DUNKLE GEHEIMNISSE. Irene Dorfner

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Название DUNKLE GEHEIMNISSE
Автор произведения Irene Dorfner
Жанр Языкознание
Серия Leo Schwartz
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783748591146



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      Die Beamten der Mühldorfer Kriminalpolizei waren dreißig Minuten später am Tatort. Friedrich Fuchs, Leiter der Spurensicherung, war als erster am Fundort eingetroffen. Es war seit dem letzten Fall nicht viel los gewesen und er hatte sofort reagiert, als ihn die Nachricht erreichte. Ohne mit den Kindern auch nur ein Wort zu wechseln hatte er sofort das Gewehr an sich genommen. Ja, die Kinder hatten geweint und wollten mit ihm sprechen, aber dafür war er nicht qualifiziert und das war auch nicht seine Aufgabe. Er war froh, als endlich die Kollegen eintrafen. Fuchs hatte die Fundstelle der Leiche weiträumig abgesperrt und jedem verboten, auch nur einen Fuß in die abgesperrte Zone zu setzen.

      Diana Nußbaumer, die neue Kollegin der Mühldorfer Kripo, schien hier völlig fehl am Platz zu sein. Heute war sie ganz in apricot gekleidet, was sich vom grün-braun des Waldes abhob. Das Etuikleid passte perfekt zu den hochhackigen Schuhen, der Handtasche, dem Schmuck und dem Band im blonden Haar. Ja, sie gab sich viel Mühe und legte sehr viel Wert auf ihr Äußeres, was aber Leo Schwartz gegen den Strich ging. Der Vierundfünfzigjährige mochte die Frau, aber mit diesem Spleen hatte er seine Probleme. Er verstand nicht, wie man Zeit und vor allem Geld in Outfits stecken konnte. Zufrieden bemerkte er die neidvollen Blicke der Kollegen, die offenbar sein neues T-Shirt mit dem Aufdruck von David Bowie bewunderten. Dazu trug er wie immer Jeans, seine Lederjacke und die Cowboystiefel, mit denen er nun durch den Dreck gehen musste. Vorsichtig achtete er auf jeden seiner Schritte, denn er hatte keine große Lust darauf, sie putzen zu müssen.

      Der siebenundfünfzigjährige Hans Hiebler war leger gekleidet. Er sah immer so aus, als würde er sich gerade im Urlaub befinden, was auch an der Sonnenbrille lag, die er die meiste Zeit bei sich trug. Darüber hinaus umgab ihn auch heute wieder ein Duft, den vor allem Leo als sehr aufdringlich empfand. Da Hans bei dem herrlichen Wetter helle Slipper trug, war auch er von dem Ort des Einsatzes nicht begeistert.

      Tatjana Struck war das völlig egal. Die Leiterin der Mordkommission stapfte mit ihren rustikalen Schuhen einfach drauf los. Die fünfundvierzigjährige gebürtige Frankfurterin war das genaue Gegenteil der neuen Kollegin. Sie kleidete sich zweckmäßig und ihr war es auch egal, dass heute ein dicker Kaffeefleck auf ihrem ungebügelten T-Shirt leuchtete.

      „Ihr beide kümmert euch um die Jungs“, wandte sie sich an Leo und Diana. „Du kommst mit mir, Hans.“ Sie und Hans gingen direkt auf die Absperrung zu. „Was haben Sie für uns, Kollege Fuchs?“

      Friedrich Fuchs verdrehte die Augen. Konnte man ihn nicht ein einziges Mal in Ruhe seine Arbeit machen lassen? Musste man ihn immer wieder stören, bevor er so weit war und einen umfassenden Bericht abgeben konnte? Aber mit Verständnis konnte er bei den Kollegen nicht rechnen, die waren immer in Eile. Warum? Die Leiche lief ihnen schließlich nicht davon.

      „Und? Was ist nun?“, drängelte Tatjana, die den Kollegen Fuchs kannte. Wenn man nicht penetrant war, sagte der kein Wort.

      „Es handelt sich um die Leiche einer Frau Mitte dreißig. Bei der Todesursache bin ich mir nicht sicher.“

      „Sie hat eine Schusswunde auf der Stirn, das sehe ich doch von hier!“

      „Ja, ihr wurde in den Kopf geschossen. Ob das aber todesursächlich war, kann ich nicht bestätigen.“

      „Hä? Ich verstehe kein Wort. Lassen Sie sich doch nicht immer jedes Wort aus der Nase ziehen!“

      „Die Kugel hat sie hier an Ort und Stelle getroffen, sie ist am Hinterkopf ausgetreten. Geschoss und Hülse haben wir unter und neben der Leiche sichergestellt. Aber gegen einen Mord genau hier spricht, dass das Blut fehlt. Können Sie mir folgen?“

      „Sie meinen, sie war bereits tot, als auf sie geschossen wurde?“

      „Exakt. Natürlich muss man das durch eine Obduktion bestätigen, aber Sie können davon ausgehen, dass das der Richtigkeit entspricht.“

      „Woran starb die Frau dann?“

      Fuchs hob die Absperrung und bat Tatjana Struck, mit ihm zur Leiche zu gehen. Hans Hiebler wollte folgen, aber Fuchs hielt ihn zurück.

