HIPPIE TRAIL - BAND 2. Wolfgang Bendick

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Название HIPPIE TRAIL - BAND 2
Автор произведения Wolfgang Bendick
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742797063



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Fristen. Die ortsansässigen Theologen werden wissen, wie lange eine Seele herum-irrt, bevor sie ins Paradies oder einen anderen Körper einziehen kann. Tatsache ist, dass sie hungrig ist, und mindestens einmal im Jahr ernährt werden will und mit Theater und Musik vergnügt. Denn der Geistzustand scheint nicht immer angenehm zu sein. Verfehlungen hat sich jeder zuschulden kommen lassen. Und so feiern Lebende und Tote zusammen. Immer wieder bringen besorgte Familien leckerste Speisen. Doch da darf man noch nicht dran. Nur die Geister. Wichtig ist, dass bis zum Morgen alles verschwunden sein muss. Also wie Weihnachten, nur dass hier der Gabentisch geräumt wird! Zum Glück gibt es die Armen, die die Aufgabe der Ahnen übernehmen. Oder Reisende, wie ich oder Klaus, den ich vor einer improvisierten Bühne treffe.

      Die Musikanten, die vor der Bühne auf der Straße sitzen, sind dabei, sich etwas einzuspielen. Hinter den Kulissen bewegt es sich auch. Langsam sammeln sich die Menschen. Dann geht’s los! Während das Orchester eine kleine Ouvertüre spielt, Flöte, Hörner, Streichinstru-mente, Pauken, Xylophone sich zu einer melodischen, chinesischen Melodie vereinigen, erscheint mit einem Sprung der erste Schauspieler auf der Bühne. Pracht-volles, glitzerndes Kostüm, eine kunstvolle Maske vor dem Gesicht oder spitze, goldbordierte Kappen auf dem Kopf, samtene, feingearbeitete Schnabelschuhe an den Füßen. Dann erscheinen nach und nach die anderen Akteure, ebenso prachtvoll ausstaffiert. Diese singen zu ihrer Darbietung, oder sie spielen schweigend, und spezielle Sänger oder Sprecher begleiten deren Handlung. Jede Bewegung, vor allem die der Hände und Füße wird fast bis ins Groteske betont, scheint eine bestimmte Symbolik zu haben. Graziöse, trippelnde Tänze wechseln mit Schwertänzen, wo die Funken nur noch so fliegen. Tragödien aus der Dämonenwelt lösen mit Gesangsvorführungen ab. Das Orchester ist voll im Element. Sie scheinen mit den Darstellern im Wettstreit zu liegen, wer hier der Hauptakteur ist. Ihre Instrumente wirken auf den ersten Blick primitiv. Die Xylophone, in allen Größen, mal liegend oder stehend, setzen sich aus verschiedengroßen, durch Schnüre verbundene Bambus-plättchen zusammen. Offene, tönerne Gefäße oder Kale-bassen sind darunter als Klangverstärker aufgehängt. Die Trommeln, Pauken, Gongs, Zimbeln, alles sieht nach Handarbeit aus und hat vielleicht dadurch diesen ‚chinesischen‘ Klang. Dazu Saiteninstrumente, die sitarähnlich klingen und andere Zupfinstrumente, Blas-instrumente aus Holz und Metall, alle mit dem spezifisch ost-asiatischen Klang. Und an vielen Plätzen des Städtchens fanden ähnliche Aufführungen statt. Laut war sie natürlich auch, diese Musik, musste sie ja sein, denn die Geister waren sicher nicht nur hungrig, sondern auch schwerhörig. Eine andere Art von Theater waren die Marionetten-Aufführungen. Diese gab es mit von oben durch Fäden bewegte Puppen, wie bei uns, und andere, die von unten her mit Stöcken bewegt wurden. Hier waren die Orchester entsprechend kleiner, und das Publikum manchmal auch. Auch entdeckte ich eine Abweichung dieser Marionettenspiele, das Schatten-theater. Hier bewegten sich die Figuren hinter einer dünnen Leinwand, aus dem Hintergrund mit einem Projektor angestrahlt. Für uns Zuschauer waren nur die Silhouetten zu sehen. Und die wunderbaren, nebeligen, chinesischen Hügellandschaften.

