Haustiere. Claudia Gürtler

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Название Haustiere
Автор произведения Claudia Gürtler
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742782144



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Liebe auf den ersten Blick. Er sprang sie an und riss sie zu Boden. Seine riesigen Pfoten drückten auf ihre Brust, heiss streifte sein Atem ihr Gesicht, und klebriger Speichel tropfte in ihre frisch gewaschenen Haare.

      „Hierher, Trampel, Platz, willst du wohl ... „ rief Ted. Er sah, dass Lis vor Entsetzten unfähig war, sich zu rühren. Trampel wandte ihm kurz den mächtigen, zottigen Kopf zu. Seine Lefzen waren zurückgezogen, als grinse er. Beherzt griff Ted in das zottige Fell und befreite Lis.

      „Komm, Liebes“, versuchte Ted sie abzulenken, „gehen wir erst mal hinein. Sicher willst du dir alles ansehen. Und natürlich bist du gespannt wie ein Regenschirm auf dein Geburtstagsgeschenk, nicht wahr? Ja, und stell dir vor, die Party findet hier statt. Wir müssen uns nicht in ein enges Restaurant quetschen. Ich habe an alles gedacht. Also kommt mit und lass dich überraschen.“

      Tatsächlich! Es geschahen Zeichen und Wunder. Der in Haushaltsdingen sonst so unbeholfene Ted hatte einen Picknickkorb mitgebracht, der keinen Wunsch offenliess. Lis erfuhr allerdings später, dass seine Laborantin ihn gepackt hatte.

      Stumm liess sie sich ins Haus führen. Nach Trampels Liebesbezeugung und ihrem Sturz brummte ihr Kopf und sie fühlte sich unendlich müde. Als Ted ihr Geburtstagsgeschenk aus einem der unendlich vielen Zimmer holte, weinte sie leise, anstatt, wie es sonst ihre Art war, laut und wütend zu protestieren. Strahlend überreichte ihr Ted zwei grosse Werkzeugkisten. Sie enthielten alles, was sein Herz begehrte, Nägel und Schrauben in grossen Packungen, Bohrer, Feilen, Sägen, Schleifpapier und Metermass.

      „Damit“, versprach Ted, „werden wir aus diesem Anwesen ein Paradies machen, unser Paradies. Jeder ist, wie das Sprichwort sagt, seines eigenen Glückes Schmied.“ Er wollte ihr das gezackte Blatt der Kreissäge wie eine Opfergabe in die geöffnete Hand legen. Sie aber schloss schnell die Finger zur Faust und sagte eisig: „Ich möchte jetzt die Kinder abholen.“

      Ted war verstimmt, und sie fuhren den langen Weg zurück, ohne ein Wort zu wechseln. Wenige Tage später bezogen sie das Haus, so wie es war. Ted war zuversichtlich, die nötigen Reparaturen und Änderungen im Handumdrehen ausführen zu können, und auch Lis’ Pessimismus ging zu dem Zeitpunkt noch nicht so weit, dass sie annahm, sie werde den Rest ihres Lebens auf einer Baustelle verbringen.

      Trampel hatte, wie sich herausstellen sollte, die Angewohnheit, nie zu gehorchen. Befehlen gegenüber war er taub. Abgesehen davon aber war er die Freundlichkeit in Person und der erkorene Liebling von Ted und den Kindern. Trampel allerdings liebte nur Lis, und es störte ihn nicht im geringsten, dass sie ihn nicht ausstehen konnte, ja ihn sogar nach Jahren noch fürchtete wie am ersten Tag. Er folgte ihr auf Schritt und Tritt, warf ihr aus dunklen, treuen Hundeaugen schmachtende Blicke zu und legte sich, sobald sie sich hinsetzte, mit behaglichem Grunzen auf ihre Füsse.

      Trampel zerstörte, was immer ihm in den Weg kam, nicht aus Mutwillen, sondern weil er mit der eigenen Masse nicht zurechtkam. Er seufzte und sabberte über den Scherben, aber Lis kaufte ihm das schlechte Gewissen nicht ab. Im Gegensatz zu Trampel genossen es die beiden Ponys, wenn Lis brüllend vor Wut und mit Besen fuchtelnd hinter ihnen herjagte, um sie für die eine oder andere unglaubliche Missetat zu bestrafen. Sie hiessen Max und Moritz, obwohl nur eines von ihnen, der schneeweisse Moritz, ein Wallach war. Zusammen mit Max, der dicklichen Rappstute, frass er die Strümpfe von der Wäscheleine, wälzte sich in eben erblühten Tulpenbeeten, riss Weidezäune und Stalltüren ein und war grundsätzlich dort anzutreffen, wo man ihn bestimmt nicht haben wollte. Die beiden struppigen, staubbedeckten Ungeheuer überfielen Tee trinkende Gäste, um ihnen Kuchenstücke zu entreissen, und es versteht sich von selbst dass, wer immer die Bekanntschaft von Max und Moritz gemacht hatte, nicht wiederkam.

      Natürlich liebte Ted die Ponys. Sie folgten ihm wie Hunde, und auch die Kinder hatten keine Mühe, sie einzuspannen, um im Doppelsulky zur Schule zu fahren wie die Herrschaftskinder lange vergangener Zeiten. Nur wenn sie Lis sahen, legten sie die Ohren an und signalisierten ihre Bereitschaft zu Missetaten.