      „Sie nicht, Herr Hiebler! Es reicht, wenn Frau Struck alles durcheinander bringt und meinen Mitarbeitern und mir dadurch die Arbeit erschwert.“

      Tatjana stand vor der Leiche und erschrak, als sie die offenen, stahlblauen Augen anstarrten. Aber sie riss sich zusammen, denn vor Fuchs wollte sie keine Schwäche zeigen.

      Fuchs kniete sich neben die Leiche und zog den Kragen der weißen Bluse zur Seite.

      „Sehen Sie die Würgemale?“

      „Ja. Sie wurde also erwürgt.“

      „Das ist meine vorläufige Annahme.“

      „Wir gehen also von einem Mann als Täter aus?“

      „Warum denken immer alle, dass Männer die Täter sind, sobald man bei der Tötungsart Kraft aufwenden muss? Auch Frauen sind durchaus in der Lage, auf diese Weise zu töten.“

      „Hatte sie irgendetwas bei sich? Eine Tasche oder vielleicht sogar einen Ausweis?“

      „Nein.“

      „Wir haben es also mit einer Unbekannten zu tun. Wie wurde sie hierher gebracht?“

      „So weit sind wir noch nicht. Wenn Sie erlauben, würde ich mich gerne wieder an die Arbeit machen und meine Mitarbeiter unterstützen, schließlich habe ich genug Zeit vertrödelt.“

      Inzwischen kümmerten sich Diana Nußbaumer und Leo Schwartz um die beiden Jungs. Nachdem die Personalien festgestellt waren, informierte Leo die Eltern der beiden. Ludwig und Ben standen unter Schock, deshalb rief Leo auch einen Arzt und einen Psychologen hinzu. Die beiden hatten Schreckliches gesehen, das es irgendwie zu verarbeiten galt.

      Ludwig und Ben hatten nicht lange auf Hilfe warten müssen, aber die Minuten kamen ihnen unendlich vor. Seit Ludwig die Polizei gerufen hatte, sprachen die beiden kein Wort mehr miteinander. Dass sich Ben in die Hosen gemacht hatte, hatte er nicht bemerkt. Er wollte nur nach Hause zu seiner Mutter.

      „Ihr habt die Leiche gefunden?“, begann Diana Nußbaumer vorsichtig. Sie war mit ihren achtundzwanzig Jahren sehr zielstrebig und wollte in ihrem Beruf noch sehr weit kommen. Auch deshalb hatte die ausgebildete Kampfsportlerin mehrere Psychologieseminare belegt, die sie selbst bezahlt hatte.

      „Wurde sie erschossen?“, wollte Ben wissen, den diese Frage ununterbrochen beschäftigte. Für ihn war es immer noch möglich, dass er oder Ludwig für den Tod der Frau verantwortlich war.

      „Das wissen wir noch nicht“, sagte Leo und klopfte dem Kleinen auf die Schulter. Wie alt mochten die beiden sein? In seinen Augen waren das noch Kinder.

      Ludwig dachte keine Sekunde daran, irgendwelche Geschichten zu erzählen, sondern sagte die Wahrheit. Detailliert berichtete er, was geschehen war.

      „Wo ist das Gewehr?“, fragte Leo, der sich an seine eigene Kindheit erinnerte, in der er auch so manche Dummheit gemacht hatte. Allerdings hatte er nie etwas mit Waffen zu tun gehabt, was schon eine ganz schöne Hausnummer war.

      „Das habe ich dem kleinen, alten Mann dort gegeben“, zeigte Ludwig auf Fuchs, der ganz in seine Arbeit vertieft war.

      Leo und Diana mussten sich ein Schmunzeln verkneifen. Fuchs war noch nicht so alt wie er aussah. Ob sie ihm sagen sollten, wie ihn der Junge beschrieben hatte?

      Diana sprach beruhigend auf die beiden ein. Leo war beeindruckt und hielt sich zurück. Bis er etwas hörte, was ihn aufhorchen ließ.

      „Ich bin so erschrocken, als ich Frau Giesinger sah.“

      „Du kennst die Tote?“, hakte Leo sofort nach.

      „Ja, das ist Frau Giesinger, meine Englischlehrerin.“

      „Weißt du, wo sie wohnt?“

      „Ich glaube in Mühldorf, aber ich bin mir nicht sicher.“

      „Wie ist ihr Vorname?“

      „Hermine,