      Klaus und ich lassen uns von dem Menschenstrom durch die Stadt tragen. Je später es wird, umso mehr lichten sich die Gassen, die Musikanten decken ihre Instrumente ab. Wir gehen näher an den Altären vorbei und naschen mehr oder weniger heimlich von den Leckerbissen. Klaus wohnt, wie es der Zufall will, nur dreihundert Meter von mir entfernt, in einer Pfahlbausiedlung, die aber auf dem festen Land steht, nicht im Wasser. Es sieht so aus, als sei diese für Touristen bestimmt. Auf jeden Fall ist er der einzige Bewohner dieser Siedlung. Für den Preis meines Zimmers hat er ein ganzes Haus, sagen wir mal Hütte. Auf Bambus, aus Bambus, mit geflochtenen Wänden und einem Binsendach. Er lädt mich ein auf einen ‚Gute-Nacht-Joint‘. Er hatte auf dem Markt etwas Buddhagras erstanden. Es ist ähnlich einer gepressten Ähre aus schmalen Blättchen, darin ein paar Samenkörnchen, ist leicht klebrig und riecht harzig. Rundum ist es von einem dünnen Grashalm umwickelt. Es erinnert mich sehr an das Gras in Pokhara. Ich habe meine Meerschaumpfeife und den Tabak von der Rajula einstecken, er hat nur Papierle. Vorsichtshalber macht jeder eine Mischung. Er fachmännisch eine dreiblättrige Tüte, ich eine Pfeife. Los geht’s! Wir fangen mit seinem Joint an. Der erste Zug endet bei mir als auch bei ihm mit einem Hustenanfall. Dann schauen wir, dass wir mit dem Rauch zugleich etwas Frischluft inhalieren. Irgendeine Zigarettensorte hatte so was mal auf den Markt gebracht, die ‚Zigarette mit der Frischluftzone‘. Ich glaube, Reno, mit den scheußlichen Mentholzigaretten. Es müsste vorperfo-rierte Blättchen geben! War schon der erste Zug umwerfend, auch wenn wir das vor lauter Husten nicht gleich bemerkten, so hören wir jetzt die Englein singen! Oder den Chor der hungrigen Geister. Es ist wunderschön. Die Bambushütte knistert leise im schwachen Seewind, man könnte meinen, sie flüstert. Nur verstehen wir nicht ganz die Sprache. Das muss ein Südwind sein. Ich höre ein Klavier in der Nachbarschaft, liebliche, verlockende Töne. Aber das ist ja unmöglich, fällt mir ein, so eine Bambushütte würde nie das Gewicht eines Klaviers aushalten! Alles wird zu Klang, selbst die Dunkelheit. Und durch das Dachgeflecht sehen wir die Sterne glitzern, oder sind es die Regentropfen, die wie Funken über das Dach perlen? Wir vergessen den Joint im Aschenbecher, vergessen die Pfeife. Wir sind weg!

      Die durch das Flechtwerk fallende Sonne weckt uns. Die Feuchtigkeit des nächtlichen Regens bildet leichte Nebelschwaden über dem Boden, wie ein seichtes Meer, aus dem die Pfähle der Hütten aufragen. Die Vögel in den Palmen und Unterholz, bisher still, um nicht unsere Ruhe zu stören, legen jetzt los, wie am Vorabend die Orchester. Ein paar Kormorane oder andere Wasservögel krächzen vom Ufer ihren Sonnengesang. Von Singapur hallt das Tuten eines Ozeanriesens über die Bucht. WOW, was für eine Nacht!

