DUNKLE GEHEIMNISSE. Irene Dorfner

Читать онлайн.
Название DUNKLE GEHEIMNISSE
Автор произведения Irene Dorfner
Жанр Языкознание
Серия Leo Schwartz
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783748591146



Скачать книгу

und wurde nicht weggesperrt? Und erzählen Sie mir nicht irgendeinen Mist über eine schwere Kindheit, eine Dummheit oder irgendwelchen psychologischen Scheiß, den Ihnen sowieso niemand glaubt. Hier muss man hart durchgreifen, darauf bestehe ich!“

      Hans hatte wie alle anderen alles gehört, denn Pechstein sprach sehr laut. Hans hatte das beschlagnahmte Gewehr geholt und hielt es dem aufbrausenden Choleriker vor die Nase.

      „Kommt Ihnen das bekannt vor?“

      Valentin Pechstein war irritiert.

      „Aber das ist ja…. Nein, das kann nicht sein!“ Fassungslos starrte er Hans an, der sich einen gewissen Triumpf nicht verkneifen konnte.

      „Ja, das ist Ihr Gewehr. Ihr Sohn hat es zusammen mit der Munition an sich genommen. Die Schießübungen waren seine Idee.“

      „Ludwig war das? Der kann jetzt was erleben!“

      „Wenn Sie den Jungen anfassen oder auch nur dumm anreden, bekommen Sie mächtig Ärger. Ihr Sohn hat eine Leiche gefunden und sofort die Polizei verständigt. Und das, obwohl er wusste, dass das mit dem Gewehr herauskommen würde. Er hat absolut richtig und für sein Alter sehr erwachsen und vernünftig reagiert. Jeder andere wäre davongelaufen und hätte sich verkrochen, aber nicht Ihr Sohn. Er hat die Leiche einer Frau gefunden, die er auch noch sehr gut kennt. Ihrem Sohn geht es nicht gut, was jeder hier nachvollziehen kann. Sie gehen jetzt da rüber und sind für Ihren Sohn da. Werden Sie Ihrer Aufgabe als Vater gerecht.“

      Diese Ansage verfehlte ihre Wirkung nicht. Pechstein war auf einen Schlag sehr ruhig.

      „Ludwig kennt die Tote?“

      „Ja. Es ist seine Englischlehrerin.“

      „Frau Giesinger?“

      „Ja. Und jetzt gehen Sie endlich zu Ihrem Sohn, er wartet schon sehr lange auf Sie. Er braucht Sie jetzt mehr als alles andere.“

      Alle sahen dem Mann hinterher, der mit seinem teuren Anzug und den sauberen Schuhen wie alle anderen durch den Dreck waten musste.

      „Was für ein Trottel“, sagte Hans.

      „Wenn du den als Vater hast, brauchst du keine Feinde. Der arme Junge.“ Tatjana bedauerte Ludwig noch mehr, als sie es schon getan hatte. Er war erst zehn und hatte bereits schon mit mehr Problemen zu kämpfen, als andere in ihrem gesamten Leben.

      Unbeholfen näherte sich Pechstein seinem Sohn. Anstatt ihn in die Arme zu nehmen, klopfte er ihm nur auf die Schulter. Zumindest schrie er ihn nicht an, aber er sagte auch nicht viel. Ob der Vater seinem Sohn wirklich so eine große Hilfe war? Alle bezweifelten es.

      Fuchs war endlich fertig mit der Arbeit und alle konnten gehen. Leider hatte er keinen Ermittlungsansatz für die Kriminalbeamten, was vor allem Tatjana sauer aufstieß. Es war verschenkte Zeit gewesen, hier zu warten.

      Der Psychologe kam erst jetzt, was allen furchtbar gegen den Strich ging.

      „Dr. Bentz“, stellte er sich Hans knapp vor. „Wo sind die Patienten?“

      „Sie kommen reichlich spät!“ Tatjana konnte sich den Vorwurf nicht verkneifen.

      „Das tut mir sehr leid, aber es ging nicht anders. Ich stehe auf der Bereitschaftsliste, habe aber trotzdem Patienten, die Vorrang haben. Wenn Sie mir jetzt freundlicherweise sagen würden, wo sich meine Patienten befinden?“

      „Die beiden Buben sind dort hinten, die Eltern sind bereits da.“

      „Das hätten Sie nicht erlauben dürfen. Soweit ich informiert bin, gibt es Anlass für Vorwürfe von Seiten der Eltern, was man nicht zulassen darf. Die Kinder befinden sich in einem Schockzustand, aus dem man sie langsam und behutsam herausführen muss!“ Dr. Bentz war sauer. Er hasste es, wenn man sich in seine Arbeit einmischte.

