Haustiere. Claudia Gürtler

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Название Haustiere
Автор произведения Claudia Gürtler
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742782144



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war verstimmt. Immerhin hätte er sie ja fragen, das Haus, wie sie es nun schon unzählige Male getan hatten, mit ihr zusammen besichtigen können. Mit leisem Unbehagen rief sie sich ihre unterschiedlichen Vorstellungen von der perfekten Bleibe ins Gedächtnis. Aber am Abend ihres Geburtstages wollte sie keine schlechte Stimmung aufkommen lassen, weder bei Ted noch bei sich selbst.

      „Und du hast den Kaufvertrag wirklich schon – unterzeichnet?“ fragte sie. Sie bemühte sich, ihre Stimme beiläufig klingen zu lassen.

      „Ich musste zugreifen“, sagte Ted und strahlte. Er packte eine Faust voll von den Appetithäppchen, die Lis zum Anstossen auf ihren Geburtstag bereitgestellt hatte, legte den Kopf weit nach hinten und liess sie, eins nach dem anderen, in seinen aufgesperrten Mund fallen.

      „Du wirst sehen“, versprach er kauend, „es ist ein-ma-lig!“ Jetzt widerte er sie ein bisschen an, aber sie wagte es nicht, sich dies einzugestehen, und obwohl sie sonst kaum trank, füllte sie nun ihr Campari-Glas randvoll.

      „Warte, ich muss nur noch ...“, sagte Ted. Er verschwand im Schlafzimmer, um zwei Minuten später in farb- und leimverkrusteten Überdosen wieder aufzutauchen. Lis fand, dass er darin unmöglich aussah, behielt dies aber für sich. Sie fühlte sich nicht besonders gut. In den zwei Minuten, die er im Schlafzimmer verbrachte, hatte sie das zweite Glas geleert.

      „Du wirst sehen“, wiederholte Ted enthusiastisch, „es ist ein-ma-lig.“ Er küsste sie zerstreut auf den Mund, dann suchte er nach den Autoschlüsseln. Lis sah sie auf dem Fenstersims liegen, wies ihn aber nicht darauf hin.

      „Da sind sie ja!“. Er packte Lis am Arm und zerrte sie mit sich, als sei sie ein Gepäckstück. Vor Jahren hatte sie seinen ungestümen Eifer und seine Begeisterungsstürme gemocht. Genau daran dachte sie jetzt. Sie hatten sie immer zum Lachen gereizt, und hin und wieder hatte sie scherzhaft nach ihm geschlagen, um ihn zur Vernunft zu bringen.

      Ted drückte das Gaspedal ganz durch, ohne mehr als fünfundvierzig Stundenkilometer aus dem alten Deux-Chevaux herauszuholen. Er redete wie ein Wasserfall, aber Lis hörte kaum zu. Sie genoss es jetzt, beschwipst zu sein. Es fühlte sich an, als sei man sicher in Watte verpackt. Erst als ihr Ted mit verschwörerischer Miene verriet, er habe auch ein Geburtstagsgeschenk gekauft, wurde sie wieder wacher. Sie kurbelte das Fenster herunter. Eine Ahnung von Herbst kühlte ihre heisse Stirn. Lis liebte Geschenke, ganz kleine vor allem, die man als Glücksbringer mit sich herumtragen konnte.

      „Was ist es denn?“, fragte sie und lächelte ihn an. Er nahm die Hand vom Steuer und drückte ihr Knie.

      „Du wirst schon sehen!“, sagte er Ganz kurz wandte er ihr sein Gesicht mit dem jungenhaften Grinsen zu. Ihr Groll schmolz. Wegen dieser einmaligen Grimasse hatte sie sich in ihn verliebt, damals, vor Urzeiten.

      „Weisst du eigentlich, dass ich mich nicht in dich, sondern in dein Grinsen verliebt habe?“, neckte sie ihn.

      „Wann war das?“, fragte er zurück. „Ich kann mich nicht daran erinnern!“

      „Natürlich nicht“, lachte Lis, „es ist Ewigkeiten her. Ich glaube, es war im Pleistozän.“

      „Im Pleistozän gab’s noch keine Menschen“, konterte Ted sofort, und Lis versetzte sein belehrender Ton einen Stich. „Vielen Dank auch, Herr Doktor“, dachte sie mit einem Anflug von Sarkasmus, aber sie seufzte nur und schwieg. Mit zunehmender Unruhe stellte sie fest, dass sie sich immer weiter von der Stadt entfernten, in der sie nun schon so lange lebten, und dass die Dörfer kleiner und kleiner wurden.

      „Du magst es doch klein“, sagte Ted, als könne er Gedanken lesen oder als habe sie ihre Befürchtungen laut ausgesprochen.

      „Ich meinte die Häuser, nicht die Dörfer“, wehrte sich Lis. „Kleine Dörfer machen mir Angst. Wie du weisst, bin ich in einem kleinen Dorf aufgewachsen. Da kennt jeder jeden, kein Schritt bleibt unbeobachtet und kein Wort ungehört.“

      „Wie gut, dass unser neues Zuhause nicht in einem Dorf liegt“, suchte Ted sie zu beruhigen.

