DUNKLE GEHEIMNISSE. Irene Dorfner

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Название DUNKLE GEHEIMNISSE
Автор произведения Irene Dorfner
Жанр Языкознание
Серия Leo Schwartz
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783748591146



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ich doch, oder?“

      „Klar.“

      Die Munitionsschachtel war fast voll, es fehlten nur wenige Schuss. Erst waren Bäume das Ziel, dann nahmen sie sich Äste vor. Abwechselnd gaben sie einen Schuss nach dem anderen ab. Nachdem sie anfangs über die Lautstärke der Schüsse erschrocken waren, gewöhnten sie sich schnell daran. Bald war ihnen der Knall vertraut. Auch Ludwig lud das Gewehr und wurde immer sicherer mit dem Umgang der Waffe – und immer mutiger mit den Zielen.

      „Ich versuche, den Vogel dort zu treffen“, sagte Ludwig und legte an.

      „Den Vogel? Den triffst du niemals, der ist doch viel zu klein.“

      „Das schaffe ich schon.“

      Beide waren leise, sie wollten den Vogel nicht aufscheuchen. Ludwig zögerte. Sollte er wirklich ein Tier erschießen? Die Verlockung war groß, trotzdem hatte er Skrupel.

      „Nun mach endlich“, drängelte Ben.

      „Jetzt lass mich doch!“ Ludwig wollte den Vogel nicht mehr erschießen. Zum einen, weil er viel zu weit weg war, und zum anderen, weil er kein Mörder sein wollte. Er brauchte ein neues Ziel.

      „Was überlegst du denn so lange? Drück endlich ab!“

      Dann gab es einen lauten Knall, den Ludwig nicht verursacht hatte. Beide erschraken.

      „Was war das?“

      „Keine Ahnung“, schrie Ben hysterisch. „Vielleicht haben wir jemanden getroffen. Lass uns verschwinden!“

      „Ich habe nicht geschossen, das weißt du genau!“, schrie Ludwig.

      „Es ist etwas Schreckliches passiert, das kann ich spüren. Lass uns abhauen!“

      „Reiß dich zusammen! Wir haben nichts gemacht!“

      Jetzt war es Ludwig, der sehr viel vernünftiger und ruhiger reagierte, als der sonst so coole Ben, der sogar schon heimlich rauchte. „Ich bin mir sicher, dass der Knall von dort hinten kam. Vielleicht war das kein Schuss, sondern nur irgendein Knall, der sich ähnlich anhört.“

      „Das war ganz sicher ein Schuss! Ich möchte nicht ins Gefängnis, ich will nicht!“ Jetzt heulte Ben auch noch. „Bitte lass uns von hier verschwinden!“

      „Gut, wir gehen. Aber wir nehmen diesen Weg zurück.“

      „Du willst dort vorbeigehen?“

      „Ja.“ Ludwig war nicht so mutig, wie es den Anschein hatte. Er wollte sich vergewissern, dass das kein Schuss war. Der Knall musste eine andere Ursache habe. Und solange er sich davon nicht überzeugte, würde er keine Ruhe finden.

      Das passte Ben zwar nicht, trotzdem gab er nach. Während Ludwig voraus ging, heulte Ben nicht mehr, er schluchzte nur noch. Er begann zu beten, wobei ihm kein vernünftiges Gebet einfallen wollten. Wann waren sie endlich raus aus diesem verdammten Wald? Er schwor, nie wieder eine Waffe anzufassen, wenn alles gut ausgehen würde. Er malte sich die schlimmsten Szenarien aus und vermutete hinter jedem Baum und jedem Busch einen Schützen. Seine Gebete wurden immer lauter.

      „Was faselst du denn die ganze Zeit?“, herrschte Ludwig ihn an. „Halt endlich die Klappe!“ Er ging ganz langsam und hielt dabei die Waffe im Anschlag. Ben ging ganz dicht hinter ihm.

      „Wenn es stimmt, dass das ein Schuss war, dann könnte der Schütze immer noch hier sein. Wir sollten in Deckung gehen. Oder wir drehen um und verschwinden so schnell wie möglich.“

      „Jetzt hör endlich auf mit dem Gejammer!“ Ludwig war selbst überrascht, wie mutig er auf einmal war. Das lag sicher auch an der Waffe, an der er sich festklammerte. Aber noch mehr lag es daran, wie sich Ben verhielt. Wer war denn jetzt das Kleinkind?

