Название | Eine ungeheure Wut |
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Автор произведения | Elena Landauer |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783847619109 |
Sie beugte sich vor und gab mir einen Kuss.
Zum Abendessen waren wir wieder mit Julian verabredet. Wir holten ihn in seiner Festung ab und fuhren in das Lokal, wo ich schon mit Julian die Erledigung der Unfallkosten gefeiert hatte. Judith konnte sich natürlich nicht verkneifen, Julian nach den Gründen für die Schutzmaßnahmen um sein Haus zu fragen. Ob er Goldschätze dort aufbewahre oder Leichen in seinem Keller verstecke? Julian wirkte aber nicht gekränkt, sondern verwies auf die Ängstlichkeit seiner früheren Frau. Beim Essen verlief die Unterhaltung ähnlich wie im Auto: Judith erzählte, inzwischen auch schon überwiegend auf Deutsch, was es alles an Absonderlichem in den USA gab. Immerhin hatten wir manchmal Gelegenheit eine Frage zu stellen, wenn sie gerade mal den Mund voll hatte. Als Erstes ging es um die Tischsitten. Sie sei versucht gewesen, erzählte Judith, als die Suppe serviert worden sei, die Hände unter dem Tisch zu falten und still zu beten. Das habe ihre Familie nämlich getan, wenn sie in ein Restaurant gegangen seien. Zu Hause sei aber immer laut gebetet worden, vor und nach dem Mittagessen, ebenso vor und nach dem Abendessen. Nur zum Frühstück sei nicht gebetet worden. Das habe man verzehren dürfen, ohne Gott um seinen Segen zu bitten oder ihm zu danken. Sie seien aber selten in ein Restaurant gegangen, weil ihre Mom und ihr Dad gerne gekocht hätten, und zwar gut und gesund. Es habe keineswegs jeden Tag Fast Food gegeben, wie wir vielleicht denken würden. Es gebe auch Amerikaner, die nicht nur von Hamburgern und Pommes und Cola lebten; aber natürlich seien die meisten Amerikaner übergewichtig, nicht aber ihre Familie. Dann ging es um die Schule, ihre Lehrer, ihre Freunde, dann wieder um die Rundreise. Julian stellte am Anfang einige Fragen, wurde dann aber immer stiller.
Schließlich meinte Judith: „Ich glaube, ich rede zu viel, Julian wird schon ganz schläfrig.“ Julian protestierte. Es sei ein Vergnügen, ihr zuzuhören; aber er sei wohl in der Tat ein wenig müde. Er entschuldigte sich und bat darum, es ihm nicht übel zu nehmen, wenn er vorzeitig nach Hause ginge. Er wirkte trotz der aufgesetzten Heiterkeit traurig und verließ das Lokal mit hängenden Schultern.
Judith war in den folgenden Tagen kaum noch zu sehen. Sie traf sich mit ihren Freundinnen und Freunden, und bald begann auch die Schule. Ich war schon froh, wenn sie wenigstens beim Abendessen und am Wochenende zu Hause war.
Was mich von Tag zu Tag mehr verwirrte war die Tatsache, dass Julian mich nie zu sich einlud. Wenn wir uns privat trafen, geschah das immer bei mir. Ich überlegte, ob ich ihn fragen sollte, ob er vielleicht, wie Judith gescherzt hatte, tatsächlich eine Leiche im Haus habe, unterließ es aber, um ihn nicht unter Druck zu setzen. Schließlich sagte er von sich aus, es sei doch komisch, dass ich noch nie in seinem Haus gewesen sei, und lud mich für den nächsten Tag ein. Begrüßt wurde ich zunächst vom wütenden Gebell seines Hundes, der sich am Zaun aufrichtete und mir sein Gebiss zeigte, und vom grellen Licht des Bewegungsmelders. Ich hatte schon Angst auf die Klingel zu drücken, weil ich befürchtete, dann ginge ein neues Donnerwetter los. Ich musste es aber erst gar nicht tun, weil Julian schon das Gartentor öffnete.
