum Arbeiten hineinsteigen. Der Arbeiter, der diese reparierte, war nochmal eine Nummer dicker. Er passte gerade in die Reifen. Für diese Reifen hatten wir keine Formen. Sie wurden in Amerika hergestellt. Um sie rundzuerneuern, wurden die Profilreste mit Handfräsen entfernt, und dann Stück für Stück die einzelnen Profilstollen aufgehämmert und einzeln erhitzt. Oft waren sie von Steinen durchstochen, die manchmal noch darin steckten. Hier ging alles mit dicken Vorschlaghämmern vonstatten. Erst den Stein zerschlagen, ausfräsen und dann neue Gewebebahnen einlegen, anschlagen und vulkanisieren. Bei den frisch angelieferten Reifen war Vorsicht geboten. Ich dachte erst, die Kollegen machen einen Witz, als sie mir ein winziges rotes Spinnchen in einem der Reifen zeigten. Ein ‚Redback Spider‘. Dessen Biss ist tödlich.

      So vergingen die Wochen. Ich konnte die Miete zahlen, mal eine Runde schmeißen und schaffte es sogar, ein wenig von meinem Lohn zu sparen. Ich rechnete aus: wenn ich weiter so sparsam lebte und weiterhin so viel auf die Seite legte, könnte ich mir in sechs Jahren die Rückfahrt nach Deutschland bezahlen! Vielleicht war so die Sechs-Jahre-Regelung für die mit Regierungsunter-stützung eingereisten Einwanderer entstanden? Inzwi-schen kannte ich Fremantle und Umgebung auswendig. Ich besuchte den botanischen Garten in Perth, wo es noch mehr Fliegen gab als in der Stadt. Ich besuchte auch John, der als Tellerwäscher jobbte. Er klagte, dass es in Australien kein Gras gebe. Zumindest er keines bekäme. Jedes Mal, wenn er junge Leute deswegen anspricht, denken die, er ist ein Bulle. Keiner kann sich vorstellen, dass man in diesem Alter auch raucht! Er erzählte mir auch, warum die Königin von England überall so beliebt ist. Jeder, an dem sie in ihrem Rolls Royce vorbeifährt, denkt, sie winke ihm zu. Das sei aber gar nicht der Fall. Durch ihre häufigen Besuche in Australien ist sie so sehr daran gewöhnt, die Fliegen wegzujagen, dass sie das auch woanders nicht lassen kann!

      Es war die erste Woche im Oktober. Überall verkündeten Anschläge, dass in Perth am nächsten Sonntag ‚Oktoberfest‘ sei. Die Australier brauchten nicht mehr nach München zu fliegen, das Oktoberfest kam zu ihnen! Und da es in München in der letzten Septemberwoche abgehalten wird, kann der australische Jet Set es sogar zwei Mal feiern! Sogar der Münchener Bürgermeister käme, der Stellvertretene zumindest, der andere befand sich nach den Wies‘n Strapazen auf einer Schrotkur. Und es gäbe Münchener Bier, den echten Löwenbräu! Seit ich in Australien bin, habe ich erkannt, dass hier Bier das Nationalgetränk ist. Sie halten sich sogar für die Weltmeister im Bierkonsum. Dass die Münchener dasselbe von sich behaupten, empfinden sie als eine Anmaßung. Denen würden sie es zeigen! Was die Münchener in einer Woche zusammensaufen, würden sie in einem Tag schaffen!

      Ein solch kulturelles Ereignis wollte ich mir nicht entgehen lassen! Ich hatte mich früh genug auf den Weg gemacht, um auch nichts zu verpassen. Ich trampte. Zufällig fuhren die Insassen des Autos, das bald anhielt, auch dorthin. Es schien, als ob alle Autos dorthin fuhren. Und von überall her. Auf dem Parkplatz sah ich auch Fahrzeuge von anderen Bundesstaaten. Ich hatte bisher nicht gewusst, dass die Australier so viel für Kultur übrig haben! Das Ganze sollte in einem Sportstadion statt-finden. Ohne Bierzelt, unter freiem Himmel. Regnen tut es in Perth eigentlich nie. Vielleicht einmal alle fünf Jahre. Die Vorbereitungen waren fast abgeschlossen. Mittags sollte es losgehen. Überall stiegen Rauchsäulen in den makellosen Himmel. Die Australier sind die Meister des BBQ, des Barbecues, des Grillfleisches. Ich fühlte mich etwas an Benares erinnert. Ganze Ochsen drehten auf Spießen, Hammel, Schweine, Hähnchen. Hier würde bald dem Bacchus geopfert werden, dem Gott der Trinker und Esser. Priester in von Blut befleckten Metzgerschürzen vollzogen ernsthaft und genau das Ritual. Auch anderes Essbares wurde vorbereitet, Tische standen in langen Reihen bereit, mit Bänken auf jeder Seite, um die vom Trinken ermüdeten Esser zu verköstigen. Ein paar Planen waren gespannt, um Schatten zu spenden. In einem Eck des Stadions war sogar ein Karussell und Schaukeln für die Kinder. Man hatte wirklich an alles gedacht. Sogar die Toiletten und Umkleideräume waren dem Anlass entsprechend umgerüstet worden! Alle Spiegel waren abgebaut worden. Alle Türen waren entfernt. Also freier Zutritt zum Abtritt! Damit die auf die auf die Bierflut folgende Urinflut auch bewältigt werden konnte, waren an den Wasserhähnen Schläuche angeschlossen, aus denen Wasser über die gefliesten Fußböden lief. Dieses sollte den aus Dringlichkeit auch anderswo abgelassenen Urin den Gullis zuführen. Denn diese Räumlichkeiten waren dazu gemacht, zwei Mannschaften aufzunehmen und nicht tausende von akuter Inkontinenz befallene Besucher eines kulturellen Ereignisses! Aber so weit sind wir noch nicht.

      Im Moment hielt der Bürgermeister von Perth eine Rede. Vor lauter Danksagungen wollte diese kein Ende nehmen. Dann der Stellvertretende Bürgermeister von München. Auf Münchnerisch natürlich. Diese musste übersetzt werden und dauerte dadurch doppelt so lange. Aber es hörte sowieso niemand zu. Bei dem Lärm waren selbst die Lautsprecher nicht zu verstehen. Dann