Rebeccas Schüler. Tira Beige

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Название Rebeccas Schüler
Автор произведения Tira Beige
Жанр Языкознание
Серия Rebeccas Schüler
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754176450



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und Vä­ter flu­te­ten be­reits den Saal. Wäh­rend ein Bruch­teil Rich­tung Büh­ne lief und die Tu­to­ren per­sön­lich be­grüß­te, lie­ßen sich die meis­ten El­tern­tei­le gleich nach dem Ein­tre­ten auf den Stüh­len nie­der. Da sich vie­le aus den Jah­ren der Klas­sen­ge­mein­schaft kann­ten, folg­ten lau­te Wort­wech­sel, teils über gan­ze Sitz­rei­hen hin­weg.

      »Er­kennst du El­tern aus mei­nem Kurs?«, frag­te Rebecca ihre neue Kol­le­gin, wäh­rend sich ihr ge­hemm­ter Blick durch den Saal be­weg­te und ver­such­te, Ähn­lich­kei­ten zwi­schen Mut­ter und Toch­ter be­zie­hungs­wei­se zwi­schen Va­ter und Sohn zu ent­de­cken.

      »Da sind schon wel­che da. Ju­li­as El­tern sehe ich«, sag­te Sa­bri­na, dreh­te ih­ren Kopf aber wie­der weg, um sich er­neut der Zet­tel­wirt­schaft auf dem Tisch­chen zu­zu­wen­den.

      »Und sonst?«, frag­te Rebecca zö­ger­lich.

      Sicht­lich ge­nervt stri­chen Sa­bri­nas skep­ti­sche Au­gen durch die Rei­hen der An­we­sen­den. »Ja, da sind noch wel­che da, glau­be ich. Ro­bert hat­te mehr­heit­lich dei­ne Leu­te in sei­ner Klas­se. Ich kann dir da we­nig hel­fen.«

      Ro­bert re­de­te ab­seits der Büh­ne stark ges­ti­ku­lie­rend mit ei­nem El­tern­teil. Er lach­te. Ge­heu­chel­tes Ge­tue, schoss es Rebecca durch den Kopf. Ob­wohl: Bei Ro­bert war sie sich da nicht so si­cher. Er hat­te ir­gend­wie im­mer gute Lau­ne.

      Rebecca dach­te zu­rück an die Zeit an ih­rer al­ten Schu­le: Sie hass­te El­tern­aben­de, weil sie sich einen gan­zen Abend lang ein Dau­er­grin­sen ins Ge­sicht mei­ßeln muss­te. Po­si­ti­ve Wor­te zu fin­den hat­te, wo es Kri­tik ge­ben soll­te. Bloß nicht an­e­cken, um nicht beim Schul­lei­ter zu sit­zen und sich recht­fer­ti­gen zu müs­sen.

      So hing Rebecca ih­ren Ge­dan­ken nach. Ver­lo­ren stand sie auf der Büh­ne und be­trach­te­te die na­men­lo­se Mas­se, die sich in die Sitz­rei­hen zwäng­te. Sie muss­te zu­se­hen, ihre Auf­re­gung, die Vi­bra­ti­o­nen und Elek­tro­stö­ße durch ih­ren Kör­per schick­te, un­ter Kon­trol­le zu be­kom­men.

      Es war heiß in der Aula.

      Wie be­reits in den Ein­füh­rungs­ver­an­stal­tun­gen fühl­te Rebecca einen un­säg­li­chen Druck auf ih­rem Kör­per. Da sie nur leicht be­klei­det war – sie hat­te sich einen som­mer­lich kur­z­en Rock über­ge­wor­fen – konn­te sie we­nigs­tens das Schwit­zen halb­wegs re­gu­lie­ren. Bei ih­rem Bauch war sie sich da nicht so si­cher. Es drück­te und gur­gel­te laut hör­bar. Hät­te sie doch bloß zu Hau­se Abend­brot ge­ges­sen, an­statt mit lee­rem Ma­gen in die Schu­le zu ge­hen.

      Und nun stand sie auch noch auf der Büh­ne! Sie konn­te sich nicht ein­fach in die ers­te Rei­he set­zen und sich ver­krie­chen. Erst recht durf­te sie nicht ab­hau­en. Ob­wohl sie nichts zu sa­gen brauch­te, son­dern von ih­ren bei­den Kol­le­gen vor­ge­stellt wur­de, droh­te ihr Herz aus der Brust zu sprin­gen, als sie die im­mer vol­ler wer­den­de Aula re­gis­trier­te und die in­ter­es­sier­ten Bli­cke der El­tern wahr­nahm, die sie er­dolch­ten.

      »Gu­ten Abend, lie­be El­tern«, un­ter­brach die re­so­lu­te Stim­me von Sa­bri­na die Un­ru­he im Saal. Rebecca kne­te­te ihre durch­tränk­ten Hän­de vor dem Schoß und müh­te sich zag­haf­te Freund­lich­keit ab. »Ich freue mich, dass Sie so zahl­reich zu un­se­rem El­tern­abend er­schie­nen sind.« Eine kur­ze Pau­se. Rebeccas Au­gen wan­der­ten über die Un­be­kann­ten. »Wir wer­den Sie an die­sem Abend über die Fahrt nach Ita­li­en auf­klä­ren. Sie er­hal­ten das de­tail­lier­te Pro­gramm vor­ge­stellt. Au­ßer­dem be­kom­men Sie die Be­leh­run­gen mit­ge­teilt, die auch die Schü­ler von ih­ren Tu­to­ren er­hal­ten ha­ben oder noch er­hal­ten wer­den.«

      Wie­der ließ Sa­bri­na ei­ni­ge Se­kun­den ver­ge­hen, be­vor sie wei­ter­sprach: »Zu­nächst aber zu der Frau, die hier ne­ben mir steht.« Sa­bri­na streck­te ihre wuls­ti­ge Hand nach Rebecca aus. »Frau Pe­ters wird in die­sem Schul­jahr die Schwan­ger­schafts­ver­tre­tung für Frau Frit­sche über­neh­men. Als Tu­to­rin wird sie uns selbst­ver­ständ­lich nach Ita­li­en be­glei­ten.« Sa­bri­na hielt kurz das Mi­kro­fon zu und wand­te sich an Rebecca: »Willst du noch selbst ein paar Wor­te zu dir sa­gen?«, frag­te sie.

