Название | Das Leben auf der anderen Seite |
---|---|
Автор произведения | Jörg Nitzsche |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783738020779 |
Mein Erlebnis beim russischen Militär
Ich habe insgesamt doch recht schlecht geschlafen, mich die gesamte Nacht von einem Ohr auf das andere gewälzt. Ich mußte das Fenster dann doch mal öffnen, aber dann wurde es höllisch laut, weil die Russen mit ihren schweren Militär-Brummern direkt vor meinem Fenster lang pesen. Die Motoren haben eine unwahrscheinliche Lautstärke. Selbst normale Dieselfahrzeuge sind hier viel schlechter abgedämpft. Also mußte ich das Fenster auch aus diesem Grunde wieder schließen. Ich stehe daher viel zu früh auf. Es ist 6 Uhr am Dienstag Morgen und ich stehe nicht gerade stramm, aber schlafen ist einfach nicht mehr möglich. Meine Tante ist leicht verwundert mich schon jetzt zu sehen, sie liest sich wie jeden Morgen durch ihre Bücher, bis sie selber los muß. Wir frühstücken zusammen, es gibt aufgewärmte Brötchen die mir ausgezeichnet schmecken. Für's Frühstück nehmen sich die beiden viel Zeit, und haben auch morgens immer gut aufgedeckt. Diese Auswahl an Konfitüren und Käse ist überwältigend. Wenn ich ahnen könnte was mir heute noch bevor steht könnte ich das hier fast als eine Henkersmahlzeit mir zuliebe verstehen. Vielmehr, so haben sie mir gestern Abend schon erzählt, ist Essen für sie Luxus gewesen, den sie sich immer gerne geleistet haben. So gehört zum Beispiel Käse zu einer ihrer Leidenschaften. Auch jetzt am Morgen strahlt mir eine ausgezeichnete Käseauswahl entgegen. Ich habe noch nie Harzer am Morgen gegessen. Ich hatte immer gedacht, mir würde schon beim bloßen Anblick am frühen Morgen davon schlecht werden. Schmeckt aber ausgezeichnet. Auch alles andere schmeckt mir gut, der Kaffee kommt außerdem von mir. Meine Tante empfiehlt mir, da das Wetter super zu werden scheint, mich in den Straßen umzuschauen. So nimmt die Geschichte ihren Lauf. Warum habe ich bloß die Kamera mit genommen? Im Nachhinein hätte ich mich Ohrfeigen können. Draußen dagegen strahlt mir schon die Sonne angenehm ins Gesicht, und nach kurzem Brainstorming laufe ich ohne Plan und Gedankenlos die Carl-Schorlemmer-Straße zum anderen Ende hin. Auf linker Seite der Straße, wo auch mein Onkel und meine Tante wohnen, stehen einige Reihen hintereinander diese gleichen zweistöckigen Mietskasernen. Dann, vielleicht dreihundert weiter hausen die russischen Soldaten mit ihren Familien. Schön verwahrlost, denke ich beim Vorübergehen. Das ist auch so ein Kakerlakenvolk welchem jeglicher Sinn für Wohnkultur abgeht, denke ich so vor mich hin. Wieso haben die keine Kultur? Die konnte sich aufgrund der vielen Revolutionen scheinbar nicht mehr richtig entwickeln. Dabei gab es im 19.Jahhundert eine bemerkenswerte Musik- und Kulturszene in St. Petersburg und Moskau. Die Menschen aber kamen selten zur Ruhe und das ist auch heute noch so. Wenn ich den Sozialismus als eine Kultur bezeichnen müßte, dann ist es eine Kultur der eigenen Selbsterniedrigung. Wie sonst soll man diese asozialen Bedingungen an ihren eigenen Landsleuten verstehen. Propagieren sich gerne auf Weltniveau und hausen wie die Schweine. Ich weiß nicht ob das ein Gag von meiner Tante war aber sie meinte mal, daß hier neu stationierte Russen nicht wußten wozu Toiletten dienen sollten und wuschen statt dessen ihr Gemüse im Schnellwaschgang darin. Dafür hatten sie ursprünglich die Waschmaschinen genommen, die jetzt auf der Straße landeten weil sie überflüssig wurden. Ne, das ist nun wirklich ein Scherz von mir. Die Straße endet mit einem Mal und führt als Sandweg weiter. Alles was sich meinem Blick vor mir eröffnet wirkt recht befremdlich, etwas Verbotenes zu tun übermannt mich. Längs des Sandweges stehen linksseitig noch Schrebergärten und gleich im Anschluß erblicke ich ein mit Stacheldraht umzäuntes Militärgelände. Erkennbar an dem Wachturm der gut 30m von mir entfernt steht. Eine Soldatenmarionette in Form eines jugendlichen Soldaten darin, dem der Dreck seit Wochen auf der Haut zu kleben scheint. Er beachtet mich kaum. Der ausgetretene Feldweg verläuft direkt am Zaun entlang. Ich gehe geradeaus in Richtung Westen bis zur nächsten Ecke wo das Militärgelände in diese Richtung ebenfalls endet. Da hinter Zaun und Wachturm noch eine unüberschaubare Mauer steht, kann ich die Ausmaße des Geländes nur erahnen, aber es scheint nur ein kleines quadratisches Gelände zu sein. Von der besagten Ecke sehe ich in einiger Erfahrung die nächste Ecke des Militärgeländes und einen weiteren Wachturm. Ich denke mir nicht viel dabei, und bewege mich unbekümmert in Richtung Süden weiter an diesem Zaun entlang. Zwischendurch muß ich zwar gelegentlich größere Schritte unternehmen um irgendeiner Unebenheit auszuweichen, aber allgemein ist es ein gut ausgetretener Weg. Weiter weg höre ich Düsenjäger starten, das muß der Russische Militärflughafen sein von dem mir mein Onkel erzählt hat. Das Militärgelände zu meiner Linken wirkt dafür auch etwas klein zum Landen und Starten. Das Schild vor dem Zaun – Spruch ist nur auf Deutsch: „Sperrgebiet – Unbefugten ist das Betreten, befahren und die bildliche Darstellung verboten. Zuwiderhandlungen werden bestraft.“ Meine Gedanken kreisen währenddessen nach Leipzig, zur Messe aber hauptsächlich zu Corina und Catharina die ich heute besuchen will. Obwohl es im Grunde auf den einen oder anderen Tag nicht wirklich ankommt. Meine beiden Begleiterinnen aus Bulgarien. Wir haben uns schon mehrmals geschrieben und sogar angemeldet