DUNKLE GEHEIMNISSE. Irene Dorfner

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Название DUNKLE GEHEIMNISSE
Автор произведения Irene Dorfner
Жанр Языкознание
Серия Leo Schwartz
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783748591146



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und ohne ein Wort in den Papierkorb geworfen. Wir haben alle gelacht. Dafür hat sie uns einen Test scheiben lassen. Das war blöd, aber der Spaß hat sich trotzdem gelohnt.“ Erst lachte er, dann weinte er wieder. Der Tod der Lehrerin ging ihm sehr nahe.

      Leo ging zu Tatjana. Ob sie bereits wusste, um wen es sich bei dem Opfer handelte?

      „Sie hatte keine Papiere bei sich, wir müssen ihr Bild veröffentlichen“, empfing Tatjana den Kollegen.

      „Das wird nicht notwendig sein, einer der Jungs kennt die Frau. Es ist eine Hermine Giesinger, vermutlich wohnhaft in Mühldorf.“

      Hans gab die Daten sofort weiter.

      „Woher kennt der Junge die Frau?“

      „Es ist seine Englischlehrerin.“

      „Der arme Kerl.“

      „Ja, das kann man wohl sagen. Die Eltern sind bereits verständigt. Mal sehen, wer hier auftaucht und sein Kind abholt. Die beiden werden sicher wegen dem Gewehr mächtig Ärger bekommen. Wir sollten die Eltern bitten, sich zurückzuhalten. Die Kinder stehen unter Schock, ich habe einen Arzt und einen Psychologen gerufen. Wo bleiben die denn?“

      Langsam näherte sich ein Fahrzeug. Leo ging darauf zu. Wenn es sich um die Eltern handelte, musste er vorher mit ihnen sprechen. Eine Frau Mitte vierzig stieg aus. Man konnte sehen, dass sie geweint hatte.

      „Leo Schwartz, Kripo Mühldorf“, wies sich Leo aus.

      „Windisch, Helga Windisch. Ich suche meinen Sohn Ben.“ Sie sah Leo fragend an.

      „Ihrem Sohn geht es soweit gut. Er hat einen Schock, der Arzt müsste jeden Moment hier sein. Der Seelsorger ist auch unterwegs. Bitte erlauben Sie ihm, dass er mit Ihrem Sohn spricht.“

      „Natürlich erlaube ich das! Was ist eigentlich passiert?“

      „Ihr Sohn hat zusammen mit seinem Freund Ludwig eine Leiche gefunden.“

      „Um Himmels Willen!“ Jetzt entdeckte sie ihren Sohn, der wie ein Häufchen Elend auf einem Baumstumpf saß. „Was wollte Ben im Wald?“

      „Er war hier, um mit Ludwig Schießübungen zu machen. Das Gewehr hat sein Freund dem Vater entwendet.“

      „Schießübungen mit einem echten Gewehr?“

      „Ich bitte Sie, ihm jetzt nicht sofort Vorwürfe zu machen. Versprechen Sie mir das?“

      „Sicher. Kann ich zu ihm?“

      „Ich bitte darum.“ Leo sah der Frau hinterher. Sie lief auf ihren Sohn zu und nahm ihn einfach nur in die Arme. Beide weinten. Jetzt endlich kam der Arzt, der sich sofort um die Jungs kümmerte. Wo blieben denn Ludwigs Eltern? Und wo war der Psychologe? Es verging eine weitere halbe Stunde und Leo hatte genug von der Warterei. Die Adresse der Toten in Mühldorf lag vor, außerdem gab es inzwischen einige Eckdaten, die nicht unwichtig waren. Das Opfer war ledig und hatte keine Kinder, lebte aber mit der Mutter unter einem Dach.

      „Ich würde gerne mit der Mutter der Toten sprechen, wir müssen ja nicht alle hier herumstehen“, sagte er zu Tatjana, die jede Minute mit einem Hinweis des Kollegen Fuchs rechnete, der ihnen vielleicht weiterhelfen könnte.

      „Geh nur“, sagte sie. „Nimm Diana mit.“

      Diana hörte ihren Namen und reagierte sofort. Sie hatte Mutter und Sohn ihre Privatsphäre gelassen. Sie stand abseits und beobachtete die traurige Szene. Während sich die Mutter liebevoll um den Sohn kümmerte, saß Ludwig traurig daneben und hielt Ausschau nach seinem Vater. Auch, als der Arzt mit ihm sprach, blickte er sich immer wieder um. Eine Mutter hatte Ludwig nicht mehr, die war gestorben, als er noch sehr klein war. Sein Vater hatte verboten, über die Mutter zu sprechen, was ihn sehr belastet. Mehr hatte sie in der kurzen Zeit nicht herausbekommen.