      Lis atmete hörbar auf. Bis zur nächsten Stadt konnte es nicht mehr allzu weit sein.

      „Ist es ein schönes, hohes Altstadthaus mit Türmchen, Terrässchen, Zinnen und Wendeltreppen?“ fragte sie, halb ernst, halb im Scherz. Bei Ted wusste man schliesslich nie.

      „Lass dich überraschen“, sagte Ted nur, „wir sind gleich da.“

      Die Überraschung war perfekt. Mitten auf einem Feldweg bremste Ted abrupt. Der Deux-Chevaux kam mit einem kleinen Hüpfer zum Stehen, und Lis sah hinter der Staubwolke, die sie aufgewirbelt hatten, eine hohe Mauer auftauchen, von Rissen durchzogen und mit Efeu und allerlei Gestrüpp überwachsen. Eidechsen huschten in Spalten. Ein kunstvoll geschmiedetes, aber längst verrostetes Tor stand halb offen. Ted stieg aus dem Wagen. Wie immer waren ihm dabei die langen Beine im Weg. Die alten Torflügel ächzten in den Angeln, als er sie ganz aufstiess. Langsam fuhren sie einen holprigen, von Baumriesen in tiefe Schatten getauchten Weg entlang. Wilde Kaninchen flüchteten ins Unterholz.

      „Ich hätte den Campari nicht trinken sollen“, murmelte Lis und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen, als hoffte sie, eine Sinnestäuschung verscheuchen zu können. Das Haus selbst war, obwohl es riesig sein musste, in der üppigen Wildheit des vernachlässigten Parks kaum zu finden. Lis kletterte aus dem Wagen. Sie fühlte sich, als sei sie hundertfünfzig Jahre alt und als laste das Gewicht aller grossen Häuser der Welt auf ihr.

      „Es kann nicht sein“, sagte sie leise zu Ted. „So grosse Häuser gibt es überhaupt nicht!“

      „Dann gefällt es dir also auch!?“ Auf Teds Gesicht machte sich das selbstgefällige Grinsen des Siegers breit.

      „Es ist riesig“, sagte sie hilflos, und trotz seines pausenlosen Zuredens weigerte sie sich über eine Stunde lang, es auch nur zu betreten.

      „Wir werden einiges ändern“, versprach Ted endlich. „Wir können ändern, was immer du geändert haben willst. Wir können es komplett umbauen - schliesslich gehört es uns!“

      „Mach es kleiner“, verlangte Lis und brach in hysterisches Schluchzen aus.

      „Ich hatte eher an - grösser gedacht!“ bekannte Ted.

      „Was meinst du mit grösser!?“ Lis kreischte jetzt.

      „Nun ja“, sagte Ted und kratzte sich am Kopf, „es hat winzige Zimmer, weisst du. Ich dachte, wir könnten grössere Zimmer haben, wenn wir ein paar Mauern einreissen... Die Kinder werden es lieben, grosse Zimmer zu haben.“

      „Die Kinder!“, rief Lis aus, als erinnere sie sich erst in diesem Moment daran, dass sie Kinder hatten. „Die Kinder werden sich in diesem Haus und in diesem, diesem ... Park hoffnungslos verirren. Falls nicht, werden sie auf dem Weg in die Schule in der Wildnis verschwinden. – Warum, um Himmels willen, hast du nicht an die Kinder gedacht!?“

      „Ich habe an die Kinder gedacht“, versicherte Ted. „Sie werden kutschieren lernen.“

      „Sie werden – was?“ Alle Farbe wich aus Lis Gesicht. „Sie werden kutschieren lernen“, wiederholte Ted geduldig. „Zu diesem Haus gehört alles, was Kinderherzen begehren, selbst Ponys, Enten und ein Hund.“

      Lis war nahe daran, in Ohnmacht zu fallen. Die einzigen Tiere, die sie mochte, waren Katzen. Vor Ponys fürchtete sie sich ebenso wie vor Hunden, und von der unverbesserlichen Dummheit von Enten war sie zutiefst überzeugt.

      „Es gehörte zu den Kaufbedingungen, dass man die Tiere mit übernimmt“, entschuldigte sich Ted. „Sie wohnen nun einmal hier. Sie sind, wenn du so willst, die Urbevölkerung dieses Grundstücks. Deswegen war das Haus ja auch ausserordentlich günstig. Es war ein echtes Schnäppchen – mit den Tieren!“

      In diesem Augenblick sah Lis den Hund. Er war gross wie ein Kalb, rabenschwarz und zottig, und er raste mit freudigem Japsen auf sie zu. Lis schrie, der Hund liess ein tiefes, grollendes Bellen hören, von dem auch Ted nicht sagen konnte, ob es freundlich oder drohend gemeint war.

      „Trampel,