DUNKLE GEHEIMNISSE. Irene Dorfner

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Название DUNKLE GEHEIMNISSE
Автор произведения Irene Dorfner
Жанр Языкознание
Серия Leo Schwartz
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783748591146



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Metall, die Leo nicht alle identifizieren konnte. Wenn man einige Bilder genauer betrachtete, konnte man mit viel gutem Willen ein Gesicht oder eine Hand erkennen, aber bei den Skulpturen musste er passen. Für ihn war das alles nur Müll.

      Während sich Diana für die Kunstwerke zu interessieren schien, sah sich Leo in dem Raum um. Er registrierte die vielen Tassen, Teller und Gläser, die auf jeder noch so kleinen, freien Ablagefläche abgestellt wurden. In einem Eck stapelten sich Pizzakartons und leere Flaschen. Dass es sich vorwiegend nur um Alkohol handelte, wunderte ihn nicht. Frau Giesinger schien es egal zu sein, was sie trank, denn auf eine Richtung schien sie nicht festgelegt zu sein, auch beim Wein nicht. Er wollte einen Blick aus dem kleinen Fenster werfen, trat aber unwillkürlich zurück, als er die vielen Spinnweben und toten Fliegen sah. Leo hätte kotzen können, was die Künstlerin zu bemerken schien.

      „Ich brauche das Chaos für meine Inspirationen. Meine Tochter meckert deswegen schon seit Jahren. Sie ist spießige Beamtin, was weiß die denn schon von Kunst! Ich habe mehrfach versucht, Hermine an die Kunst heranzuführen, wofür sie aber kein Gespür hat, leider. Was glauben Sie, was wir hätten gemeinsam schaffen können? Stattdessen machte sie ihr Abitur und hat studiert. Jetzt unterrichtet sie die Kinder fremder Menschen und ist einem engen Beamtenkorsett gefangen, anstatt das Leben zu genießen. Aber jeder so, wie er will!“ Sie lachte und trank den Wein aus dem Glas in ihrer Hand in einem Zug. Dann ging sie auf die Suche nach der Flasche.

      „Was sagen Sie nun zu meinen Kunstwerken? Verstehen Sie etwas davon, oder tun Sie nur so?“ Frau Giesinger hatte die Flasche gefunden und nachgeschenkt. Dann sah sie Diana abschätzend an.

      „Ich interessiere mich für Kunst, verstehe aber nicht so viel davon wie Sie, das müssen Sie mir nachsehen. Einige Ihrer Werke sind sehr ansprechend.“

      Diana warf Leo einen flehenden Blick zu. Er musste sie aus der Situation befreien, was er sehr gerne machte. Er musste endlich darauf zurückkommen, warum sie hier waren. Diese vermeintliche Kunst war ihm völlig egal.

      „Ihre Tochter Hermine wurde heute tot aufgefunden“, sagte er laut.

      Frau Giesinger starrte ihn an.

      „Hermine ist tot?“ Sie nahm einen Schluck aus der Flasche und füllte das Glas in ihrer Hand. „Aber das geht doch nicht, Hermine darf nicht tot sein. Wer kümmert sich jetzt um mich?“ Tränen liefen ihr übers Gesicht.

      Diana war nicht sicher, ob sie der Tochter oder sich selbst galten.

      Leo und Diana warteten. Normalerweise gab es jede Menge Fragen von Seiten der Hinterbliebenen, aber die gab es nicht. Frau Giesinger stand nur da. Sie rauchte und trank, zu mehr schien sie nicht fähig zu sein.

      „Dürfen wir uns im Zimmer Ihrer Tochter umsehen.“

      Frau Giesinger nickte.

      „Wo ist das Zimmer?“, hakte Diana nach.

      „Ihr Bereich ist in der oberen Etage, ich bewohne das Erdgeschoss.“

      Leo ging zur Tür.

      „Können wir die Frau allein lassen?“, flüsterte Diana ihm zu.

      „Warum nicht? Sie hat ihren Alkohol und ihr Selbstmitleid, mehr braucht sie im Moment nicht.“

      Diana war erschrocken, so hart kannte sie Leo bisher nicht. Sie folgte ihm die Treppe nach oben, wo ihnen ein ganz anderes Bild geboten wurde. Hermine Giesinger lebte sehr gemütlich. Alles war ordentlich und sauber, was Leo sehr gefiel. Er hatte schon Angst gehabt, sich auch hier durch Dreck und Chaos wühlen zu müssen. Die Durchsuchung dauerte nicht lange. Leo nahm einige Ordner und Fotos mit.