      Ted war so glücklich wie Lis unglücklich war. So früh wie möglich verliess er abends das Labor, um sich seinem Haus zu widmen. Kaum zu Hause entledigte er sich seines Anzugs samt Hemd und Kravatte und schlüpfte in die geliebten Hausbesitzerklamotten, die hauptsächlich aus Löchern, Rissen, Leim- und Farbklecksen bestanden, und in denen er – Lis wiederholte es wie eine Litanei – unmöglich aussah.

      Das Haus, der Park und die Urbevölkerung standen zwischen Lis und ihrer Familie. Seit sie das Haus bezogen hatten, passte sie nicht mehr in die rundum glückliche Familie. Sie war das Waisenkind, das sich fehl am Platz fühlte und nicht wusste wohin mit sich und seinem Unglück. Die Jahre vergingen, und sie liess immer öfter die Hausarbeit Hausarbeit sein, um in einer Ecke des Parks, der sich nicht in einen Garten verwandeln lassen wollte, Andersens Märchen oder die traurigen Romane von Charles Dickens zu lesen. Trampel begleitete sie und wachte treu und tollpatschig über ihr. Er hielt ihr Max und Moritz und die Enten vom Leib und schnappte nach aufdringlichen Fliegen, ohne je dafür gelobt oder gestreichelt zu werden.

      Dass die Kinder mit den Ponys sprachen, als seien sie ebenfalls Kinder, dass sie Trampel die unglaublichsten Kosenamen gaben und im Vorbeigehen die Enten grüssten, konnte Lis ja noch verstehen, aber als sie hörte, dass Ted mit dem Haus sprach, war sie schockiert. Es war schwer zu sagen, ob das Haus ein besonders anfälliger Patient oder ganz einfach ein Hypochonder war. Jedenfalls beanspruchte es nicht nur Teds ganzen Verdienst, sondern auch seine Freizeit. Wie gerne wäre Lis hin und wieder vor dem Haus geflohen, wenigstens für ein paar Tage. Ihr Koffer lag gepackt und griffbereit unter ihrem Bett, aber trotz Teds gutem Verdienst war nie Geld da, weder für die Kanaren noch fürs Appenzell.

      Als die Kinder ihre Koffer packten, weil sie erwachsen geworden waren, ihre Ausbildung abgeschlossen hatten und keinesfalls länger auf dem Land leben wollten, begann Ted, sich zu verändern. Das glückliche und entspannte Leuchten, das die Arbeiten am Haus und die zur Gewohnheit gewordenen Gespräche mit ihm auf sein Gesicht gezaubert hatte, wich einem gehetzten Ausdruck. Seine Hände waren fahrig, seine Schläfen grau geworden, und sein einziges Gesprächsthema war die Zeit, die ihm fehlte. Waren die Reparaturen und nötigen Renovationen am Haus bis anhin nacheinander angefallen, kamen sie nun alle aufs Mal. Das Haus ächzte und stöhnte, bröckelte und lotterte und Lis hatte es im Verdacht, sich selbst zu zerstören, wie ein Neurotiker, der auf den Geschmack von ärztlichen Behandlungen gekommen ist und sich nun, da er nicht mehr ohne sie leben kann, seine Krankheiten selber erfindet.

      Trampel war nicht mehr so oft schuld an anfallenden Reparaturen. Er wälzte seine Masse gemächlicher und behutsamer durchs Haus, und auch Moritz, dessen Fell wie bei vielen alten Schimmeln mit ungesunden schwarzen Sprenkeln übersät war und Max, deren grau gewordener Kopf tief zwischen ihren Knien hing, pflügten nur noch selten eine tornadohafte Schneise der Zerstörung durch den Park.

      Es war das Haus, das Haus allein, das zu Ted sprach, wie er zu ihm sprach, das über seine Schmerzen jammerte und ihn anhielt, sich doch um Himmels Willen mehr Zeit für Renovationen zu nehmen. Lis hasste das Haus von ganzem Herzen, denn neuerdings liebte sie Ted wieder ein bisschen, und so sorgte sie sich auch um ihn. Er sah ungesund aus. Er sah gehetzt aus. Er war nervös, und er beunruhigte sie. Sie versuchte zu helfen, wurde aber vom Haus, das Betonbrösel auf sie hinabrieseln liess und Holzsplitter in ihre Finger trieb, zurückgewiesen. Für Lis tickte die Zeit träge vorüber, und die Langeweile drohte sie, die nichts zu tun fand, zu erdrücken, während für Ted die Wochen kürzer und kürzer wurden. Mittlerweile ass er im Stehen, und als Lis ihn deswegen schalt, stritten sie sich erbittert.

      Lis beschwor Ted, mit ihr wegzufahren, um Abstand zu gewinnen „von all dem“, wie sie sagte. Ted zögerte kaum merklich, lehnte dann aber ab. Wer sollte die Ponys und Enten füttern, jetzt, da die sich Kinder weigerten, an den Ort ihrer idyllischen Jugend zurückzukehren? Und welches Hotel wäre wohl bereit, ein ältliches Ehepaar mit einem Hund wie Trampel aufzunehmen?

      „Es gibt Tierheime“, wagte sich Lis auf dünnes Eis. Trampel sprang mit einem verliebten Grunzen an ihr hoch, legte seine schweren Pranken auf ihre Schultern und leckte ihr heftig das Gesicht. Ted wandte sich wortlos ab. Bis zu seinem Tod drei Wochen später sprach er kein Wort mehr mit Lis.

      Lis war einkaufen gefahren – ein langes und mühseliges Unterfangen,