      Ich lade ihn zum Müsli ein, bei mir in der Herberge. In einem Laden habe ich im Vorbeigehen eine Flasche Milch gekauft und ein kleines Stück Kernseife. Was für ein Luxus nach den paar Monaten ohne! Dann gehen wir zum Fischerhafen. Ich fühle mich unwahrscheinlich wohl bei dem Geruch von Schlamm, Fisch und Wasser. Die Menschen gehen alle wie Ameisen ihren Beschäfti-gungen nach. Wir zwei sind die Einzigen, die nichts tun. Wir sitzen auf der Mole und machen uns unsichtbar. Am Nachmittag gehen wir in ein Kino. Anscheinend gibt es hier auch Vorführungen für die hungrigen Geister. Es sind fast alle Plätze besetzt. Die hungrigen Geister werden sich auf den wenigen unbesetzten zusammen-drängen müssen. Die chinesischen Filme sind so übertrieben, dass sie gar nicht wie Kitsch erscheinen, sondern wie eine Kunst für sich. Meist sind das Filme mit viel Kampf wo Köpfe fliegen. Zum Glück überleben auch hier immer die Guten, wenn diese auch oft in so bedrängliche Situationen geraten, dass der ganze Saal vor Angst kreischt. Ein Schwertkämpfer verteidigt eine schöne Prinzessin gegen eine Horde Wüstlinge. Doch diese setzen dem Helden gehörig zu. Von allen Seiten zischen die Hiebe heran, die Klingen knallen, die Funken sprühen unter den Hieben, und wenn alle denken, diesmal ist es um den Armen geschehen, fasst der sich an seinem nach oben gebundenen Haarschopf und zieht sich in die Luft, von wo aus er den Bösen schnell den Garaus macht. Oder der Held kann fliegen, wie Supermann, doch in einem exotischen Dekor, bevölkert von bunt geschminkten Mädchen, die alle ein Schönheitsmal auf der Backe haben. Abends dann wieder Straßentheater und Volksmusik bis spät in die Nacht.

      Am nächsten Morgen schlafe ich aus. Dann wasche ich meine ganze Wäsche. In der Herberge läuft gerade mal warmes Wasser in der Dusche. Das muss ich ausnutzen. Ich fülle ein Waschbecken damit, hoble mit dem Messer Seifenflocken hinein und tauche meine Lumpen ein. Da mir ja nur ein Wäschestück von jedem bleibt, wickle ich das Moskitotuch um meinen Bauch. Alles gut durchkneten, eine Weile gären lassen, nochmals kneten, bis das Wasser schön schwarz ist, wegschütten, zweimal durchspülen, auswringen und raus auf eine Leine. Bis zum Abendessen ist alles trocken. Klaus kommt vorbei. Er hat in einer Gasse eine Opiumhöhle ausfindig gemacht. Er will das gerne mal probieren, und ob ich mitkomme. Wenn ich nicht rauchen will, dann zumindest aufpassen, dass alles glatt geht. Er hat wie ich null Ahnung wie das ist. Aber ‚Probieren geht über Studieren‘ hatte man uns als Kindern schon beigebracht. Klar, dass ich dabei bin! Denn Süd-Ost-Asien zu verlassen, ohne Opium geraucht zu haben, das wäre ja wie im Hofbräuhaus ein Cola zutrinken! Oder so ähnlich jedenfalls. Ich habe etwas Bedenken wegen unserer Wertsachen. Aber, wenn man es genau nimmt, dann habe ich ja gar keine mehr! Das Schiffsticket ist auf meinen Namen, die restlichen 20 Dollar sind Travellerschecks, und meinen Pass, na ja, den wird mir heute grad auch niemand klauen! Vorsichtshalber stecke ich alles in meine frisch gewaschene Unterhose. Zu irgendwas muss das Waschen ja gedient haben! Bis auf den Brustbeutel mit dem