      Sa­bri­na hat­te noch nicht ein­mal den Satz be­en­det, da schüt­tel­te Rebecca schon mit schreck­ge­wei­te­ten Au­gen den Kopf. Ihr war gleich­gül­tig, wie das auf die an­we­sen­den El­tern wir­ken muss­te. So­lan­ge sie nicht ge­zwun­gen wur­de zu spre­chen.

      »Frau Pe­ters steht Ih­nen für ein per­sön­li­ches Ken­nen­ler­nen zur Ver­fü­gung. Am Ende die­ser Ver­an­stal­tung kön­nen Sie gern mit ihr in Kon­takt tre­ten, wenn Sie Fra­gen zum Kurs ha­ben oder wenn Sie un­se­re neue Kol­le­gin ken­nen­ler­nen möch­ten.« Rebecca hoff­te, dass nicht all­zu vie­le da­von Ge­brauch ma­chen wür­den. In­ner­lich dank­te sie ih­rer neu­en Kol­le­gin da­für, dass sie nicht selbst vor al­len An­we­sen­den einen Mo­no­log füh­ren muss­te. Sa­bri­na zog die Mund­win­kel in die Höhe. Rebecca er­kann­te die Ge­quält­heit, die in ih­rer Mi­mik lag. Of­fen­bar war sie nicht die Ein­zi­ge, die Freund­lich­keit vor­täusch­te.

      Mit je­dem wei­te­ren Satz, den Sa­bri­na durch das Mi­kro­fon sand­te, ent­spann­ten sich ihre Ner­ven und ihr Herz schlug in ei­nem ge­sün­de­ren Rhyth­mus. Ihre Kol­le­gin schien schon öf­ter der­ar­ti­ge El­tern­aben­de ab­ge­hal­ten zu ha­ben, da sie mit ei­ner Leich­tig­keit sprach, die Rebecca ehr­fürch­tig wer­den ließ. So­gar Ro­bert brauch­te kaum Er­gän­zun­gen vor­zu­neh­men, als Sa­bri­na den de­tail­lier­ten Ab­lauf mit­hil­fe ei­ner Pow­er Point Prä­sen­ta­ti­on er­klär­te und an die Ein­hal­tung der Re­geln ap­pel­lier­te. Erst, als ge­gen Ende der Ver­an­stal­tung Fra­gen ge­stellt wer­den durf­ten, misch­te sich Ro­bert in die Er­läu­te­run­gen ein. Aber auch er wirk­te kein biss­chen un­si­cher.

      Ins­ge­samt dau­er­te es eine ge­schla­ge­ne Stun­de, bis alle Un­kla­r­hei­ten be­sei­tigt wa­ren und die El­tern zu­frie­den die Aula ver­lie­ßen. Nur we­ni­ge ka­men noch ein­mal nach vorn, um Rebecca per­sön­lich die Hand zu schüt­teln und mit ihr ins Ge­spräch zu kom­men. Sie lern­te die El­tern von Ju­lia ken­nen, und auch die Mut­ter von Eme­ly war er­schie­nen. Ihre Schü­le­rin mach­te im­mer so einen ein­ge­schüch­ter­ten Ein­druck. Ihre Mut­ter hin­ge­gen strahl­te Le­bens­mut und Elan aus. Die Wor­te spru­del­ten nur so aus ihr her­aus, als sie wis­sen woll­te, wie es ih­rer Toch­ter ging. Da Rebecca die Klas­sen­kon­stel­la­ti­o­nen da­vor nicht kann­te, konn­te sie der Mut­ter we­nig Rü­ck­mel­dun­gen ge­ben. Sie zog trotz al­lem be­ru­higt ab und Rebecca war froh, dass nie­mand sonst ihre wert­vol­le Abend­ru­he stör­te.

      Am Diens­tag er­war­te­te sie Li­nus. Rebecca saß auf ei­ner Bank im Schul­hof. Über ihr spen­de­te das dich­te Ge­äst ei­ner Kas­ta­nie ein we­nig Schutz vor der Son­ne, die nach wie vor un­er­bitt­lich ihre Kraft zur Erde schick­te. Rebecca spür­te das hei­ße Holz un­ter ih­rem Ober­schen­kel, da sie einen ka­rier­ten Fal­ten­rock trug, der ihr noch nicht ein­mal bis zum Knie reich­te.

      Sie war­te­te. Ent­we­der kam Li­nus nicht pünkt­lich aus dem Un­ter­richt oder er ließ sie be­wusst war­ten. Letz­te­res glaub­te Rebecca al­ler­dings nicht, da sie ih­ren Schü­ler für zu­ver­läs­sig und acht­sam hielt. Doch nun das: Fünf Mi­nu­ten wa­ren ver­stri­chen, ohne dass Li­nus er­schien. Kost­ba­re Zeit, die sie