Die Wohnung war groß und hell, besonders das Wohnzimmer, das recht karg, aber geschmackvoll eingerichtet war: eine breite Glasfront zum Garten hin, vor der jetzt der Hund stand und durch Knurren auf sich aufmerksam machte, ein Esstisch mit vier Stühlen, ein Sofa mit Beistelltisch, ein Sideboard, ein paar Bilder und ein Bücherregal, das eine Wand verdeckte. Auffälligstes Mobiliar war ein Klavier rechts an der weißen Wand. „Du spielst Klavier?“, fragte ich ihn. „Hin und wieder“, sagte er. Ich bat ihn, mir etwas vorzuspielen. Er zierte sich nicht lange, sondern fragte mich, was es denn sein solle. Ich überließ ihm die Auswahl. Ich habe wenig Ahnung von Musik, lasse mich aber gerne von ihr einfangen. Julian spielte etwas Träumerisches, das mich über eine verschneite Landschaft fliegen ließ. Ich hatte aber auch Zeit, mich im Wohnzimmer umzusehen. Über dem Klavier waren zwei helle Stellen, an denen offenbar vor nicht allzu langer Zeit Bilder gehangen hatten. Die Nägel darüber waren noch nicht entfernt. Dann überließ ich mich wieder meinen Traumbildern. „Schläfst du?“, fragte Julian plötzlich. Ich hatte mit geschlossenen Augen auf dem Sofa gesessen, sodass ich gar nicht bemerkt hatte, dass er nicht mehr spielte. „Du hast mich zum Träumen gebracht“, sagte ich, „es war sehr schön.“
„Hast du etwas dagegen, wenn ich den Hund mal hereinhole, damit er mit dir Freundschaft schließt?“, fragte Julian. „Ich möchte nicht, dass er dich auch künftig ankläfft, wenn du mich besuchst.“
„Wenn es hilft und er mich nicht beißt.“
„Keine Sorge!“
Er ließ den Hund durch die Terrassentür herein und stellte mich als Freundin vor. Der Hund war nun ganz ruhig und kam zu mir, um sich ein wenig kraulen zu lassen. Ich mag eigentlich keine Hunde; ich liebe Katzen. Mit Hunden muss man sich dauernd beschäftigen, weil sie so auf ihren Herrn fixiert sind, ihn dauernd anstarren und auf seine Befehle warten. So ein Verhalten ist mir zu sklavisch. Katzen dagegen können sich gut alleine beschäftigen und auf Befehle reagieren sie allergisch. Wenn sie Lust haben, kommen sie und lassen sich streicheln; wenn sie keine haben, bleiben sie weg. Und wenn man eine Katzenklappe zum Garten hin hat, hat man mit ihnen keine Arbeit. Hunde sind dagegen nicht nur eine Belastung für ihre Besitzer, die sie alle paar Stunden Gassi führen müssen, sondern ein Alptraum für Jogger, weil diese Kläffer, besonders die kleinen, immer zeigen müssen, wie gefährlich sie sind. Dieser Hund hier benahm sich aber ordentlich.
„Wie heißt er denn?“, fragte ich.
„Theo.“
„Theo? Seltsamer Name für einen Hund.“
„Er hat gewisse Ähnlichkeit mit meinem Onkel Theo.“
Ich stellte mir Onkel Theo vor, und das ließ ihn nicht vorteilhaft erscheinen: vorstehender Unterhiefer, Sabber in den Mundwinkeln und Haare auf dem Rücken. Er war aber so gut wie der erste Verwandte Julians, von dem ich erfuhr.
„Was ist denn das da an der Tür?“, fragte ich.
„Der Monitor? Der gehört zu der Kamera, die den Eingangsbereich überwacht.“
Vielleicht entglitt mir in diesem Moment ein Hmm, so ein Hmm, das oben in der Tonskala anfängt und dann noch etwas weiter nach oben geht. Jedenfalls fuhr er fort: „Du wunderst dich vielleicht darüber, dass ich so etwas in dieser friedlichen Gegend brauche. Meine Frau wollte so etwas haben. Sie war ein wenig ängstlich.“
„Daher auch der Zaun und der Wachhund?“
„Was soll ich machen? Ich kann den Zaun vorläufig nicht abbauen, weil der Hund Auslauf braucht, und ich will ihn nicht in ein Tierheim geben.“
„Dein Haus hat im Dorf einen Spitznamen“, sagte ich, „Fort Knox.“
„Nicht schlecht“, meinte er, „aber Gold ist hier nicht zu holen.“
Sein lockerer Ton ermunterte mich, ihn ein wenig auszufragen. „Gab es einen besonderen Grund, warum deine Frau so ängstlich war?“
„Sie ist einmal überfallen worden.“
„Wo?“
„In unserem Haus in Lima.“
„Ist ihr etwas passiert?“
Julian zögerte einen Moment. „Man hat sie in den Keller gesperrt und sie musste warten, bis einer, ich meine ich, nach Hause kam. Die Einbrecher haben mitgenommen, was sie gebrauchen konnten.“
Ein etwas peinliches Erlebnis einige Monate später ließ mich daran zweifeln, dass es nur seine Frau war, die von diesem Einbruch mitgenommen war. Es war im späten Herbst. Wir saßen wieder einmal bei ihm im Wohnzimmer, draußen tobte ein wilder Sturm, begleitet von Blitz und Donner, als plötzlich die Terrassentür erzitterte. Theo, der nachts und bei schlechtem Wetter im Haus war, sprang auf und bellte die Tür an. Julian schob mich vom Sofa und rief „Hinlegen!“ Er selbst robbte zum Lichtschalter und machte dunkel. Dann versteckte er sich hinter dem Sofa, was ich mehr hörte als sah. Ich kroch zu ihm hin und schaute dann an der einen Seite des Sofas in Richtung Terrasse, genau so wie der Hund, der immer noch bellte. Im Schein eines Blitzes erkannte ich aber, dass niemand