      „Dann hätten Sie früher hier sein müssen!“

      „Das machen Sie sich zu einfach, Frau Kommissarin. Sie wären dafür verantwortlich gewesen, die Kinder zu separieren.“

      „Sie können mich mal. Gehen Sie endlich zu den Jungs und machen Sie Ihre Arbeit!“

      Tatjana drehte sich um und ging.

      „Dem hast du es aber gegeben“, lachte Hans, der wie alle anderen die Unterhaltung verfolgt hatte. „Was für ein Wichtigtuer.“

      „Bereits der dritte heute, der mir blöd kommt. Mal sehen, was der Tag noch bringt.“

      3.

      Das Zuhause der Toten lag abgelegen am östlichen Rand Mühldorfs. Die Zufahrt war abenteuerlich, denn es ging über einen holprigen Weg voller Schlaglöcher. Diana sah sich um und war erschrocken, denn die Wiesen und Felder waren schon lange nicht mehr bewirtschaftet worden. Alles sah heruntergekommen und verwahrlost aus. Leo Schwartz und Diana Nußbaumer standen vor einem alten Bauernhaus, das schon bessere Tage gesehen hatte. Mit einer solchen Bruchbude hatten beide nicht gerechnet. Es gab keine Klingel, also klopfte Leo – und das viel zu heftig für die morsche Tür, die drohte, nachzugeben.

      „Was wollt ihr hier?“ Eine Frau um die siebzig stand vor ihnen. Sie trug eine Latzhose, ein altes, farbverschmiertes T-Shirt und hatte ein buntes Tuch um den Kopf geschlungen. In ihrem Mundwinkel hing eine selbstgedrehte Zigarette.

      „Frau Giesinger?“

      „Wer will das wissen?“

      Die beiden wiesen sich aus. Leo konnte den Alkohol riechen. Unwillkürlich sah er auf die Uhr. Es war noch nicht mal Mittag.

      „Was wollt ihr Bullen hier?“

      „Es geht um Ihre Tochter“, begann Leo vorsichtig, obwohl er nicht den Eindruck hatte, dass diese unfreundliche Frau zart besaitet war.

      „Hermine ist nicht hier. Es sind Osterferien und sie hatte irgendetwas vor. Was, weiß ich nicht mehr, ich habe ihr nicht zugehört. Was ist mit Hermine? Hat sie etwas angestellt? Das kann ich mir nicht vorstellen. Meine Tochter ist immer korrekt und anständig, was ich stets bedauert habe. Sie kommt ganz nach ihrem Vater, von mir hat sie rein gar nichts. Ich bin schon immer ein Freigeist gewesen, der sich an keine Vorschriften hält und der sich nichts vorschreiben lässt. Ich lebe in und durch meine Kunst.“

      „Sie sind Malerin?“ Diana sah sofort, dass sie es mit einer dominanten Persönlichkeit zu tun hatten.

      „Ich bin Künstlerin. Ich male, lege mich aber nicht nur darauf fest. Sobald ich eine Inspiration habe, muss ich sie umsetzen, egal mit welchem Material. Dabei ist mir der Tag, der Ort oder die Uhrzeit völlig egal. Ich bin ein spontaner Mensch, der sich in seiner Kreativität auslebt. Es gibt Gefühle und Eingebungen, die ich nur in Ton oder Holz ausdrücken kann, oder auch in Bildern. Das kann man nicht erklären, das muss man fühlen. Es ist eine Gabe, die nicht viele haben. Ich habe in Paris, Rom und London gelebt, habe viele Künstler kennengelernt, einige davon habe ich auch geliebt.“ Sie lachte und zog an ihrer Zigarette. „Ich gehöre zu der Generation der 68er und propagiere die freie Liebe, was sich auch auf meine Werke niederschlägt.“ Das laute Lachen hallte auf dem chaotischen Innenhof.

      Diana war davon überzeugt, dass diese Frau sehr egoistisch war. So einem Menschen war sie noch nie begegnet und war dementsprechend begeistert. Leo war nur genervt von dem Gehabe und dem Gefasel der Frau, die sich um ihre Tochter offenbar keine Gedanken machte.

      „Wir müssen Ihnen mitteilen, dass Ihre Tochter….“ Weiter kam Leo nicht, denn Frau Giesinger unterbrach ihn. Auch wenn offensichtlich war, dass es nicht um sie, sondern um ihre Tochter ging, schien ihr das egal zu sein.

      „Kommen Sie, ich zeige Ihnen einige meiner Werke.“ Sie ging ins Haus. Auf dem Flur warf sie ihre Zigarettenkippe einfach auf den gefliesten Boden und ging achtlos weiter. Leo konnte nicht anders. Er hob sie auf, drückte sie aus und steckte sie in einen Blumentopf, in dem schon längst nichts Lebendiges mehr war.

      Frau Giesinger führte die Beamten in einen riesigen Raum, der aus mehreren Zimmern bestand, zwischen