      Es ging nur langsam voran. Ben sprach weiter leise alle Gebete, die ihm einfielen und ging Ludwig damit mächtig auf die Nerven. Dann blieb Ben auf einmal stehen.

      „Was ist?“

      „Da liegt jemand“, flüsterte er.

      „Du spinnst doch! Komm jetzt, wir gehen weiter!“

      „Nein, da hinten liegt jemand!“, schrie Ben hysterisch. Seine Stimme war erschreckend laut in dem sonst so stillen Wald.

      Genervt drehte Ludwig um.

      „Wo denn?“

      „Da!“

      Jetzt sah auch Ludwig ganz deutlich einen Arm und ein Bein, die unter dem Laub hervorlugten. Kalkweiß hob sich beides vom dunklen Waldboden ab. Ludwig ging darauf zu.

      „Was machst du denn?“

      „Ich will mir ansehen, ob das echt ist. Es könnte ja auch eine Puppe sein.“

      Ben folgte ihm.

      „Wer würde denn eine solch große Puppe unter Laub verstecken?“

      „Keine Ahnung. Menschen sind verrückt, dass weißt du doch.“

      Ganz langsam näherten sie sich der fraglichen Stelle. Je näher sie kamen, desto höher stieg die Angst, aber die Neugier war größer. Ludwig nahm das Gewehr und stieß vorsichtig gegen den Arm, der eindeutig einer Frau gehörte. Zart und dünn lag er auf dem kalten Boden. Dann klopfte Ludwig gegen den Arm. Zur Sicherheit stieß er auch vorsichtig gegen das Bein.

      „Das ist kein Plastik.“

      „Der ist echt, das habe ich doch gesagt“, schrie Ben. „Das ist keine Puppe.“

      Jetzt kniete sich Ludwig neben die Leiche und begann, das Laub und die Äste zur Seite zu schieben.

      „Was machst du da? Lass uns verschwinden!“

      Aber Ludwig hörte nicht auf seinen Freund. An dieser Stelle müsste der Kopf der Frau sein. Als er das Gesicht sah, erschrak er. Die geöffneten Augen starrten ihn an. Unwillkürlich wich Ludwig zurück.

      „Das ist Frau Giesinger“, stammelte er. „Sie hat ein Loch in der Stirn.“

      „Du kennst die Frau?“

      „Meine Englischlehrerin.“ Mehr konnte Ludwig nicht sagen, denn er musste sich übergeben.

      Als Ben sich der Leiche näherte, das Gesicht und auch das Loch auf der Stirn sah, wurde ihm ebenfalls schlecht.

      „Hauen wir ab!“, sagte Ben und drehte sich zu seinem Freund um. Fassungslos sah er zu, wie der sein Handy nahm.

      „Was machst du?“

      „Ich rufe die Polizei, was sonst.“

      „Spinnst du? Wir haben ein echtes Gewehr und jede Menge Munition dabei. Wie willst du das erklären?“

      „Das ist im Moment doch völlig egal! Hier liegt eine Leiche und das müssen wir der Polizei melden. Soll ich meine Lehrerin einfach hier im Wald liegenlassen?“ Unbeirrt wählte Ludwig die Notrufnummer, wobei er heftig zitterte.

      Ben wurde hysterisch. Er schrie und weinte wie ein kleines Kind.

      „Und wenn wir die Frau erschossen haben?“

      „Haben wir nicht!“

      „Und wenn doch? Wenn es einen Querschläger gab? Ich will nicht ins Gefängnis! Ich bin vierzehn und damit strafmündig!“

      „Reiß dich jetzt endlich zusammen! Wir haben die Frau nicht getötet. Das hat jemand gemacht, der die Leiche auch zugedeckt hat.“

      Das leuchtete Ben ein und er wurde ruhiger. Er bekam am Rande mit, wie Ludwig telefonierte. Es dauerte nicht mehr lange, und die Polizei war hier. Das gab auf jeden Fall Ärger zuhause, das war klar. Ob es auch rechtliche Konsequenzen gab?

      Die beiden wurden durch ein Fernglas beobachtet. Auch, dass einer der Jungs telefonierte, wurde wohlwollend zur Kenntnis genommen. Sehr gut! Was für ein Glücksfall, dass die beiden Jungs Schießübungen machten. Die beiden hatten nicht gekniffen und hatten die Leiche wie geplant entdeckt. Nicht mehr lange,