      Diana stand Augenblicke später am Wagen und sah zu, wie Leo seine Stiefel notdürftig säuberte.

      „Warum sind deine Schuhe nicht dreckig?“, wollte Leo wissen, der nicht glauben konnte, dass diese hellen, hochhackigen Schuhe keinen Dreck abgekommen hatten.

      „Ich habe Augen im Kopf und passe auf, wo ich hintrete“, lachte sie. „Können wir dann?“

      Auf dem Waldweg kam ihnen ein SUV entgegen, der viel zu schnell unterwegs war.

      „Spinnt der?“, schimpfte Leo, der Mühe hatte, den Wagen unter Kontrolle zu halten, denn er musste dem SUV ausweichen.

      „Ich habe das Kennzeichen, um den Wagen kümmern wir uns später. Wie ist das mit den Todesnachrichten? Hast du dich im Laufe deiner Berufsjahre daran gewöhnt?“

      „Daran gewöhnt man sich nie.“

      „Wie gehst du vor?“

      „Keine Ahnung. Ich lass die Situation auf mich zukommen.“

      „Das ist eine seltsame Taktik.“

      Leo hatte tatsächlich keine Ahnung, wie er der Mutter den Tod der Tochter beibringen sollte. Wie würde die alte Frau die Nachricht aufnehmen?

      Hans unterhielt sich mit einem Uniformierten. Bis er merkte, dass Leo und Diana aufbrachen, war es zu spät. Anstatt hier herumzustehen, hätte er viel lieber Leo begleitet.

      Der SUV fuhr auf die Einsatzfahrzeuge der Polizei zu und hielt mitten auf dem Waldweg. Ein Mann Mitte fünfzig sprang heraus.

      „Wer ist hier zuständig?“, rief er laut.

      Tatjana ging auf ihn zu.

      „Das bin ich. Struck, Kripo Mühldorf. Und wer sind Sie?“

      „Pechstein. Mein Sohn Ludwig soll hier sein. Wo ist er? Warum halten Sie ihn hier fest? Was wird ihm vorgeworfen? Das eins klar ist: Ich werde meinen Sohn auf der Stelle mitnehmen. Das wird Konsequenzen haben, darauf können Sie sich verlassen! Mein Sohn ist erst zehn Jahre alt, was fällt Ihnen eigentlich ein?“ Der Mann schnaubte vor Wut.

      „Sind Sie fertig?“

      „Sie können doch nicht einfach….“

      „Was wir können und nicht können, dürfen Sie gerne uns überlassen. Sie beruhigen sich auf der Stelle. Es wird doch möglich sein, dass man sich mit Ihnen vernünftig unterhalten kann!“

      „Wie soll ich denn ruhig bleiben, wenn Sie meinen zehnjährigen Sohn wie einen Schwerverbrecher behandeln.“

      „Tun wir das? Wissen Sie überhaupt, was hier los ist?“

      „Nein. Sie hatten es bisher ja nicht für nötig gehalten, mich zu informieren.“

      „Wenn Sie den Mund halten und zuhören würden, bekäme ich vielleicht endlich die Gelegenheit, Sie in Kenntnis zu setzen. Wenn Sie es allerdings vorziehen, weiterhin haltlose Vorwürfe von sich zu geben, dann bitte.“

      „Ich habe vielleicht etwas überreagiert.“

      „Ihr Sohn hat bei gemeinsamen Schießübungen mit seinem Freund eine Leiche entdeckt. Das Gewehr konnten wir sicherstellen, ebenso den Rest der Munition.“

      „Schießübungen? Auf diese Idee ist sicher dieser Ben gekommen. Ich habe meinem Sohn den Umgang mit diesem Jungen ausdrücklich verboten! Er kommt aus der Gosse und passt nicht zu uns. Mir war sofort klar, warum sich Ben an meinen Sohn rangemacht hat. Er hat die Labilität und Naivität meines Sohnes ausgenutzt. Und natürlich möchte er sich an unserem Reichtum laben, das kennt man ja. Na warte, der Bursche wird mich kennenlernen!“ Valentin Pechstein hatte seinen Sohn und Ben entdeckt. Er war drauf und dran, zu den beiden zu gehen, aber Tatjana hielt ihn zurück.

      „Sie bleiben hier und beruhigen sich! Ich habe kein Problem damit, Sie vorläufig festzunehmen, wenn Sie sich nicht augenblicklich zusammenreißen!“

      „Wie würden Sie denn reagieren, wenn Ihr Kind Umgang mit einem solchen Subjekt hätte? Mein Ludwig ist ein anständiger, labiler Junge, der leicht zu beeinflussen ist. Würden Sie zuschauen, wenn Ihr Sohn in die Kriminalität gezogen würde?“