      „Kein Handy und keine Handtasche.“

      „Ich habe auch nichts dergleichen gefunden.“

      „Lass uns gehen, ich möchte nur noch weg. Ich ertrage Frau Giesinger nicht länger.“

      „Was ist denn los mit dir?“

      „Diese Frau ist eine Egoistin, die sich einen Dreck für ihre Tochter interessiert hat. Sie auf ihre Kosten gelebt hat und hat sie nur ausgenutzt.“

      „Das weißt du doch noch nicht.“

      „Wollen wir wetten? Diese Unterlagen werden es beweisen. Das Schicksal ihrer Tochter kümmert sie nicht, sie macht sich nur Sorgen um sich selbst. Das widert mich an.“

      „Vielleicht kann sie ihre Gefühle nicht ausdrücken oder ist geschockt von der Todesnachricht, die du ihr nicht gerade schonend mitgeteilt hast.“

      „Die Frau versteht nur klare Ansagen, mit Mitgefühl brauchst du bei ihr nicht zu rechnen.“

      „Und wie kannst du dir da so sicher sein?“

      „Du magst einige Psychologiekurse besucht haben, die sicher nicht schlecht waren. Aber ich habe etwas, das du noch nicht haben kannst: Menschenkenntnis. Ich sage dir, dass sie die erste ist, die sich nach dem Erbe erkundigt. Wollen wir wetten?“

      „Bist du heute zum Wetten aufgelegt?“ Diana drehte sich um und ging. Konnte sie sich in der Frau so täuschen? Nein, das war nicht möglich, so kalt konnte keine Mutter sein. Oder doch? Sie brauchte Gewissheit und startete einen letzten Versuch.

      „Wir sind soweit fertig. Ich möchte Ihnen mein aufrichtiges Beileid aussprechen, Frau Giesinger. Wenn Sie Ihren ersten Schock überwunden haben und Fragen zum Tod Ihrer Tochter auftauchen, können Sie mich gerne jederzeit anrufen.“ Sie gab ihr eine Visitenkarte, die Frau Giesinger achtlos zur Seite legte. „Sie sollten in Ihrem Zustand nicht allein bleiben. Gibt es Familie oder Freunde, die Ihnen beistehen können?“

      „Jaja“, sagte sie nur. Sie suchte nach Leo. „Sie sind doch auch Beamter, oder irre ich mich?“

      „Ja, ich bin Kriminalbeamter.“ Leo ahnte bereits, was jetzt kommen würde.

      „Ich habe keine Ahnung, wie das Gesetz das bei Tod regelt. Wie lange nach dem Tod werden Bezüge weiterbezahlt? Gibt es da eine einheitliche Regelung oder gelten für Beamte im Schuldienst eigene Richtlinien? Und gibt es einen Zuschuss für die Beerdigungskosten? Verstehen Sie mich nicht falsch, aber ich habe nicht die Mittel für eine Beerdigung, die ja wohl ich übernehmen muss.“

      Leo zuckte nur mit den Schultern, drehte sich um und ging.

      Diana war erschrocken, mit solchen Fragen hatte sie nicht gerechnet. Leo lag völlig richtig mit seiner Einschätzung.

      „Das ist die gefühlskälteste Frau, die ich je getroffen habe. Du hattest Recht, Leo, du hast die Wette gewonnen.“

      „Ich wäre sehr froh gewesen, wenn ich mich geirrt hätte, das kannst du mir glauben. Mir tut die Tochter leid, die mit einer solchen Mutter leben musste.“ Leo dachte an seine eigene Kindheit in einem liebevollen Elternhaus. Für ihn war das immer selbstverständlich gewesen, was es aber nicht war. Er hatte das Glück gehabt, seinen Eltern noch zu Lebzeiten dafür danken zu können. Noch immer hatte er das verlegene Gesicht seines Vaters vor Augen. Die Tränen seiner Mutter sah er, bevor sie sie rasch abwischen konnte und das Thema wechselte. Warum konnten nicht alle Eltern so sein?

      „Seppilein?“

      „Monika? Was willst du?“ Sepp Laubmayer erschrak, als er die Stimme der Frau hörte, der er am liebsten den Hals umdrehen würde: Monika Giesinger. Seit einem kurzen, aber heftigen Verhältnis vor sechsunddreißig Jahren meldete sie sich sporadisch immer wieder. Nicht, weil sie an ihm hing, sondern nur, weil sie Geld wollte. Sepp Laubmayer bereute nur eine Sache in seinem Leben: Dass er sich auf diese Blutsaugerin eingelassen hatte. Seit dieser Erfahrung war er mit der Wahl seiner Geliebten vorsichtiger gewesen, er hatte aus seinem Fehler gelernt.

      „Deine Tochter ist tot.“

      „Was? Aber….“

      „Die Polizei war gerade hier. Hermine wurde ermordet. Sie ist tot! Hast du verstanden?“

      „Das ist traurig für dich, Monika, mein aufrichtiges Beileid.“

      „Das kannst du dir sparen. Du hast dich nie für deine Tochter